Wo fängt Widerstand an? Eine Frage, die eine aktuelle Ausstellung im Würzburger Rathaus aufwirft. "Mittlerweile ist der Widerstandsbegriff weiter gefasst", erklärt Dr. Alexander Wolz, Historiker und Leiter des Staatsarchivs Würzburg. "Es ist schon der Widerstand im Kleinen: Leute, die sich den Vereinnahmungsversuchen des Regimes entzogen, die versuchten, sich auf ihre Weise Freiräume zu erkämpfen." Den Eindruck gewinnt er anhand von 25.000 Gestapo-Akten in seinem Archiv. Eine davon betrifft Ilse Totzke, eine Würzburgerin, die über Jahre hinweg von der Gestapo ausgehorcht, vernommen und inhaftiert wurde.
Ilse Totzke im Visier der Gestapo in Würzburg
Da war sie gerade einmal Ende 20. Ilse Totzke studierte am Staatskonservatorium Musik. Ihren Lebenslauf hat der "Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte" aufgearbeitet. Ilse Totzke entsprach schlicht nicht dem Idealbild einer deutschen Frau im Sinne des NS-Regimes: Anzug, Krawatte, kurze Haare, ledig. "Erschreckend finde ich, dass der individuelle Lebensentwurf einer Person politisch verfolgt wurde", so Dr. Wolz. Die Gestapo versuchte immer wieder, sie festzusetzen. Einer der Vorwürfe: Kontakt zu Juden und Jüdinnen. Ilse Totzke räumte ein, dass die Gestapo damit richtig liege – sie den Nationalsozialismus aber ohnehin ablehne, sich unter Adolf Hitler unwohl fühle und die Nürnberger Rassegesetze "unbegreiflich" finde, wie sie in der Akte vom Verhör am 29. März 1943 zitiert wird.
Gestapo-Vermerk: "nicht besserungsfähige" Person
"Auch das ist schon widerständiges Verhalten. Das war mutig von ihr, weil die Konsequenzen ja unabsehbar waren zu der Zeit." Weil sie zudem gemeinsam mit einer jüdischen Freundin bei einem Fluchtversuch gefasst wurde, konnte die Gestapo sie als straftätig verurteilen. Ilse Totzke wurde ins KZ Ravensbrück deportiert. Erst bei dessen Befreiung im April 1945 kam sie frei, lebte danach einige Zeit in Schweden. Erst 1954 kehrte sie nach Würzburg zurück, kämpfte um Entschädigungszahlungen für den Freiheitsentzug. 1987 ist Ilse Totzke in ihrer Heimat im Elsass gestorben. 2013 benennt der Würzburger Stadtrat eine Straße in der Stadt nach ihr.
Die Ausstellung im Würzburger Rathaus "Nichts war vergeblich – Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" würdigt den Mut von Frauen, die sich gegen den Terror des NS-Systems stellten. 18 Frauen werden portraitiert, die sich auf vielfältige Weise den Vereinnahmungsversuchen des NS-Regimes entzogen oder widersetzten. Sie verfassten und verteilten Flugblätter, sie boten Verfolgten Unterschlupf, sie klärten im Ausland über das Unrecht in Deutschland auf.
"Der Anteil dieser Frauen im Kampf gegen den NS-Staat ist in der Öffentlichkeit noch immer wenig bekannt", heißt es von den Organisatoren der Ausstellung, der Gleichstellungsstelle der Stadt Würzburg, dem Stadtarchiv Würzburg, dem AK Stolpersteine und der Akademie Frankenwarte. Eine davon ist Lina Haag. Sie schaffte es, ihren Mann aus der KZ-Haft zu holen. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei. Oder Luise Katholy, die sich gewerkschaftlich organisierte, deshalb sogar einige Jahre im Gefängnis und im KZ saß. Oder Gretel Maraldo, die sich weigerte, sich der Hitlerjugend anzuschließen.
Widerstand galt lange Zeit als Widerstand von Männern
Bis in die 1970er Jahre war der Begriff Widerstand eher mit dem Attentat vom 20. Juli in Verbindung gebracht worden – und damit männlich konnotiert. So beschreibt es eine der Autorinnen, Ursula Krause-Schmitt, im Ausstellungskatalog des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933-1945, der diese Ausstellung konzipiert hat: "Bei der Entscheidung, sich am Widerstand zu beteiligen, fällt bei Frauen stärker als bei Männern ihre Familiensituation ins Gewicht." Kindererziehung und Widerstandsarbeit waren nur schwer unter einen Hut zu kriegen. Eine der widerständigen Frauen, Ella Lingens-Reiner, war wegen "Fluchthilfe für Juden" verfolgt und ins KZ verschleppt worden. Sie bittet ihren Sohn in einem Brief, er möge ihr ihre jahrelange Abwesenheit verzeihen.
Schwierige Ausgangslage für Frauen: Kindererziehung lag bei ihnen
"Wenn deine Mama zu dir zurückkommt, dann soll sie dir in die Augen sehen können." Wie auch immer Widerstand ausgesehen hat: Von einer Wertigkeit oder Hierarchisierung sieht Stefanie Böhm ab. Die Mit-Organisatorin der Ausstellung in Würzburg und Leiterin der Akademie Frankenwarte ist der Ansicht, jeder Mensch müsse schauen, was für ihn oder sie persönlich möglich sei. "Da geht's nicht drum, das zu vergleichen. Die Summe aller Handlungen ist entscheidend." Innerhalb des Widerstands gegen den Nationalsozialismus wird der Anteil der Frauen auf etwa 20 Prozent geschätzt.
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