Marieluise Biesenbach sitzt auf einem Sofa und zeigt Bilder ihrer Beine vor den Operationen.
Bildrechte: BR, Judith Zacher
Audiobeitrag

Marieluise Biesenbach mit Bildern ihrer Beine vor den Operationen.

Audiobeitrag
>

Lipödem-Betroffene: "Anderen soll schneller geholfen werden"

Lipödem-Betroffene: "Anderen soll schneller geholfen werden"

Dicke Arme oder Beine, bei sonst normaler Statur. Diäten helfen kaum. Dauerhaft wirken meist nur Operationen. Doch das erfahren viele Betroffene erst spät. Die Krankheit Lipödem ist immer noch nicht wirklich bekannt. Eine Lauingerin will das ändern.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Marieluise Biesenbach aus Lauingen ist 72 Jahre alt. Dennoch fühlt sie sich jünger als mit 40 oder 50: Jahrzehntelang konnte sie nur mit Schmerzmitteln und Krücken gehen. "Ich konnte mich nie auf den Boden setzen, um mit meinen Kindern zu spielen, als sie klein waren. Ich wäre nicht mehr hochgekommen", sagt sie. 50 Jahre lang litt sie an der Krankheit "Lipödem", ohne zu wissen, was sie wirklich hatte. Ihre Beine und ihr Gesäß wurden immer dicker, dabei war sie quasi immer auf Diät.

Lipödem: Viele Betroffene wissen nichts von der Fettverteilungsstörung

Dann endlich stellte ein Arzt die richtige Diagnose: Lipödem, eine Fettverteilungsstörung, bei der sich Fettzellen insbesondere an Armen oder Beinen immer weiter vermehren. Erst nach dieser Diagnose konnte sie gezielt dagegen vorgehen: mit inzwischen neun Operationen. Sehr schmerzhaft und kompliziert seien die gewesen, auch weil die Krankheit schon so weit vorgeschritten war. Dennoch sagt sie: Seitdem habe für sie ein neues Leben begonnen.

Diesen langen Leidensweg will sie anderen Betroffenen ersparen und engagiert sich deshalb stark in der Öffentlichkeitsarbeit. Vor acht Jahren hat sie die Selbsthilfegruppe "Lily Put" gegründet, die sich immer am ersten Samstag im Monat im Lauinger Gemeindezentrum trifft. Weil sie auch in den sozialen Medien aktiv ist, kontaktierten sie inzwischen Frauen aus ganz Deutschland.

Lipödem hat nichts mit Adipositas zu tun

Die Berichte ähnelten sich: Die Frauen seien verzweifelt, weil sie immer mehr an Gewicht zunähmen. Manche erzählen, ihr Mann glaube, sie würden heimlich essen. Andere ziehen sich zurück, trauen sich nicht mehr ins Schwimmbad, kaschieren ihre dicken Beine mit weiter Kleidung. Und viele von ihnen wüssten nicht, dass sie krank sein, sagt Biesenbach.

Dabei sind Schätzungen zufolge 3,8 Millionen Menschen in Deutschland von der Krankheit betroffen, mehrheitlich Frauen. Und die Dunkelziffer sei sicher hoch, da viele nichts von ihrer Erkrankung wissen. Oft wird fälschlich auf Adipositas, also Fettleibigkeit, getippt.

Lipödem-Informationsveranstaltungen im Landkreis Dillingen

Marieluise Biesenbach hat sich inzwischen ein breites Netzwerk aufgebaut. So gelingt es ihr immer wieder, Experten zu Informationsveranstaltungen in den Landkreis Dillingen zu holen. An diesem Samstag um 09:30 Uhr wird es im Schoss Höchstädt eine solche Veranstaltung geben. Die Nachfrage sei groß, ein paar Plätze aber gebe es noch, sagt Biesenbach und bittet um Anmeldung per Mail (ml.biesenbach@gmail.com).

Bei der Veranstaltung werden auch eine Hebamme und eine Sportwissenschaftlerin sprechen, Ärzte werden zum Thema Operation referieren. Da Betroffene nach einer solchen Operation oft mehrere Kleidergrößen kleiner trügen, will Biesenbach bald auch einen Kleidermarkt organisieren. Die Ideen gehen ihr nicht aus.

Biesenbach wünscht sich Vorsorgeuntersuchung für Mädchen im Teenageralter

Vergangenes Jahr wurde sie für ihr Engagement mit dem "Weißen Engel", einer Auszeichnung des bayerischen Gesundheitsministeriums, geehrt. Darüber habe sie sich sehr gefreut, vor allem, weil das den Blick der Öffentlichkeit wieder ein bisschen mehr auf diese noch zu unbekannte Krankheit gelenkt habe. Hier gebe es noch viel zu tun.

Biesenbachs größter Wunsch ist, dass eine Vorsorgeuntersuchung für Mädchen im Teenageralter eingeführt wird. Die ungezügelte Vermehrung der ungesunden Fettzellen entwickle sich nämlich oft bei einer Hormonveränderung, also etwa in der Pubertät oder nach einer Schwangerschaft. Bei jungen Menschen könnte man die Erkrankung durch eine frühe Operation stoppen, meint sie.

OP auch in frühem Stadium möglicherweise bald Kassenleistung?

Doch selbst wenn die Krankheit zeitig erkannt wird, bleibt die Frage der Finanzierung. Sie kenne einige junge Frauen, die Nebenjobs annehmen würden, um Geld für diese Operation, die "Liposuktion" zu sparen. Die wird derzeit in der Regel nämlich erst ab Stadium drei, also wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist, von den Kassen übernommen. Das bestätigt die AOK Bayern, allerdings würden derzeit erste Daten einer Studie ausgewertet. Die Ergebnisse soll der Gemeinsame Bundesausschuss im Dezember 2024 erhalten, dann soll entschieden werden, ob die Operationen auch in einem früheren Stadium zu einer regulären Kassenleistung wird.

Das würde Biesenbach sehr begrüßen, zunächst ist es ihr aber wichtig, dass Betroffene, aber auch die Gesellschaft diese Krankheit kennen - um dagegen vorgehen zu können und nicht vorschnell zu urteilen.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!