Viel größer kann ein Versprechen kaum sein: "Jeder soll in Bayern sein Glück finden können", steht auf der ersten Seite des Koalitionsvertrags von CSU und Freien Wählern. Nun ist Glück bekanntlich etwas sehr Individuelles. Manche sind glücklich, wenn sie ihre Kinder gut versorgt in Kita und Schule wissen, andere haben keine Kinder und wünschen sich zuallererst einen sicheren Arbeitsplatz und wieder andere wären schon glücklich, wenn sie sich bei der Behörde nicht mehr durch Dutzende von ausgedruckten Formularen kämpfen müssten.
Welche konkreten Pläne haben CSU und FW also, um den Menschen in Bayern zum Glück zu verhelfen? Eine Einordnung der wichtigsten Koalitionsvorhaben in den Bereichen Bildung, Energie, (Land-)Wirtschaft, Digitalisierung und Kultur - samt Blick auf das bisher bekannte Personaltableau.
- Zum Artikel: Neue Koalition aus CSU und Freien Wählern steht
Schule und Bildung: Mehr Lehrer, mehr Kinderbetreuung
"Bayern soll auch in Zukunft führendes Bildungsland in Deutschland bleiben", so steht es im Koalitionsvertrag. Demokratie und Werte sollen mit Hilfe einer "Verfassungsviertelstunde" vermittelt werden. 15 Minuten pro Woche sollen sich die Schülerinnen und Schüler mit der Bayerischen Verfassung und dem Grundgesetz befassen. In welchem Fach das passieren soll, ab welcher Jahrgangsstufe und in welchen Schularten – alles noch offen, sagt CSU-Chef Markus Söder. Die Details soll jetzt die neue Kultusministerin Anna Stolz (FW) erarbeiten.
Um die Unterrichtsversorgung zu verbessern, will die Staatsregierung mehr Lehrer einstellen. 6.000 Lehrer bis 2028 kündigt der Koalitionsvertrag an, dazu 3.000 neue Stellen für "multiprofessionelle Unterstützungskräfte". Die eigentliche Herausforderung dürfte aber darin bestehen, diese Stellen auch zu besetzen. Denn die Zahl der Lehramtsstudenten geht weiter zurück, besonders die Zahl der Studienanfänger für die Mittelschule ist drastisch eingebrochen. Ob es künftig mehr junge Menschen ins Lehramt zieht, weil auch Pädagogen an Grund- und Mittelschulen mit A13 besoldet werden, bleibt abzuwarten. Erfolgreicher könnte der Ansatz sein, die Lehrerausbildung zu modernisieren, mehr Praxis einzuführen und "wohnortnahe Studienmöglichkeiten" anzubieten.
Die Koalition will die Kinderbetreuung weiter ausbauen, insgesamt sollen 180.000 Plätze geschaffen werden. Davon entfallen allein 130.000 auf die Grundschule und den baldigen Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Aber auch hier gilt: Nicht die Plätze zählen, sondern das dafür benötigte Personal. Das dürfte die größere Aufgabe werden.
Energie: Staat soll bei Windenergie größere Rolle bekommen
Unter der Überschrift "Ausbau unserer Heimatenergien" weist der Koalitionsvertrag in Richtung einer größeren Rolle für den Staat. Beim Ziel, bis 2030 in Bayern 1.000 neue Windräder zu bauen, soll eine staatliche Windenergiegesellschaft "Bayern Wind" helfen. Unter dem Dach der Bayerischen Staatsforsten soll sie den Ausbau der Windkraft im Staatswald beschleunigen. Auch an Wasserkraftwerken könnte sich der Freistaat beteiligen. Wenn der Bund die Uniper-Wasserkraftwerke in Bayern verkauft, steht die Koalition einem Erwerb "offen" gegenüber. Wenn Konzessionen für Wasserkraftwerke auslaufen, will die neue Staatsregierung jeweils im Einzelfall prüfen, ob sie verstaatlicht werden sollen.
Ebenfalls "offen" ist die Koalition für eine Übernahme von Teilen des Stromnetzes, falls der Bund den Netzbetreiber Tennet von den Niederlanden kauft ("Heimatnetz"). Der Koalitionsvertrag bekräftigt das Ziel, Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdoppeln und aus Photovoltaik zu verdreifachen. Bei Biomasse sind 15 Prozent mehr anvisiert. An dem bisherigen Ziel eines klimaneutralen Bayern bis 2040 hält die Koalition fest.
Wirtschaft: Zwischen Technologie und Wirtshaus
Der Vertrag hebt die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen für den Standort Bayern hervor, insbesondere die Rolle des Handwerks. Das kann man als Abgrenzung zur Berliner Ampel verstehen, der zuletzt immer wieder von Familienbetrieben vorgeworfen worden war, ihre Politik vor allem an den Interessen größerer Konzerne auszurichten. Handwerksbetriebe, Kleinunternehmen und Industriebetriebe sind laut Koalitionsvertrag durch hohe Energiepreise "stark belastet". Vom Bund fordern CSU und FW deshalb auch für Mittelstand und Handwerk einen "wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstrompreis" - ohne auszuführen, wie dieser konkret aussehen soll.
Sogenannte "Schlüsseltechnologien" bekommen im Koalitionsvertrag viel Platz eingeräumt. Die Koalition will entsprechende Forschung weiter ausbauen und so Bayern auch für Industrieansiedlungen attraktiver machen. Genannt werden unter anderem E-Mobilität, Wasserstoff, Robotik und die Halbleiterbranche. Ein explizites Vorhaben ist es, die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Bayern zu stärken. Die Anzahl der Elektroladesäulen im Freistaat soll mit 100.000 bis 2030 fast verfünffacht werden.
Neben Innovation und High-Tech liegt CSU und Freien Wählern auch die "heimische Wirtshauskultur" am Herzen. Mit Blick auf die monatelange Steuerdiskussion fordern die Koalitionäre, den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent beizubehalten. Eine mögliche Reform der Ladenöffnungszeiten deutet der Vertrag dagegen nur am Rande an: Es soll mehr lange Einkaufsnächte geben und digitalisierte Kleinst-Supermärkte, die durchgehend geöffnet bleiben sollen.
Landwirtschaft: Partnerschaft mit dem Bauernverband
Grundlage für die künftige Landwirtschaftspolitik in Bayern soll der so genannte "Zukunftsvertrag" sein, den die Staatsregierung vor der Landtagswahl mit dem Bayerischen Bauernverband geschlossen hat. Als Ziel der Politik nennt der Koalitionsvertrag – in dieser Reihenfolge – eine "produktive, ökonomisch erfolgreiche und umfassend nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft". Die Koalitionsparteien halten am Prinzip "Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht" fest. Sie bekennen sich zu Fleisch und zur Tierhaltung, für die es keine staatlich angeordnete Reduzierung geben soll.
Das im Begleitgesetz zum angenommenen Volksbegehren Artenvielfalt festgeschriebene Ziel, den Anteil des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlichen Fläche bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen, wird nicht mehr erwähnt. Stattdessen heißt es, der Ökolandbau soll "nachfrageorientiert" ausgebaut werden.
Digitalisierung: KI soll in die Verwaltung einziehen
Digitalisierung spielt besonders in der Verwaltung eine große Rolle. Staatliche Leistungen sollen künftig digital abgewickelt werden: Der Staat will die Menschen automatisch darüber informieren, was sie tun müssen, um Urkunden oder Bescheinigungen zu bekommen, etwa bei Geburt, Umzug oder Heirat. Wo Anträge nötig sind, sollen diese so weit wie möglich vorausgefüllt sein, damit die Bürger keine Daten eingeben müssen, die der Staat ohnehin schon hat. Eine durchgängige Automatisierung wäre allerdings erst dann gegeben, wenn die Behörden die Bürger darauf hinweisen, welche Leistung ihnen zusteht oder wann Dokumente wie der Personalausweis ablaufen - und automatisch den (Verlängerungs-) Antrag dafür stellen.
Künstliche Intelligenz taucht an verschiedenen Stellen auf. Neu ist vor allem die Idee, KI künftig "breitflächig" in der Verwaltung einzusetzen, etwa in Form von Chatbots, die rund um die Uhr Online-Anfragen von Bürgern beantworten. Möglicherweise sind damit Sprachmodelle nach dem Vorbild von ChatGPT gemeint. Bis wann die Chatbots kommen sollen, steht nicht im Koalitionsvertrag.
Alle neuen Gesetze sollen einen "Digital-Check" durchlaufen und auf Fragen geprüft werden wie: Hat digitale Kommunikation Vorrang? Gibt es Möglichkeiten zur automatisierten Bearbeitung? Ist eine sichere Datenverwaltung berücksichtigt? Damit nimmt die Koalition ein Vorhaben aus dem bayerischen Digitalplan auf. Hier betritt der Freistaat Neuland, ebenso wie der Bund, der den Digital-Check gerade einführt.
Kultur: Angebote für jüngeres Publikum mit wenig Geld
Niedrigschwellig sollen Kulturangebote in Bayern sein und in allen Landesteilen verfügbar, damit auch ein jüngeres Publikum mit wenig Geld daran teilhaben kann. Damit zielen CSU und Freie Wähler offenbar auf die Bevölkerungsgruppen, die sich abgehängt fühlen von der teuren Hochkultur. Das ist einer der neuen Akzente im Koalitionsvertrag, ein Schwerpunkt, der angesichts einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft wenig verwunderlich ist. "Das reiche kulturelle Erbe Bayerns schafft Identität", heißt es im Text, aber das soll angesichts des Wahlergebnisses für deutlich mehr Menschen gelten als bisher. Deshalb steht die Förderung der Heimat- und Trachtenvereine ganz oben in der Auflistung der Maßnahmen, haben sie in manchen Regionen doch nach wie vor eine erhebliche Bindekraft.
Bei den Sanierungs- und Neubauprojekten soll ausdrücklich "in die Fläche" investiert werden, also auch abseits der Landeshauptstadt, möglichst ohne deren "Strahlkraft" zu schmälern. Der von vielen herbeigesehnte neue Münchner Konzertsaal wird nichtsdestotrotz wohl deutlich kleiner und bescheidener ausfallen als bisher geplant. Die Koalitionäre wollen das Projekt jedenfalls "überarbeiten und redimensionieren", was angesichts der aktuellen "Denkpause" nur als Umschreibung für eine deutliche Abspeckung gewertet werden kann, greift doch die Angst vor einer Kostenexplosion um sich.
Personal: Hoher Preis für ein viertes FW-Ministerium
Abgesehen von Markus Söder, der am Dienstag als Ministerpräsident wiedergewählt werden soll, will die CSU ihr künftiges Personal in der Staatsregierung erst am 8. November bekanntgeben. Bei den Freien Wählern ist hingegen seit Donnerstagvormittag alles klar. Parteichef Hubert Aiwanger bleibt Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident und auch Thorsten Glauber behält sein Amt als Umweltminister. Nicht mehr am Kabinettstisch sitzt hingegen der bisherige Kultusminister Michael Piazolo, für ihn übernimmt seine bisherige Staatssekretärin Anna Stolz.
Eines ihrer Hauptziele in den Verhandlungen haben die Freien Wähler erreicht: ein viertes Staatsministerium. Der bisherige parlamentarische Geschäftsführer Fabian Mehring wird neuer Digitalminister. Auf den ersten Blick ein Erfolg für den kleineren Koalitionspartner, allerdings gab es den nicht umsonst. Die Freien Wähler mussten ihren Staatssekretärsposten im Kultusministerium an die CSU abgeben. Stolz steht künftig allein an der Spitze ihres Ministeriums - die Christsozialen verpflanzten die Stelle zu ihrem Finanzministerium. Tausche Minister gegen Staatssekretär lautete die Rechnung - insgesamt also nicht mehr FW-Plätze im Kabinett.
Und auch was die Ressortverteilung angeht, griff die CSU zu: Die großen Bereiche Tourismus und Gastronomie wandern von Aiwangers Wirtschafts- zum CSU-Landwirtschaftsministerium. Dort sind künftig auch die Veterinärkontrollen angesiedelt, sie lagen bislang bei Glaubers Umweltministerium. Aiwanger bekommt mit Jagd und Staatsforsten zwar andere Kompetenzen, insgesamt ist es aber doch ein hoher Preis, den die Freien Wähler für das Digitalministerium zahlen - das mit weitem Abstand kleinste Ressort im gesamten Kabinett.
Im Video: Söder gegen Aiwanger? - quer-Talk zur bayerischen Koalition
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