"Tegernsee statt Chiemsee?" steht auf dem großen weißen Transparent, das Marion Uber von der Bürgerinitiative "Rettet den Malerwinkel" vor dem alten Hotel Malerwinkel in Seebruck entrollt. Darunter ein Größenvergleich: Das neue Hotel Malerwinkel, ein U-förmiger, moderner Bau, überragt auf dem Transparent das alte Hotel bei weitem – wirkt fast bedrohlich.
Die Bürgerinitiative stört sich vor allem an den Dimensionen des Neubaus im Landschaftsschutzgebiet am Chiemseeufer. Unterstützer hätten sie auf den Slogan mit dem Tegernsee gebracht, erzählt Marion Uber. Denn das neue Hotel in Seeon-Seebruck soll deutlich luxuriöser werden als der alte Malerwinkel. Größere und luxuriösere Hotels – das scheint ein Trend in ganz Bayern sein.
Immer mehr Luxushotels in Bayern
Auch am oberbayerischen Schliersee gibt es Streit um ein geplantes neues 5-Sterne-Luxushotel. 116 Zimmer soll das Haus haben. Genau wie am Chiemsee monieren die Kritiker die Größe, die nicht ins Ortsbild passe. In Oberstaufen im Allgäu protestieren Bürger gegen das geplante neue Hotel Schlossberg Resort inklusive 37 Meter hohen Turm. Es soll vom Global Player "Marriott" betrieben werden, die Baugenehmigung liegt allerdings noch nicht vor.
Und am Chiemsee eröffnet am Ende des Jahres mit dem "Chiemgauhof" ein weiteres Luxushotel in Übersee-Feldwies, das zur "Motel One Group" gehört.
Mehr Luxus sei ein weltweiter Trend in der Hotelbranche, beobachtet Marco Gardini. Er ist Professor für Tourismus-Management an der Hochschule Kempten. Außerdem würden die Hotels größer. "In der Vergangenheit hat man noch Häuser mit 30 bis 40 Zimmereinheiten gebaut. Heute sagt man, dass man unter 70 bis 80 Zimmern nicht rentabel wirtschaften kann. Das kommt allerdings auch auf Faktoren wie den Betriebstyp an."
Klimawandel verändert Hotelbranche
In Bayern verändern noch andere Entwicklungen die Hotellandschaft. Große Ketten würden zunehmend den ländlichen Raum für sich entdecken, so Tourismusforscher Gardini. Unter anderem, weil ihnen die Pandemie gezeigt habe, dass es riskant sein kann, nur auf die großen Städte zu setzen.
Außerdem könnten die Ketten darauf setzen, dass Bayern - wie andere Tourismusregionen in Mittel- und Nordeuropa - vom Klimawandel potenziell profitiert. "Bei 45 Grad hat wohl keiner mehr Lust, durch Rom zu flanieren. Da denkt man dann schon darüber nach, was andere Ziele sein könnten", so Gardini weiter. Private Hoteliers müssen also zukünftig mit dem Angebot der großen Ketten mithalten – zum Beispiel großen Spa-Bereichen.
Familiengeführte Hotels ohne Nachfolger
Dazu kommt noch: Viele Betriebe, die bisher familiengeführt waren, werden von der nächsten Generation nicht übernommen, erklärt der Professor. Das beobachtet auch Martin Bartlweber, Bürgermeister von Seeon-Seebruck (Freie Wähler).
Das Hotel Malerwinkel zum Beispiel hat eine Bank gekauft, die Volksbank Raiffeisenbank aus Rosenheim. Zwei weitere Hotels in seinem Gemeindegebiet stehen leer. Betreiber und Investoren für Beherbungsbetriebe aller Art zu finden ist schwer, erklärt der Bürgermeister. Genauso wie Fachkräfte. Hier seien die hochpreisigeren Häuser oft attraktiver für Arbeitnehmer, weil diese einen besseren Ruf haben, so Bartlweber.
Infinity-Pool soll neue Gäste anlocken
Die Investoren haben nicht nur die Arbeitskräfte, sondern auch die Wirtschaftlichkeit der Hotels im Blick. So erklärt Bürgermeister Bartlweber, warum der neue Malerwinkel deutlich mehr Zimmer hat als der alte – nämlich 74 statt 30.
Der geplante Spa-Bereich mit Instagram-tauglichem Infinity-Pool soll zudem auch in der Nebensaison für ein gutes Geschäft sorgen. Außerdem will der Bürgermeister zahlungskräftige Familien anlocken, die sonst nach Südtirol oder Österreich fahren würden. "Was Wellness angeht, haben wir am Chiemsee noch Nachholbedarf", so Bartlweber.
Der Investor, die Rosenheimer Raiffeisenbank, betont, dass der Malerwinkel auch in Zukunft offen für alle sein solle. Man wolle "dieses wunderschöne Stück Heimat für die Heimat bewahren". Neben dem Spa-Bereich habe man deswegen auch einen "Radlertreff" mit Kiosk und öffentlichen Toiletten vorgesehen. Ein Konzept, für das man viel Zuspruch erhalte.
Bürgerinitiative befürchtet Veränderung des naturbelassenen Charakters
Die Bürgerinitiative "Rettet den Malerwinkel" hat nichts gegen die hochpreisige Ausrichtung des geplanten Hotels. Allerdings fürchtet sie, dass durch das große Hotel der bisher eher ruhige und naturbelassene Charakter des nördlichen Chiemsees verändert würde. "Wir wollen hier einen sanften Tourismus, deswegen fahren die Leute doch zu uns", erklärt Helge Holzer, die Marion Uber mit der Initiative unterstützt. "Durch einen so großen Bau zerstören wir einen der schönsten Orte am Chiemseeufer."
"Gesellschaftliche Entwicklung" oder "Profitmaximierung"?
Im Ort sehen das viele ähnlich. "Völlig überdimensioniert, nur damit ein Konzern seinen Profit maximiert", meint ein Einheimischer, der gerade sein Segelboot im Hafen flott macht. Eine junge Frau aus Oldenburg, die seit ihrer Kindheit an den Chiemsee kommt, fürchtet, dass mehr Luxushotels den Charakter der Gegend verändern. "Ich mag eigentlich, dass es hier so bodenständig ist", erklärt sie.
Eine junge Urlauberin aus Dresden sagt, ab und zu schätze sie Wellnessurlaub in einem großen Hotel. Doch sie sorge sich auch um die schöne Landschaft. Ein anderer Einheimischer meint jedoch: "Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung. Viele Menschen haben immer mehr Geld, und dementsprechend ändern sich die Angebote."
Wie es weitergeht mit dem Hotel Malerwinkel
Noch ist nicht klar, wann und wie das neue Hotel Malerwinkel gebaut wird. Der Gemeinderat hat dem Entwurf des Bauleitverfahrens Ende März zugestimmt, bei einer Gegenstimme. Der Investor hat die ursprünglichen Pläne bereits abgespeckt und zum Beispiel die Zahl der Zimmer nach unten korrigiert.
Den Gegnern reicht das nicht. Marion Uber deutet auf einen Flyer ihrer Bürgerinitiative. Schon jetzt würden sie Spenden sammeln – für eine mögliche Klage gegen das Projekt.
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