Die Grünen haben eine turbulente und aufreibende Woche hinter sich. So musste ihr Politischer Aschermittwoch im baden-württembergischen Biberach wegen massiver Proteste abgesagt werden, auch in Schorndorf kam es zu Anfeindungen. In Bayern blieb es zwar friedlich, aber hier machte CSU-Chef Markus Söder mit verbalen Attacken Schlagzeilen: So verglich er in seiner Rede Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) mit Margot Honecker.
Nouripour: Auch bei Witzen gibt es "eine Grenze"
Der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, kritisierte den bayerischen Ministerpräsidenten dafür am BR Sonntags-Stammtisch scharf. Er erklärte: "Steffi Lemke hat in der DDR, weil sie nicht systemkonform war, nicht studieren dürfen, was sie wollte, und hat am Ende mit der Bürgerrechtsbewegung demonstriert." Deswegen sei Söders Vergleich "nicht okay".
Söder hatte Lemke in seiner Rede beim politischen Aschermittwoch in Passau als "grüne Margot Honecker" bezeichnet. Sie sei ein "Musterbeispiel" für immer neue Auflagen gegen Bauern, sagte er, und forderte "Freiheit für die Fleißigen". Nouripour zufolge müssten nicht alle Witze "super sauber" sein. Aber: "Es gibt auch eine Grenze - die gibt eigentlich der gesunde Anstand vor."
Auch der ehemalige Skirennläufer Christian Neureuther, Stammgast am Sonntags-Stammtisch, fand Söders Vergleich "grenzwertig". Denn: "Da geht es in einen Bereich, das hat auch nichts mehr mit Aschermittwoch zu tun."
Nouripour war diese Woche zum ersten Mal beim Aschermittwoch der bayerischen Grünen dabei. Auf Nachfrage von Moderator Hans-Werner Kilz, ob ihm der Aschermittwoch im Rheinland, wo er letztes Jahr geredet hatte, oder in Bayern besser gefallen habe, fällte Nouripour ein klares Urteil: "Kölner, tut mir echt leid, Landshut ist einfach das Beste."
Nouripour appelliert an parteiübergreifende Solidarität
Doch nicht überall verlief der politische Aschermittwoch der Grünen so launig wie in Landshut: So musste die Partei ihren Aschermittwoch im baden-württembergischen Biberach wegen massiver Proteste - unter anderem von Landwirten - absagen. Dort wurden Polizeibeamte attackiert, Straßen blockiert, ein Misthaufen vor die Stadthalle gekippt und die Scheiben eines Autos eingeschlagen. Auf der Veranstaltung hätte auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann reden sollen. Auch in Schorndorf in Baden-Württemberg heizte sich die Stimmung auf, Nouripours Co-Vorsitzende Ricarda Lang wurde von Störern beschimpft und verfolgt.
Am Stammtisch erklärte Nouripour, dass er "total dankbar" dafür sei, dass Vertreter anderer Parteien wie FDP, CDU und SPD sehr schnell deutlich gemacht hätten, "dass sie das, was in Biberach passiert ist, entsetzlich finden". Er würde dasselbe machen, wenn beispielsweise "Steine auf Aiwanger fliegen würden", betonte Nouripour. "Dann wäre es mein Job, als Erster aufzustehen und zu sagen: Das ist keine Option."
Politikwissenschaftlerin Münch kritisiert Rolle der Polizei bei Ausschreitungen
"Extrem befremdlich und extrem erschreckend" fand Politikwissenschaftler Ursula Münch, ebenfalls Stammgast am Sonntags-Stammtisch, die teils gewaltsamen Protestaktionen in Biberach. Sie kritisierte auch die Rolle der Polizei: Wenn der Ministerpräsident in seinem Bundesland nicht mehr auftreten könne, sei das ein Problem: "Dann frage ich mich ehrlich gesagt, was ist dort mit der Polizei los gewesen?" Sie wies darauf hin, dass das Innenministerium in Baden-Württemberg von der CDU geführt wird - da komme man zumindest "ins Nachdenken".
Auch vor dem BR-Studio in Dachau, aus dem der Sonntags-Stammtisch gesendet wird, hatten sich Landwirte versammelt, um mit dem Bundesvorsitzenden der Grünen zu sprechen. Das spontane Zusammentreffen verlief friedlich und konstruktiv. Für Nouripour eine positive Erfahrung: Er habe mit den Bauern ein "super schönes Gespräch" geführt, auch wenn man nicht überall einer Meinung gewesen sei, sei man "respektvoll" miteinander umgegangen.
Journalist besorgt angesichts Übergriffe auf grüne Politiker
Auch der Chefredakteur des "Stern", Gregor Peter Schmitz, äußerte sich besorgt über die aufgeheizte Stimmung, die vermehrt in Übergriffen auf Politiker gipfelt. So habe er vor ein paar Wochen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und dessen Angst vor einem möglichen Attentat gesprochen. Man könne an Habeck "sehr vieles kritisch sehen", meinte Schmitz, aber: Er habe sich immer bemüht, ein "Brückenbauer" zu sein. Mittlerweile würde Habeck so stark polarisieren, "dass die Leute denken, sie können ihm alles vor den Latz knallen und ihn sogar auf einer Fähre angreifen."
Nouripour: Auftreten der Ampel-Regierung nicht vertrauensfördernd
Nouripour äußerte sich auch kritisch über die eigene Regierung: "Es ist nicht so, dass die derzeitige Koalition die Leute dazu bringt, dass sie von selbst Purzelbäume schlagen den ganzen Tag." Ursula Münch hakte nach, ob er damit meine, dass die Bundesregierung ihre Arbeit besser machen müsse. Der Grünen-Chef verwies darauf, dass er eher die Kommunikation als Problem sehe: "Ich glaube, dass wir gar nicht so schlecht arbeiten, aber dass wir sehr viel kaputt reden." Das Auftreten der Regierung sei auf jeden Fall nicht vertrauensfördernd: "Wir könnten deutlich mehr Vertrauen aufbauen."
Zuletzt hatte die Ampel-Regierung wegen der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber für Schlagzeilen gesorgt - es steht der Vorwurf im Raum, die Grünen würden diese torpedieren. Dazu sagte Nouripour, es gebe keine Blockade, "weil es gar keine Verhandlung gibt und gar keine Notwendigkeit gibt". Die Ministerpräsidenten hätten beschlossen, die Bezahlkarte einzuführen: "14 Bundesländer sagen, dass sie das machen wollen, und es gibt schon erste, die es schon eingeführt haben."
Mit der Bezahlkarte soll unter anderem verhindert werden, dass Flüchtlinge Geld an Schlepper oder an ihre Familien ins Ausland überweisen. Uneinig sind sich die Ampel-Parteien jedoch in der Frage, ob für die Einführung der Karte eine bundesgesetzliche Regelung nötig ist. Vertreter der Fraktionen von FDP und SPD sprachen sich am Samstag in Berlin dafür aus - die Grünen im Bundestag halten die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten hingegen für ausreichend.
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