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Wenn es heißt, dass künftig in Bayern Tausende Lehrkräfte fehlen, löst das bei manchen Menschen Gedanken aus, wie sie BR24-User "tkl" kommentierte: "Jedes Jahr gibt es die Geburtsstatistik. Und es ist jährlich leicht nachzulesen, wie viele Schüler in fünf Jahren eingeschult werden. Die Lehrerausbildung hat auch eine festgelegte Dauer. Wo liegt in der Planung das Problem? Mit einfachen Grundrechenarten zu lösen!"
Aber ist es wirklich so einfach? Aus dem Kultusministerium heißt es, die Geburtenrate sei freilich bekannt und sich daran zu orientieren nicht das Problem. Woran liegt der Lehrermangel also dann?
Immer weniger wollen Lehramt studieren
Amelie Werner will Lehrerin werden. Die 18-Jährige besucht das Regiomontanus-Gymnasium Haßfurt im unterfränkischen Landkreis Haßberge. Sie sagt, dass sie das Lernen mit Kindern mit Freude erfüllen werde. Erste Erfahrungen hat sie als Schülersprecherin, Tutorin und Jugendleiterin im Musikverein gesammelt. Beispiele, wie dieses, werden aber immer seltener. Die Zahl derer, die in Bayern ein Lehramtsstudium beginnen, sinkt trotz bester Jobaussichten.
Vor allem die Studierendenzahl derer, die für das Lehramt in Mittelschulen ausgebildet werden, ist eingebrochen. Zwischen 2013 und 2022 sank sie von 738 auf 368 und damit um rund 50 Prozent - das geht aus einer Anfrage der SPD im bayerischen Landtag hervor, die BR24 vorliegt. Unter Bayerns Abiturienten haben sich zuletzt weniger als sieben Prozent für ein Lehramtsstudium entschieden, vor zehn Jahren waren es noch fast 15 Prozent.
"Praxisschock": Jeder Zweite bricht das Studium ab
Zudem brechen immer mehr Lehramtsstudenten ab. Klaus Zierer ist Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Er sagt, 50 bis 60 Prozent der Lehramtsstudenten gingen im Praxisteil, der zweiten Phase des Studiums, verloren. Er spricht von einem "Praxisschock", der auf eine falsche Vorbereitung der Studierenden in der ersten Hälfte des Studiums zurückgehe. Dieser Auffassung ist auch BR24-User "Kleeblatt4": "Leider geht auch die Ausbildung der Lehrer voll an der Realität vorbei."
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft kommt auf nur wenig bessere Werte (externer Link) als Hochschullehrer Zierer: Demnach schließen von den jährlich mehr als 50.000 Studienanfängern lediglich 30.300 ihr Lehramtsstudium ab, nur 28.300 beenden auch das Referendariat.
Im bayerischen Kultusministerium ist das Problem bekannt. Dort heißt es, eine Expertenkommission wolle Anfang 2025 Vorschläge unterbreiten, wie das Lehramtsstudium praxisorientierter und attraktiver werden könne.
Babyboomer gehen, Lehrermangel verschärft sich
Dass in Bayern mit aktuell mehr als 104.000 Lehrerinnen und Lehrern dennoch so viele beschäftigt sind wie nie zuvor, liegt unter anderem an der Generation der Babyboomer, die allerdings bald in Pension gehen wird. Ein Blick auf die Lehrerbedarfsprognose 2024 für den Freistaat (externer Link) zeigt, dass der Lehrermangel dann dramatisch werden könnte.
Dargestellt wird in der Grafik die vorhergesagte Lehrer-Versorgungsquote an den verschiedenen Schularten in Bayern. Die aufgezeigten Entwicklungen werden nach Angaben des Kultusministeriums eintreten, wenn nicht wirksam gegengesteuert wird. So könnte die Versorgungsquote an Mittelschulen in den nächsten drei Jahren auf 88 Prozent fallen.
Grafik: Vorhergesagte Lehrerversorgung an Bayerns Schulen
Nach Angaben des Kultusministeriums stellt insbesondere die Lehrerversorgung an den Mittelschulen eine "enorme Herausforderung" dar. Dabei ist der Lehrermangel an Mittelschulen nicht neu. Schon heute liegt die Versorgungsquote dort bei unter 96 Prozent. Neu ist, dass auch Gymnasien und Realschulen in die Krise schlittern.
Hohe Belastung durch zusätzliche Aufgaben
Beim Gymnasium geht die Lücke zunächst auf die Wiedereinführung der 13. Jahrgangsstufe zurück. Dafür sind in Bayern insgesamt 1.000 weitere Lehrer nötig. Zudem gehen inzwischen mehr als 80 Prozent der bayerischen Lehrer vorzeitig in Pension. Der Beruf gilt als "sehr fordernd", heißt es aus dem Kultusministerium. Gründe seien eine zunehmend heterogene Schülerschaft und hohe gesellschaftliche Erwartungen an die Schule. Zuletzt kamen außerdem rund 30.000 Kinder aus der Ukraine in die bayerischen Klassenzimmer. Eine solche Zuwanderung ist kaum vorherzusehen. Dazu kommen politische Entscheidungen wie der Ausbau von Ganztagsangeboten.
Hochschullehrer Zierer sieht als Gründe für die hohe Belastung der Lehrer aber zusätzliche bürokratische und technische Aufgaben. Im Ministerium will man das erkannt haben. Man versuche, die Lehrer durch Aushilfslehrer, Schulsozialpsychologen und andere pädagogische Unterstützungskräfte zu entlasten, heißt es.
63 Prozent der Grundschullehrer arbeiten in Teilzeit
Das vielleicht größte Problem aber ist etwas, das den Lehrerberuf eigentlich attraktiv macht: Im vergangenen Schuljahr lag der Anteil der in Teilzeit beschäftigten Lehrkräfte über alle Schularten hinweg bei rund 54 Prozent – in der Grundschule gar bei 63 Prozent. Das ist Rekord.
BR24-User "Vincent" glaubt daher: "Wir haben eigentlich genug LehrerInnen, wenn alle einfach wieder mehr arbeiten würden."
Der Lehrerberuf ist inzwischen ein überwiegend weiblicher, und das hat Auswirkungen auf die Teilzeitquote. Auch für die 18-jährige Amelie Werner macht die Option auf Teilzeit den Job interessant. Professor Zierer sagt, dass die Familienfreundlichkeit für viele Studenten ein Argument sei. Denn für Lehrer gibt es besonders attraktive Teilzeitmodelle. Zum Beispiel kann eine Lehrkraft so lange ihre Arbeitszeit auf bis zu 20 Prozent reduzieren, wie eines ihrer Kinder minderjährig ist. Diese Option steht also auch Lehrern offen, deren Kinder längst nicht mehr betreut werden müssen.
Regierung kündigt Eingriffe in Teilzeitregelung an
Dennoch hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt, in die Teilzeitregeln eingreifen zu wollen (externer Link). Denkbar ist, dass die sogenannte "Familienpolitische Teilzeit" künftig nur noch Lehrerinnen und Lehrer bekommen, deren Kinder höchstens 14 Jahre alt sind.
Auch die "Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz" hat vorgeschlagen, die Teilzeitregelungen einzuschränken (externer Link). Allerdings: Wenn die meisten Lehrkräfte in Teilzeit eher kleinere Kinder haben, wäre der Effekt entweder gering oder die Einschnitte müssten größer sein. Dagegen haben Gewerkschaften bereits protestiert. Und auch BR24-User "Strassenflok" befürchtet: "Nehmt den Leuten Teilzeit weg und wir haben am Ende weniger Lehrerstunden als davor!"
Diese Sorge teilt auch Bayerns Kultusministerin Anna Stolz (FW). Auf Nachfrage von BR24 sagt sie, gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mache den Lehrerberuf attraktiv für junge Menschen.
Quereinsteiger sollen helfen
Auch andere Versuche, die Versorgungslücken zu schließen, haben oft mehr Nach- als Vorteile. Größere Klassen verschlechtern das Lernklima und steigern das Stresslevel aller Beteiligten. Abstriche im schulischen Angebot mindern die Bildungsqualität. Mehr Lehrer, die zwischen Schulformen wechseln, sind kein Modell für eine Zukunft, in der alle Schularten Personal suchen.
Eine Lösung könnten mehr Quereinsteiger ohne Lehramtsstudium sein. Bewerber gibt es immer dann, wenn andere Branchen kriseln. Lehrerverbände fürchten aber eine Entwertung der Ausbildung. Und BR24-User "Wassermann72" schreibt: "Für Bildung braucht es pädagogische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das können weder KI noch Quereinsteiger."
Forscher: Wie der Beruf attraktiver werden könnte
Kultusministerin Stolz hat angekündigt, noch im Winter ein Konzept gegen den Lehrermangel vorzulegen. "Sicher wird das Thema Teilzeit da auch eine Rolle spielen", so Stolz gegenüber BR24. Es komme aber auf das richtige Maß an. Ziel sei es, genügend Anreize zu geben, damit Betroffene die Teilzeitarbeit aufstocken. Auch Zierer warnt: Zwang und Druck würden die Stimmung in den Schulen nicht verbessern.
Um den Beruf attraktiver zu machen, schlägt der Wissenschaftler finanzielle Anreize für Lehrer vor, die mehr unterrichten wollen - dazu größere Bemühungen um Quereinsteiger, Verbesserungen des Studiums und eine Entrümpelung des Schulalltages von Aufgaben, die Lehrer heute machen müssten, "Kindern aber gar nichts bringen".
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