Mehrere Jahre war Elif Ö. von der öffentlichen Bildfläche verschwunden. 2015 machte ihr Fall Schlagzeilen, weil sie sich als 16-jährige Schülerin dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) in Syrien angeschlossen hatte. Ermittler gehen davon aus, dass die in München aufgewachsene Frau in ein Terrorfinanzierungsnetzwerk verstrickt ist.
Polizei, Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz verfolgen dieses Netzwerk schon seit Jahren. Im Mai vergangenen Jahres schlugen die Ermittler zu. Hunderte Polizeikräfte durchsuchten rund 100 Objekte in zehn Bundesländern – auch in Bayern. Mehrere Personen kamen in Untersuchungshaft.
Verdacht IS-Terrorfinanzierung: Fünf Beschuldigte vor Gericht
Durch ein ausgeklügeltes Spendensystem soll das Unterstützernetzwerk zwischen 2020 und 2022 mehr als 250.000 Euro von Deutschland nach Syrien transferiert haben. Damit sollten in Lagern in Nordostsyrien inhaftierte Angehörige der Vereinigung freigekauft werden oder ein "den Vorgaben des IS entsprechender Lebensstil innerhalb der Lager" finanziert werden, so der Vorwurf der Bundesanwaltschaft. Ende November erhob sie Anklage gegen fünf Beschuldigte aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bremen. Sie müssen sich nun ab heute vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten.
Die Rolle der mutmaßlichen IS-Frau aus Bayern
Eine wichtige Rolle spielte dabei wohl Elif Ö. aus Bayern. Als der sogenannte "Islamische Staat" 2019 viele Gebiete verlor und in die Defensive geriet, wurde Ö. von kurdischen Sicherheitskräften festgenommen. In dem Frauen-Lager "Al Hol" soll sie sich Ermittlungen zufolge weiter für die IS-Ideologie eingesetzt und auch via Messengerdienst Telegram um Spenden gebeten haben. Auch soll sie an einem tätlichen Angriff auf eine Frau beteiligt gewesen sein, die sich dem IS widersetzte.
Nach ihrer Flucht in den Westen Syriens, in die von Islamisten kontrollierte Region Idlib, propagierte sie den Ermittlern zufolge über die Social Media Plattform Telegram weiter die IS-Ideologie und warb unter anderem mit dem Kanal "Unsere Schwestern" um Spenden aus Deutschland, so Erkenntnisse von Ermittlern. Nach Recherchen von BR und SWR gehen die Ermittler davon aus, dass Elif Ö. mindestens 40.000 Euro eingeworben hat. Auch nach ihrer Flucht soll sie Geld aus Deutschland an inhaftierte IS-Frauen weitergegeben haben.
Wie soll IS-Finanzierung funktioniert haben?
Mit dem Fall betraute Kreise bestätigen, dass die inzwischen 25-Jährige mit mindestens einem der Angeklagten im Düsseldorfer Prozess in Kontakt stand.
Dabei handelt es sich um Kujtim B. aus Rheinland-Pfalz: Der von den Sicherheitsbehörden als Salafist eingestufte Mann sollte offenbar die in Deutschland eingesammelten Spenden in die Türkei oder nach Syrien transferieren. Laut-Chatprotokollen soll sich B. mindestens zweimal persönlich mit einer Spendensammlerin aus Bremen getroffen haben. Dabei kam es offenbar auch zu Geldübergaben. Um welche Summen es dabei ging, ist unklar.
Die Bremerin ist eine weitere Angeklagte im Düsseldorfer Prozess. Zwischen Januar und September 2021 überwies sie laut den Ermittlungen über mehrere Bankkonten mehr als 13.000 Euro an Kujtim B. – teils getarnt als Geld für "Urlaub", "Geschenk" oder "Uwe", aber auch mit Verwendungszwecken wie "Lebensmittelpaket" oder "Medizin". Ermittler vermuten, B. könnte dieses über Mittelsmänner in die Türkei transferiert haben. Unklar ist, wie das Geld Elif Ö. in Syrien erreichte.
Anwälte äußern sich nicht
Ein Jahr später kam es womöglich zu weiteren Geldtransfers nach Syrien. Nach persönlicher Aufforderung von Elif Ö. soll sich der 29-jährige Kosovare 2022 bereit erklärt haben, 1.000 Euro an den Ehemann von Elif. Ö zu spenden. Der Ehemann von Ö. befand sich den Ermittlern zufolge zu diesem Zeitpunkt als Kämpfer des IS in einem anderen Teil Syriens. Ö. und ihr Ehemann tauschten sich via Telegram aus. Sie versuchte offenbar, für ihren Ehemann finanzielle Mittel zu organisieren. Das Geld von Kujtim B. sollte wohl für ein Motorrad und einen Minen-Detektor dienen.
Für Sofia Koller, die als Analystin bei der Organisation "Counter Extremism Project" unter anderem zu deutschen IS-Dschihadisten forscht, haben solche Spenden-Netzwerke eine hohe Bedeutung für die Szene: "Sie dienen natürlich der Verbreitung und Aufrechterhaltung extremistischer Ideologie. Es wird etwa aktiv darauf hingewiesen, dass die Unterstützung oder Befreiung von Gefangenen eine der größten Pflichten ist und eine der besten Möglichkeiten, Gott näherzukommen."
Der Anwalt von Kujtim B. schwieg auf Anfrage von BR und SWR zu den Vorwürfen. Auch der Anwalt der angeklagten Bremerin will sich vor der Hauptverhandlung nicht zu den Anschuldigungen äußern. Das Oberlandesgericht hat für den aufwändigen Prozess vorerst 18 Verhandlungstage angesetzt. Von einem “spektakulären Fall” spricht Sofia Koller: "Einmal sind es relativ viele Angeklagte, insgesamt fünf Angeklagte, darunter auch drei Frauen. Außerdem natürlich der Umfang. Es geht um mehrere Hunderttausend Euro, was schon eine große Summe ist", so die Analystin.
Und was ist mit Elif Ö.? Sie wird in Syrien vermutet. Wegen ihrer mutmaßlichen Verstrickungen in das Terrorfinanzierernetzwerk wird nach Informationen des BR und SWR gegen sie in Deutschland ermittelt.
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