Um hinterm Schlagzeug vollen Einsatz zu bringen, springt Helmut Seitle fast täglich auf seinem Trampolin, gerne auch nachts. Der 77-Jährige geht zudem mehrmals die Woche ins Fitness-Studio. Der Vollblutmusiker will noch möglichst lange mit seinen Freunden zum Tanz aufspielen. Trotzdem – oder aus seiner Sicht - gerade deswegen unterhält Helmut Seitle seit fast zwei Jahrzehnten seine eigene Grabstelle.
Foto auf Grabstein sorgt immer wieder für Verwirrung
Auf dem Grabstein des Rentners prangen sein voller Name und sein Foto, das ihn noch als aktiven Versicherungsvertreter zeigt - im Anzug mit Krawatte und einem freundlichen Lächeln. Dass auch sein mittlerweile sehr junges Konterfei bereits auf dem Grabstein klebt, sei "ein Missverständnis", so Helmut Seitle. Da sei der Steinmetz etwas voreilig gewesen. Er habe ihm zwar damals schon sein Foto überlassen, aber nur, damit der Handwerker es "schon mal für später" habe. Aber weil ihn das Foto auch nicht weiter stört, darf es bleiben, obwohl das Foto auf dem Grab schon wiederholt für Verwirrung gesorgt hat. Nach einem Friedhofsbesuch in Karlshuld haben ihn schon manche seiner Bekannten für tot gehalten und waren dann sehr erleichtert, ihn doch noch unter den Lebenden zu sehen, erzählt Helmut Seitle schmunzelnd.
Seit der Kindheit begeisterter Schlagzeuger
Seit 70 Jahren macht der gebürtige Karlshulder Musik. Zuerst mit seinen vielen Geschwistern in der Wirtschaft der Eltern. Dann in ungezählten Bands: Volksfestmusik, Kirchenmusik, Tanzmusik. Der Versicherungsvertreter im Ruhestand spielte überall in der Gegend, aber auch schon mal in Amerika und immer wieder in Serbien auf Volksfesten. Auch heute noch gestaltet er Feiern und Tanznachmittage. Gerne spielt er zum Beispiel im evangelischen Gemeindezentrum seiner Heimatgemeinde Karlshuld für die Senioren zum Tanz auf. Die Männer und Frauen kennen ihn seit ihrer eigenen Jugend. Nach wie vor erleben sie den Rentner als "Vollblutmusiker und lebensfrohen Menschen".
Allerheiligen als Anlass für ein großes Geschwistertreffen
Die Menschen in Karlshuld wissen, dass Helmut Seitle neben seiner Wohnanschrift auch schon seit langem eine Ruhestätte auf dem Friedhof unterhält. "Er hat sich eben auch seine Gedanken über den Tod gemacht. Und das finde ich voll in Ordnung", sagt eine Frau.
Helmut Seitle selbst geht offen mit seinen beiden 'Adressen' um. Nach einer Scheidung hat er sich entschlossen, "alles zu regeln, damit meine Söhne später keine Arbeit haben". Seit 2005 besitzt er seine aktuelle Grabstätte. Zuvor hatte er auf dem Friedhof bereits eine andere, die er aber wieder aufgegeben hat, als er entdeckte, dass seine jetzige Grabstelle frei geworden war. Der Grund für den Wechsel: "Ganz in der Nähe liegen meine Eltern". In seiner Familie sei es gute Tradition, dass sich alle Geschwister an Allerheiligen am Elterngrab treffen und anschließend gemeinsam Zeit verbringen. Das bestätigt auch seine Schwester Maria: "Wir sind jetzt an Allerheiligen wieder alle beieinander. Und des ist unser Schönstes."
Noch auf dem Friedhof gerne in der Nähe der Familie
Seitle ist guter Hoffnung, dass die Familie nach seinem Ableben auch bei seinem Grab vorbeischauen wird. "Weil am Elterngrab spielt sich alles ab. Und weil ich in der Nähe bin, braucht keiner für mich zu weit zu gehen." Das erklärt der fröhliche Mann lachend. Er betont, dass er schon zu Lebzeiten bescheiden sei und auf vieles verzichten könne, "aber nicht auf Gesellschaft, auf Gemeinschaft". Deshalb mache er zu Lebzeiten Musik. Und deshalb habe er auch seine Grabstelle mit Bedacht gewählt. Wenn er heute vor seinem eigenen Grab stehe, dann empfinde er als gläubiger Christ große Gelassenheit: "Es ist wie heimkommen".
Seine Schwester Maria weiß, wie wichtig ihrem Bruder das eigene Grab ist und sie wirbt für Verständnis: "Manche unserer Geschwister sagen, der Helmut spinnt doch! Aber ich sage: Lasst ihn doch! Helmut sagt: Jedes Jahr, wo ich überlebt habe, ist ein geschenktes Jahr."
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