"Es geht an die Psyche. Wir überlegen, in ärztliche Behandlung zu gehen", sagt Bernhard Tolksdorf. Er sitzt am Tisch seines Esszimmers, vor ihm ein Aktenordner gefüllt mit Anwaltsschreiben, Mails und Gutachten. Eigentlich wollten er und seine Frau schon längst nicht mehr hier wohnen. Doch ihnen bleibt nichts anderes übrig.
Die Baufirma sollte das neue Zuhause am 5. Juni übergeben, vier Tage zuvor sucht das Hochwasser Offingen heim. Es steht an manchen Stellen 1,50 Meter in den Straßen der schwäbischen Gemeinde und flutet auch den Neubau. Dass er und seine Frau vorerst nicht einziehen können, war Tolksdorf klar. Das Wasser hatte eine Fensterscheibe im Wohnzimmer eingedrückt sowie Fußböden und Wände durchnässt. Die schon eingebaute Küche musste das Paar entsorgen.
Probleme an vielen Ecken
Doch fast acht Monate später stehen noch immer keine Möbel im Haus. Die Fensterscheibe wurde bislang nicht ersetzt, ein Messgerät zeigt erhöhte Feuchtigkeitswerte an manchen Wänden und Stellen am Fußboden. Die Baufirma habe das Haus nicht ausreichend getrocknet, mehrfach sei die Heizung ausgefallen, so der Vorwurf des Bauherrn. Türen im Haus lassen sich nicht richtig schließen, der elektrische Rollladen ruckelt. Doch die möglichen Feuchteschäden sind nicht das einzige Problem. Der Putz ist an einer Stelle abgeblättert, Dachziegel haben Risse, eine Regenrinne passt nicht auf das Ablaufrohr. Dabei war das Haus kein Schnäppchen.
Handwerker kommen nicht
"Mit Grundstück und Bodenplatte landen wir bei insgesamt 800.000 Euro", sagt der Bauherr. Eigentlich wollte er die Wohnung, in der er jetzt noch lebt, vermieten, um so die Rate für sein Haus stemmen zu können. Stattdessen kommen nun weitere Kosten für einen Anwalt oder Lagergebühren für die Möbel, die er schon fürs neue Heim bestellt hatte, hinzu. Jeden Tag besucht er sein Haus. "In den letzten Wochen waren leider kaum Handwerker hier", so Tolksdorf.
Rechte des Bauherrn
Andreas Alt ist Sachverständiger beim Verband Privater Bauherren in Ulm. Er hatte ein Gutachten über das Gebäude erstellt. Die gute Nachricht – Mängel müssen beseitigt werden – ein Hausbesitzer hat auch nach der Bauabnahme fünf Jahre Gewährleistung, sollten Probleme auftreten. Die Baufirma müsse aber eine angemessene Frist zur Nachbesserung bekommen. "Der Käufer sollte nicht alles sofort zahlen, sondern kann einen Teil der Summe einbehalten, bis alle Defizite abgestellt sind", sagt Alt.
Sachverständige begleiten Bauvorhaben
Er rät, schon im Vertrag einen Termin festzulegen, wann das Haus bezogen werden kann. Der Verband bietet eine Begleitung für Bauvorhaben an. Ein Fachanwalt formuliert Verträge im Sinne des Kunden um, Sachverständige prüfen einzelne Bauabschnitte. 4.000 bis 5.000 Euro kostet das komplette Programm für ein Einfamilienhaus. Ein Verzug der Arbeiten durch höhere Gewalt wie durch ein Hochwasser komme vor, weil Handwerker dann vielerorts gebraucht werden, so Alt. "Aber nach über einem halben Jahr, wie in Offingen, sollten Engpässe vorbei sein."
Unternehmen reagiert
Die Baufirma antwortet auf Anfrage, dass durch das Hochwasser viel zurückgebaut und wiederaufgebaut werden musste. Die Abstimmung mit der Versicherung habe zudem Wochen in Anspruch genommen, schreibt der Geschäftsführer.
"Die Arbeiten erforderten oft Vorbereitungen außerhalb der Baustelle, etwa in Form von Materialbeschaffung, Terminabstimmungen. Daher kann es phasenweise so wirken, als seien weniger Handwerker vor Ort, obwohl die Arbeiten insgesamt planmäßig fortgeführt werden", heißt es in der E-Mail. Aktuell sei geplant, dass die Abnahme des Hauses Anfang Februar stattfinden könne.
Bauherr erwägt Klage
Bernhard Tolksdorf mag daran nicht so recht glauben. In seinen Händen hält er eine Liste mit 23 Positionen, die seiner Ansicht nach noch erledigt werden müssen. "Ich werde kein Haus abnehmen, das nicht abnahmefähig ist. Notfalls werden wir klagen", sagt Tolksdorf und blickt durchs Fenster auf die Häuser in der Nachbarschaft. "Dort ist alles längst wieder normal. Nur nicht bei uns."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!