Einsatzkräfte der Polizei gehen 25.08. am Tatort in Solingen vorbei (Archivbild)
Bildrechte: picture alliance/dpa | Thomas Banneyer
Videobeitrag

Einsatzkräfte der Polizei gehen 25.08. am Tatort in Solingen vorbei

Videobeitrag
>

Nach Solingen: Wie kann man Messer-Angriffe verhindern?

Nach Solingen: Wie kann man Messer-Angriffe verhindern?

Schärferes Waffenrecht, Abschiebungen, Polizeikontrollen – drei Tage nach der Messerattacke in Solingen kommen auch aus Bayern viele Forderungen. Experten halten einige davon sogar für riskant.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es ist eine Tragödie, die sich nicht wiederholen soll: Drei Menschen wurden am Freitag beim Stadtfest in Solingen mit einem Messer getötet, acht weitere verletzt. Ein 26-jähriger Syrer sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat die Tat für sich beansprucht. Ob die Bekennervideos echt sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Politik diskutiert, was nun zu tun ist, um weitere Angriffe zu verhindern.

Kanzler will Waffenrecht verschärfen - SPD-Fraktion in Bayern nicht

Bundeskanzler Scholz (SPD) will als Reaktion unter anderem das Waffenrecht verschärfen. Von den bayerischen Grünen kommt Zustimmung: Gisela Sengl, Co-Landesvorsitzende der bayerischen Grünen, ist für ein Messerverbot. Dieses müsse aber auch kontrolliert werden können. Dafür brauche es mehr Personal bei der Polizei, sagt Sengl gegenüber dem BR.

Drei Menschen wurden beim Stadtfest in Solingen von einem Terroristen mit einem Messer getötet, acht weitere verletzt. Die Politik diskutiert, was nun zu tun ist, um weitere Angriffe zu verhindern.
Bildrechte: BR.de
Videobeitrag

Bundeskanzler Olaf Scholz in Solingen

Anders sehen das Scholz' Parteikollegen in Bayern: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Holger Grießhammer sagte dem BR, man habe in Deutschland bereits ein Waffenrecht, das es möglich mache, ein Messerverbot umzusetzen, auch bei Veranstaltungen wie der in Solingen. Man könnte Taten nicht komplett verhindern, "indem man die Waffengesetze nochmal anders ausgestaltet." Einig ist sich Grießhammer mit Kanzler Scholz aber in dem Vorhaben, Flüchtlinge ohne Aufenthaltsrecht konsequenter abzuschieben.

Söder und Merz: Verschärfung der Waffengesetze ist "Nebensächlichkeit"

Das hatte auch CSU-Chef Söder schon mehrfach gefordert: Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, und zwar auch in Richtung Syrien und Afghanistan. So hatte sich Söder etwa im ARD-Sommerinterview geäußert.

Bayerns Ministerpräsident warb außerdem erneut für eine Obergrenze für Flüchtlinge von 100.000 Menschen pro Jahr, sowie für mehr Polizeibefugnisse und eine flächendeckende Grenzpolizei, wie es sie in Bayern zusätzlich zur Bundespolizei gebe.

Die von der Ampel-Regierung geplante Verschärfung der Waffengesetze bezeichneten Söder sowie CDU-Chef Friedrich Merz am Abend bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Dresden als "Nebensächlichkeit". Es sei "barer Unfug", der in Wirklichkeit nichts bewirken würde, so Merz "Nicht die Messer sind das Problem. Die Leute, die sie herumtragen, sind das Problem."

CSU, Freie Wähler und AfD sind gegen Messerverbot

Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) machte indes klar, dass er nichts von der aktuellen Debatte um ein Messerverbot halte, wie es die Bundesregierung vorschlägt. Für ihn ist es eine "Ablenkungsdiskussion", weil der amtierenden Bundesregierung nichts Besseres einfalle "jetzt nur über Messerverbote zu reden, statt über die notwendigen Korrekturen in der Migrationspolitik". Herrmann sagte mit Blick auf die Messerattacke von Solingen und den Polizistenmord von Mannheim: "In beiden Fällen sind die Messer verboten gewesen. Und das hat die Täter offensichtlich nicht interessiert."

Auch die Freien Wähler und die bayerische AfD betonen: Es gehe jetzt nicht um Waffen, sondern um die Täter. Freie Wähler-Chef Aiwanger sagte, der Terror nehme zu, weil "zigtausende illegale Einwanderer nach Deutschland hereingelassen wurden". Unter ihnen befänden sich Gewalttäter und solche, die sich als Soldaten des IS sähen.

Der bayerische AfD-Abgeordnete Martin Böhm forderte als Reaktion auf den Angriff in Solingen "sichere Grenzen" und eine konsequente Rückführung derer, "die hier kein Aufenthaltsrecht haben". Wer Schutz genieße, müsse diesen nach einer Verurteilung umgehend verlieren, so Böhm.

Wissenschaftler fordern umfassende Prävention

Dirk Baier, Kriminologe von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) warnt davor, sich nach dem Angriff in Solingen auf die Gruppe der Asylbewerber und das Thema Abschiebung zu fokussieren. Von den 13.000 registrierten Straftaten mit Messern im vergangenen Jahr haben laut Baier Asylbewerber nur einen kleinen Teil begangen. Wenn man einzelne Gruppen für die Gefahr verantwortlich mache, dann "pauschalisieren wir, stigmatisieren wir, lösen Vorurteile in der Bevölkerung aus", so Baier.

Mit Blick auf Angriffe, wie jenen in Solingen, plädiert er stattdessen für breit angelegte Präventionsmaßnahmen: "Wir müssen auf verschiedenen Ebenen agieren". Dazu zählt er Nachrichtendienste und Polizei, die insbesondere auch im Blick haben sollten, was in den sozialen Medien passiere. Aber Baier hebt im BR-Interview auch speziell die Bedeutung von Sozialarbeit an Schulen und im öffentlichen Raum hervor: Diese seien zwar teuer – "aber bei denen wissen wir: Die funktionieren eher, als jetzt wieder beispielsweise härtere Strafen zu fordern oder das gesetzgeberisch umzusetzen."

Auch Terrorismus-Experte Peter Neumann vom Londoner King’s College sieht die Möglichkeit, bereits während des Radikalisierungsprozesses einzuschreiten. Dieser Prozess passiere nicht über Nacht, sondern dauere Wochen oder Monate. Da bekomme möglicherweise auch das Umfeld etwas mit. Neumann ist überzeugt: Der Staat müsse stärker im Internet ansetzen, wo sich potenzielle Täter sehr häufig radikalisierten.

Polizei hält Messerverbot für "Aktionismus"

Die Gewerkschaft der Polizei fordert insgesamt mehr Befugnisse. Ihr bayerischer Landesvorsitzender Florian Leitner sagte dem BR, es mangele an technischen Möglichkeiten wie Videoüberwachung. Den Vorschlag von Innenministerin Nancy Faeser, das Mitführen von Messern zu verbieten, bezeichnete er als "blinden Aktionismus" und als "nicht zielführend". Straftäter würden sich nicht an solche Verbote halten. Es sei "blauäugig", das zu glauben.

Auch von der bayerischen Sektion der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) kommt Kritik: Ein generelles Messerverbot sei kaum durchsetzbar. Man müsse die tieferliegenden Ursachen benennen: "ideologische Radikalisierung, soziale Marginalisierung oder auch psychische Erkrankungen". Um diese anzugehen, brauche es mehr Programme "zur Deradikalisierung, sozialen Integration und frühzeitigen Identifizierung von potenziellen Tätern".

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!