Ein fiktives Szenario: Bis Mitte des Jahrhunderts steigt die globale Durchschnittstemperatur um mehr als zwei Grad. Deutschland leidet durch milde Winter und Dürreperioden unter extremer Wasserknappheit. Der Staat beginnt, Wasser zu rationieren. Im Juni 2029 eskaliert ein Konflikt zwischen der EU und Russland und mündet in weitreichenden Wirtschaftssanktionen gegenüber Moskau. Deutschland gerät ins Visier des Kremls und soll mithilfe von Agenten und Schläferzellen intern destabilisiert werden. Wochenlang toben Waldbrände, Wasser zum Löschen fehlt. Rauchschwaden hängen in den Städten. Viele Menschen müssen medizinisch behandelt werden. Es stellt sich heraus: Deutschland wird durch gezielte hundertfache Brandstiftung in dutzenden Waldgebieten attackiert.
Neue Aufgaben für die Bundeswehr?
Dieses Szenario ist eines von mehreren, die in einer Studie des Metis Instituts für Strategie und Vorausschau der Universität der Bundeswehr beschrieben werden. Das Ziel solcher Gedankenspiele ist es, Herausforderungen zu erkennen, die in Zukunft auf die Bundeswehr zukommen könnten. Daraus ergeben sich konkrete Empfehlungen für die deutsche Sicherheits- und auch Rüstungspolitik, wie etwa die Anschaffung von zusätzlichen Hubschraubern und Löschflugzeugen, schnelleres Umschalten zwischen Verteidigung und Katastrophenschutz und andere Übungs- und Trainingsinhalte.
Klimawandel als Brandbeschleuniger
Schon jetzt gibt es weltweit Konflikte, die mit dem Klimawandel zu tun haben, sagt Jan Kowalzig, Referent für Klimapolitik bei der Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam - vor allem dann, wenn Menschen durch die Auswirkungen des Klimawandels ihre Lebensgrundlage verlieren. Dabei sei der Klimawandel nie der einzige Treiber, wirke aber wie ein Brandbeschleuniger, meint Kowalzig. Beispiele dafür sieht er in der Sahelzone in Afrika: Wenn Regenfälle ausbleiben, Acker- und Weideflächen knapp werden, müssten Viehzüchter ihre Herden auf neue Gebiete führen. "Dort kann es dann zu Konflikten mit den Ackerbauern kommen", so Kowalzig.
Konflikte um Wasser, landwirtschaftliche Flächen und Fischgründe
Ein möglicher Hotspot zukünftiger Konflikte könnte laut Jan Kowalzig von Oxfam auch das Südchinesische Meer sein, in dem sowieso schon mehrere Staaten Ansprüche auf bestimmte Gebiete erheben: "Wenn dann plötzlich Fischbestände wegen des Klimawandels in kühlere Gewässer weiter nach Norden in die ausschließliche Wirtschaftszone Chinas abwandern und andere Länder mit ihren Fischerbooten nicht mehr fischen können, könnte das auch zu größeren Konflikten führen", so Kowalzig.
Zusammenhänge oft nicht eindeutig belegbar
Konflikte aufgrund schwindender Lebensgrundlagen können auch Auslöser für Migration sein. Klimafolgen können aber auch Terrorismus verstärken. Oft zitiert werden Studien zur Tschad-See-Region, in der junge Männer ohne wirtschaftliche Perspektive gezielt von Terroristen angeworben werden. Forschende haben auch die Auswirkungen von Dürre und damit steigenden Lebensmittelpreisen als Auslöser für den Arabischen Frühling untersucht.
Oft sind Konflikte und Unruhen aber nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen, zu viele Faktoren spielen dafür eine Rolle, erklärt Susanne Dröge. Für die Stiftung Wissenschaft und Politik hat sie an einer Studie des Beirats der Bundesregierung Zivile Krisenprävention und Friedensförderung zu "Klimawandel und Konflikten" mitgeschrieben und arbeitet inzwischen für das Umweltbundesamt. Momentan sieht sie ein Konfliktrisiko durch Klimafolgen vor allem bei politisch fragilen Staaten. "Wenn eine Regierung damit umgehen kann, ist das etwas ganz anderes als in einer Situation, in der im Grunde keine Hilfe kommt, in der die Situation eskaliert", sagt Dröge.
Auch sicherheitsrelevant für Deutschland
Neben den fiktiven Szenarien, wie Deutschland in der Zukunft in Konflikte, befeuert durch den Klimawandel, geraten könnte, sieht das Bundesverteidigungsministerium den Klimawandel schon jetzt als ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko. Bei den Überlegungen geht es darum, Krisen früh zu erkennen, Soldaten gut auf Einsätze vorzubereiten, aber auch um militärisches Gerät und Infrastruktur, die unter schwierigen klimatischen Bedingungen stärker verschleißen könnten. Laut einer Sprecherin wurde dazu im letzten Jahr eigens eine Strategie "Verteidigung und Klimawandel" erarbeitet, die demnächst veröffentlicht werden soll. Auch von der EU und der Nato gibt es entsprechende Papiere.
Fällt der Klimawandel bei der Sicherheitskonferenz vom Tisch?
Susanne Dröge beobachtet, dass der Klimawandel bei der Münchner Sicherheitskonferenz in der Vergangenheit schon mehr Beachtung gefunden hat. In früheren Jahren habe es mehr Veranstaltungen dazu gegeben. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine sei das Thema in den Hintergrund gerückt. Die Münchner Sicherheitskonferenz sei eng auf sicherheitspolitisch akute Themen zugeschnitten. "Da fällt ein Thema wie der Klimawandel, das langfristig gedacht werden muss, vom Tisch", so Dröge. "Das ist unerfreulich, aber ist natürlich der Gesamtsituation geschuldet."
Analyst: Nicht nur mit den kurzfristigen Problemen beschäftigen
Diese langfristige Denkweise wäre aber wichtig, meint Jakob Gomolka, Analyst bei der Berliner Denkfabrik Adelphi, die auch an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnimmt. "Je mehr wir uns nur mit kurzfristigen Problemen beschäftigen, umso mehr erhöhen wir das Risiko, dass die nahe Zukunft umso schwieriger wird", sagt Gomolka. Der Politikwissenschaftler spricht beim Klimawandel ebenfalls von einem Brandbeschleuniger, der den Wald austrockne und das Risiko für Brände erhöhe: "Deshalb muss man weitermachen, nicht nur Brandbekämpfung zu betreiben und sich mit irgendwelchen speziellen Krisen auseinanderzusetzen, sondern man muss immer auch präventive Arbeit leisten."
Klima-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zusammen denken
Die Expertinnen und Experten sind sich einig, dass solch präventive Arbeit zum einen aus einer möglichst wirksamen Klimapolitik bestehen müsste, die die Auswirkungen des Klimawandels so weit wie möglich begrenzt. Dazu wäre es wichtig, die Menschen in den betroffenen Regionen entwicklungspolitisch zu unterstützen. So müssten Lebensgrundlagen erhalten werden. Die Staaten in betroffenen Regionen müssten außerdem politisch und in Kooperation mit der Bevölkerung vor Ort dabei unterstützt werden, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen.
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