Der aus Sachsen stammende Ralf Marschner war in den 1990er-Jahren ein bundesweit bekannter Neonazi-Kader und zugleich wichtigster V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Osten. Nach Recherchen des investigativen Rechercheteams von Bayerischem Rundfunk und Nürnberger Nachrichten hatte der V-Mann schon Ende der 1990er Jahre Kontakte in die rechtsextreme Hooliganszene Nürnbergs geknüpft. Doch wer ist Ralf Marschner überhaupt?
Gewalttätiger Neonazi wurde V-Mann "Primus"
Ralf Marschner wohnte von 1990 bis 2007 im sächsischen Zwickau, war dort in der Neonaziszene verankert, spielte in einer Rechtsrock-Band, war im Hooligan-Milieu aktiv und betrieb zwei rechte Szeneläden. Nach Behördenangaben war er in "szenetypische Straftaten" verwickelt, so wurde beispielsweise wegen des gewalttätigen Angriffs auf eine Flüchtlingsunterkunft 1991 gegen ihn ermittelt. Nach dieser Tat wurde er 1992 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als V-Mann angeworben und stieg rasch zur wichtigsten Quelle des Geheimdienstes auf. Sein interner Name: "Primus", also "der Erste". Sein ehemaliger V-Mann-Führer beschrieb ihn als "einzig relevante Quelle" in der rechten Szene im Osten.
Beschäftigte Marschner einen NSU-Terroristen?
Doch Marschner werden auch Kontakte zum NSU-Terrornetzwerk nachgesagt. Ein ehemaliger Mitarbeiter will den Terroristen Uwe Mundlos in der Zwickauer Abbruch-Firma des Verfassungsschutz-Spitzels erkannt haben. Mundlos soll dort von Marschner während der Mordserie "als eine Art Vorarbeiter" unter dem Alias-Namen Max-Florian B. eingesetzt worden sein. Diese Recherche von Welt-Journalisten konnte allerdings nie abschließend geklärt werden. Ebenfalls konnte bislang nicht geklärt werden, ob das NSU-Kerntrio für seine Morde in Bayern Autos genutzt haben könnte, die Marschner angemietet haben soll. Marschner gilt nicht nur deswegen als eine der Schlüsselfiguren im NSU-Komplex.
Marschners Spuren in die Nürnberger Hooligan-Szene
1997 hatte der Spitzel des Verfassungsschutzes in seinem Propaganda-Magazin "Voice of Zwickau" den Text "Pressefreiheit, das Recht zu lügen. . .?" veröffentlicht, den Sicherheitsbehörden anhand einer Schriftanalyse 2012 Uwe Mundlos zuschrieben. Auf der letzten Seite des Magazins grüßt Marschner an erster Stelle sehr prominent "Troublemaker-Florian aus Nürnberg, Alex und Dicker". Nachforschungen des investigativen Rechercheteams von BR und NN haben ergeben: Hinter diesen Spitznamen steckten damals rechtsextreme Hooligans aus Nürnberg, die der Hooligan-Gruppe "Red Devils" angehört haben sollen. Einer von ihnen gründete einst die Marke "Troublemaker Streetwear". Diese Informationen bestätigten Angehörige aus der Nürnberger Fußball-Szene dem Rechercheteam.
Behörden listeten Nürnberger Hooligans als Rechtsextreme
Alle drei Nürnberger Hooligans listeten sowohl Polizei als auch Verfassungsschutz seit Ende der 1990er Jahre als Rechtsextremisten mit Verbindungen zu lokalen Neonazis. Demnach hatten die drei Hools auch zur Führungsspitze der später verbotenen "Fränkischen Aktionsfront" (FAF) Kontakt. Das bestätigte auch ein ehemaliger Kader der FAF dem Rechercheteam. Dirk B. und Alexander K. unterhielten laut Recherchen des BR/NN-Teams in den 1990er Jahren das Rechtsrocklabel Di-Al-Records. Dirk B. wurde zudem in den 1990er Jahren vom Verfassungsschutz gar als Kader der Neonazi-Szene im Raum Fürth geführt. Das geht aus internen Unterlagen des Geheimdienstes hervor, die dem Rechercheteam vorliegen.
Ein ehemaliger Aktivist der mittlerweile ebenfalls verbotenen Gruppe "Blood and Honour" wiederum gab Sicherheitsbehörden gegenüber an, der Nürnberger Hooligan Alexander K. habe als Security-Chef bei Neonazi-Konzerten fungiert. Die enorme Bedeutung der drei Nürnberger Hooligans in der rechtsextremen Szene zeigt auch das CD-Cover der Neonazi-Band "Soldiers of Freedom" von 1999. Darin dankt die Band unter anderem den "Red Devils, Dirk B.+ Frau und Alex". Auch der V-Mann Ralf "Manole" Marschner wird auf dem Cover von der Band gegrüßt.
- Zum Artikel: Einblicke in die Nürnberger Hooligan-Szene
Kripo hatte Hooligans während der Mordserie im Visier
Nach neun Morden an Migranten zogen Fallanalytiker des Bayerischen Landeskriminalamts auch rassistische Motive der Täter in Betracht. Aufgrund dieser These führte die Nürnberger Kriminalpolizei 2006/2007 sogenannte Gefährderansprachen bei Rechtsextremen durch. Einer der Kontaktierten war der Hooligan Florian K., der in Marschners Magazin gegrüßt wurde. K. wollte nichts mit der Mordserie zu tun haben und zeigte sich "ungehalten über die Ansprache", wie es ein Kripo-Beamter in einem internen Vermerk beschrieb, der der Redaktion vorliegt. Jedoch: Nach den Gefährderansprachen bei Neonazis riss die NSU-Mordserie an Migranten plötzlich ab. Ein mögliches Indiz dafür, dass die Ansprachen bei den neun Nürnberger Rechtsextremen Wirkung zeigten: Die rechte Szene und die bis dato unentdeckten NSU-Terroristen waren gewarnt.
NSU-Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit Thema
Als das BR/NN-Rechercheteam schon einmal im Jahr 2018 über die Verbindungen der drei Nürnberger Hooligans zu Ralf Marschner berichtete, gab die Hooligan-Gruppe "Red Devils" eine Stellungnahme ab. In dieser heißt es: "In keiner Art und Weise waren/sind die Mitglieder der Red Devils jemals als Unterstützer des NSU aktiv gewesen, noch haben wir jemals irgendein politisches Netzwerk unterstützt." Zudem würde die Gruppe bundesweit einen "hervorragenden Namen in der Hooliganszene" besitzen und will daher nicht mit den "hinterhältigen Morden in Verbindung gebracht" werden. Dennoch soll im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern den Verbindungen von Marschner in die Nürnberger Hooligan-Szene nachgegangen werden. Der V-Mann Marschner allerdings kann kaum vorgeladen werden. Denn er setzte sich ins Ausland ab, lebt und arbeitet in Liechtenstein und der Schweiz. Bisherige Vorladungen von deutschen Parlamenten ignorierte der ehemalige V-Mann laut Medienberichten.
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