"Exit Gas now" stand auf dem Plakat, das die Klimaaktivisten des "Känguru-Kollektivs" am Morgen des 29. März vergangenen Jahres hoch oben auf dem 165 Meter hohen Kamin der Erlanger Stadtwerke aufgehängt hatten. Mit der Zahlung einer Geldstrafe wären die Strafbefehle für zwei Klimaaktivisten eigentlich wieder vom Tisch gewesen. Doch die beiden Turm-Kletterer und ihre Komplizin im Alter von 21, 24 und 26 Jahren legten Einspruch ein - und so kam es nun zum Prozess am Amtsgericht in Erlangen.
Am Ende des kuriosen Verfahrens blieb es für die drei Klimaaktivisten allerdings bei Geldstrafen wegen Hausfriedensbruchs bzw. Beihilfe zum Hausfriedensbruch und wegen Verstößen gegen das bayerische Versammlungsgesetz. Damit fand eine ungewöhnliche Verhandlung ihren Abschluss.
Angeklagter Klimaaktivist singt im Gerichtssaal
Nach Verlesung der Anklagen durch den Staatsanwalt hatten - wie üblich - die Angeklagten selbst das Wort. Zu der Kletteraktion auf den Turm der Erlanger Stadtwerke unweit des Arcaden-Einkaufszentrums wollten sich die Klimaaktivisten trotz mehrfacher Nachfrage der Vorsitzenden Richterin nicht äußern. Stattdessen ging es ausschweifend um die Klimaschädlichkeit von Erdgas, das Abschieberecht oder die Forderung einer Grundgesetzänderung. Und: Statt sich zur Sache selbst einzulassen, sang einer der Angeklagten ein Lied über den Klimaschutz. Die Vorsitzende Richterin bedankte sich. Sie habe "schon viele Berufsjahre auf dem Buckel" und schon viele Angeklagte gesehen, "gesungen hat aber tatsächlich noch keiner", sagte sie.
Zuschauer springt als Verteidiger ein
Zuvor hatten die drei Angeklagten Anträge auf Laienverteidigung gestellt. Die als Verteidiger vorgeschlagenen Personen wurden von der Vorsitzenden Richterin aber allesamt abgelehnt, mit Verweis auf deren fehlende Qualifikation. So blieb den Klimaaktivisten zunächst nichts anderes, als sich selbst zu verteidigen. Als sie den ihnen bekannten Erlanger Rechtsanwalt und Grünen-Politiker Wolfgang Winkler unter den Zuschauern entdeckten, fragten sie ihn, ob er nicht als Rechtsanwalt übernehmen könne. Winkler willigte ein und übernahm die Verteidigung eines Angeklagten, auch wenn er, wie er betonte, gar nicht in den Fall eingearbeitet sei.
Kletteraktion auf den Kamin der Erlanger Stadtwerke
Bei der anschließenden Zeugenvernehmung zweier Polizisten ging es dann um die Protestaktion der Klimaaktivisten. Die Beamten schilderten, wie die beiden 21 und 24 Jahre alten Männer am frühen Morgen des 29. März 2023 mit professioneller Kletterausrüstung auf den 165 Meter hohen Turm der Erlanger Stadtwerke gestiegen waren. Ihre Komplizin hatte den Pförtner der Stadtwerke zuvor über die Aktion informiert und per Handy Kontakt zu den Kletterern gehalten.
Mit Blick auf die damit verbundene Meinungsäußerung ließ die Polizei eigenen Angaben zufolge das angebrachte Plakat sogar bis zum Mittag, also etwa sechs Stunden lang, am Kamin hängen. Die beiden nach oben gestiegenen Klimaaktivisten erklärten sich bereit, die Aktion zu beenden und nach unten zu kommen. Insgesamt waren wegen der Aktion etwa 70 Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten beteiligt.
Klimaaktivisten müssen Geldstrafen bezahlen
Nach Ende einer von Zwischenrufen, abgelehnten Anträgen und Publikumsstörungen geprägten Verhandlung blieb es für die angeklagten Klimaaktivisten - wie schon in den Strafbefehlen - bei Geldstrafen. Das Erlanger Amtsgericht verurteilte sie wegen Hausfriedensbruchs bzw. der entsprechenden Beihilfe und Verstößen gegen das bayerische Versammlungsgesetz. Die Geldstrafen liegen bei 30 bzw. 60 Tagessätzen zu je 15 Euro, in der Summe also Beträgen von 450 und 900 Euro. Bei dem 21-Jährigen kam das Jugendstrafrecht zur Anwendung. Er muss 400 Euro an die Erlanger Tafel zahlen.
Einwegbecher und Plastik-Konfetti
Während die Klimaaktivisten vor Gericht die Kletteraktion auf den Kamin der Erlanger Stadtwerke mehrfach mit dem Kampf gegen den Klimawandel rechtfertigten, warf ihr Verhalten bei Zuschauern und Gerichtsmitarbeitern Fragen auf. So stapelten sich bis zum Urteil am Nachmittag vor ihnen auf dem Tisch fünf Einweg-Pappbecher aus dem Gerichtsvorraum. Beim Verlassen des Erlanger Amtsgerichts wurden sie von rund einem Dutzend jubelnder Mitstreiter empfangen. Die goldenen Plastik-Schnipsel der gezündeten Konfetti-Kanone verteilten sich auf dem Gehweg, in den Blumentöpfen und auf dem Grünstreifen vor dem Gerichtsgebäude. Eine Polizeibeamtin musste den von den feiernden Aktivisten hinterlassenen Müll wegräumen.
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