Eine Lehrerin an einer Tafel im Klassenzimmer.
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GEW sieht wegen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung an Grundschulen den Lehrkräftemangel deutlich verschärft.

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Neue Hochrechnung: Es werden 110.000 Lehrkräfte fehlen

Neue Hochrechnung: Es werden 110.000 Lehrkräfte fehlen

Die Erzieher-Gewerkschaft GEW hat nachgerechnet: 110.000 Lehrkräfte fehlen bis 2030 durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen. Die Diakonie München und Oberbayern bereitet sich derweil auf die "Riesen-Challenge" vor.

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Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule wird nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Lehrkräftemangel erheblich verschärfen. "Bis 2030 werden insgesamt über 110.000 Lehrkräfte fehlen sowie mehrere hunderttausend Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe", sagte GEW-Chefin Maike Finnern der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" [externer Link, möglicherweise Bezahlinhalt].

💬 BR24-User "sowieso" fragt, von welchem Prozentsatz der Nutzung des Anspruchs die GEW ausgeht, wenn das Fehlen von 110.000 Lehrern befürchtet wird. Das Team von "Dein Argument" hat ergänzt:

Die GEW rechnet damit, dass 70 bis 80 Prozent der Eltern das Ganztagsangebot für Grundschüler nutzen werden. Das sagt der Sprecher der GEW, Ulf Rödde, auf Nachfrage von BR24. Auf diese Zahl komme man wie folgt: Aktuell nähmen rund 55 Prozent der Eltern ein Ganztagsangebot wahr. 64 Prozent hätten das Interesse an einem Ganztagsplatz artikuliert. Die Erfahrungen mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz hätten gezeigt, dass das Interesse mit Einführung des Rechtsanspruchs noch einmal deutlich steige. 💬

Ganztagsbetreuung: Es fehlen nicht nur Lehrkräfte

Konkret fehlten neben den Lehrkräften auch Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiter und Schulpsychologen, so Finnern. Die GEW-Chefin sieht in der Ganztagsbetreuung große Chancen. Der schrittweise Rechtsanspruch biete eine einzigartige Gelegenheit, die Bildungslandschaft in Deutschland nachhaltig zu stärken. "Gerade deshalb ist es von großer Bedeutung, die Herausforderungen klar zu benennen und Lösungen anzubieten", sagte Finnern.

Bund und Länder haben einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule beschlossen, der schrittweise eingeführt werden soll. Ab dem Schuljahr 2026/2027 soll die Regelung für Kinder in der ersten Klasse greifen, ab dem Schuljahr 2029/2030 für Kinder bis einschließlich der vierten Klasse.

Der Countdown zum Rechtsanspruch läuft

Ob alle Grundschulen 2026 ausreichend Ganztagsangebote anbieten, hänge davon ab, ob in den nächsten zwei Jahren überall die räumlichen und konzeptionellen Voraussetzungen geschaffen werden könnten. "In den Regionen besteht noch ein großes Potenzial, den kooperativen Ganztag auszubauen", sagte Betz. Sie wünsche sich, dass diese Chance genutzt werde, damit mehr Plätze entstünden. Derzeit würden jedoch "die Zuständigkeiten hin- und hergeschoben", habe sie beobachtet.

Die GEW-Chefin fordert, dass die Ganztagsbetreuung "durch qualitative Weiterbildungen und gute Arbeitsbedingungen" zu einem attraktiven Arbeitsfeld werden müsse.

Diakonie München: Chancen durch neue Qualifizierungsprogramme

Auch die Vorstandssprecherin der Diakonie München und Oberbayern, Andrea Betz, setzt mit Blick auf den chronischen Personalmangel auf neue Qualifizierungsprogramme. So sei die Weiterbildung zur "Ergänzungskraft für Grundschulkindbetreuung" zeitlich nicht so aufwendig wie die Ausbildung zur Erzieherin. Gerade für zugewanderte Menschen mit einer pädagogischen Qualifikation, die in Deutschland nicht anerkannt werde, könnten solche Programme eine gute Chance sein. An der Fachakademie für Sozialpädagogik habe die Diakonie München inzwischen fünf Personen als "Ergänzungskraft" ausgebildet.

"Riesen-Challenge": Wie der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gelingen kann

Betz bezeichnet die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026 insgesamt als "Riesen-Challenge". Damit das Vorhaben gelinge, brauche es mehr Lobbyarbeit für pädagogische Berufe sowie eine engere Verzahnung der Systeme Schule und Jugendhilfe, sagte Betz im Gespräch mit der Nachrichtenagentur epd. Wenn das Konzept des kooperativen Ganztags (KoGa) gelingen solle, "müssen Lehrerkollegium und KoGa-Team auf Augenhöhe agieren".

Vernetztes Arbeiten als Herausforderung

Solch eine Vernetzungsarbeit und die dafür nötige Öffnung des Systems Schule dürfe nicht unterschätzt werden. "Im kooperativen Ganztag müssen Räume gemeinsam genutzt und eine gemeinsame Tagesstruktur entwickelt werden", erklärte Betz. Wenn es statt eines Lehrerzimmers ein gemeinsames Team-Zimmer gebe, verändere sich auch die Haltung der Beteiligten. Allerdings müsse dieser Gesinnungswechsel "von oben" unterstützt werden, sagte Betz. Sie wünsche sich deshalb bei der Frage des Ganztags eine engere Kooperation zwischen Sozial- und Kultusministerium.

Hintergrund: Lehrermangel ist ein Dauerproblem

Der Lehrermangel ist seit Jahren ein viel diskutiertes Problem. Erst vor wenigen Tagen wurden Zahlen des bayerischen Kultusministeriums bekannt, wonach immer weniger Lehrerinnen und Lehrer im Freistaat bis zur regulären Arbeitsgrenze oder darüber hinaus arbeiten. Mittlerweile sind es nur noch rund 18 Prozent. An Grund- und Mittelschulen sind es sogar nur noch etwas über 15 Prozent, vor zehn Jahren gingen noch rund 60 Prozent der Grund- und Mittelschullehrer zur Altersgrenze oder später in den Ruhestand.

Mit Informationen von dpa und epd

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