Der ein oder andere Passant in Nürnberg dürfte sich am Mittwoch wohl etwas gewundert haben: Am Rathenauplatz standen fünf Pfarrerinnen und ein Pfarrer in ihren kirchlichen Gewändern. Einige Leute blieben mit etwas Abstand stehen, guckten neugierig und gingen dann weiter. Andere kamen mit den Geistlichen aus dem Nürnberger Norden ins Gespräch.
PopUp Church: Pfarrer gehen zu den Menschen
Die evangelische Kirche im Dekanat Nürnberg hat am gestrigen Buß- und Bettag zum ersten Mal das Konzept der PopUp Church ausprobiert. "Kirche ist für alle da", sagt Pfarrerin Tia Pelz, im Gespräch mit BR24. Und da die Menschen nur noch selten in die Kirchengebäude kämen, kommen die Pfarrerinnen und Pfarrer eben raus zu den Menschen.
Zuerst sei es schon eine Überwindung gewesen, in kirchlicher Robe, "mit Talar auf dem Fußweg zu stehen". Die Aktion sei bei den Nürnbergern aber "total gut" angekommen.
Theologe: "Eigentlich ist es urchristlich"
Doch hat das noch viel mit Kirche zu tun oder wird hier von Geistlichen verzweifelt versucht, sich noch irgendwie ins Gespräch zu bringen? "Es ist natürlich eine ungewöhnliche Aktion", sagt Christian Albrecht, Professor für Praktische Theologie und mediale Kommunikation an der LMU in München. Nicht die Menschen gingen auf die Pfarrer, sondern die Pfarrer auf die Menschen zu. Doch "eigentlich ist es urchristlich", so der Theologe zu BR24. In den Anfängen sei viel über den Glauben auf den Marktplätzen gesprochen worden.
Verschiedene Aktionen in Bayern
Unter dem Begriff PopUp Church sind in den vergangenen Jahren einige kreative Aktionen der Kirchen in Bayern entstanden. Immer ging es darum, den bekannten Kirchenraum zu verlassen und etwas Überraschendes zu tun. So wurde vergangenes Jahr in Landshut für einen Monat eine PopUp-Kirche in einem Ladengeschäft mitten in der Einkaufsmeile eröffnet. In Augsburg fahren die Geistlichen der Gemeinde St. Paul zu verschiedenen Anlässen mit einer Ape (Kleintransporter) durch den Stadtteil und veranstalten bei der Feuerwehr, im Park oder am Fluss PopUp-Gottesdienste.
PR-Gag der Kirche?
Welchen Sinn haben diese Angebote? Sind sie ein PR-Gag im Rahmen einer geschickten Marketingkampagne der Kirche? "Wenn es nur eine PR-Aktion wäre, wäre es zynisch", sagt Professor Albrecht, "weil einen die Menschen dann nicht interessieren". Zwei Bedingungen müssten erfüllt sein, dass man nicht von einer Werbekampagne sprechen könne: "Die Pfarrerinnen und Pfarrer reden mit den Menschen, weil sie ein wirkliches Interesse haben." Und: Sie müssten dies nicht in einer kirchlichen Fachsprache tun, "sondern eine Sprache finden, die die Menschen verstehen".
Pfarrerin Tia Pelz ging es bei der Aktion am Nürnberger Rathenauplatz weniger um das Selbstreden, sondern ums "Zuhören und gute Fragen stellen". Die Gespräche seien teilweise von Null auf 100 gestartet, erzählt sie, manche Menschen hätten Tränen in den Augen gehabt. Möglich sei dies aus ihrer Sicht, weil viele in der kurzen Begegnung auf der Straße einen "geschützten Rahmen" sehen würden. "Weil man weiß, dass man diese Leute nie wieder sieht" - anders als den Pfarrer vor Ort.
"Kirche ein Gesicht in der Öffentlichkeit geben"
Ziel sei es gewesen, so Pelz, "Kirche ein Gesicht in der Öffentlichkeit zu geben". Dass man damit die Leute nicht zurück in den traditionellen Gottesdienst holt, ist allen Beteiligten klar. Es wäre sogar ein Fehler, diesen Hintergedanken zu haben, sagt Professor Albrecht: "Die Aktion hat Menschen hoffentlich gut getan"; wenn man sie mit anderen Zielen verknüpfe, dann verfehle sie ihren Sinn. Würden die Menschen merken, "die wollen mich zu irgendwas bringen", würden sie ablehnend reagieren, so Albrecht.
Auch wenn kein messbarer Erfolg oder Vorteil für die Kirchen entstehe, findet er die PopUp-Church-Aktionen richtig. Es zeige zum einen, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer wahrnähmen, dass sich die Welt und das Leben der Menschen verändere und es neue Formen brauche, um auf sie einzugehen. Zum anderen werde erkannt, dass nur eine angemessene Sprache die Menschen spüren lasse: "Hier wird mein Leben zum Thema" - und alles, was dazu gehöre.
Pfarrerin: Bedarf an Seelsorge ist weiterhin groß
"Jede positive Erfahrung, die Menschen mit Kirche machen, ist ein Gewinn für die Kirche", findet Pfarrerin Pelz. Die meiste Seelsorge sei punktuell, egal, ob in einem Kirchengebäude oder auf der Straße. Und der Bedarf an Seelsorge sei nicht kleiner geworden, wie die Aktion gezeigt habe - nur kämen die Leute nicht mehr mit ihren Sorgen und Nöten in die Kirchen.
"Nähe zeigen" mit der PopUp-Kirche in Landshut
Eine ähnliche Erfahrung hat auch Doris Bauer gemacht. Sie ist beim Evangelischen Bildungswerk tätig und war für die Organisation der PopUp-Kirche in der Landshuter Einkaufsmeile verantwortlich. Noch heute, ein Jahr danach, würden die Leute bei ihr anfragen, wann es denn wieder ein solches Projekt gäbe, sagt sie im Gespräch mit BR24. Vielleicht ein kleiner Gradmesser für den Erfolg.
Aber auch Doris Bauer sagt, der Erfolg von PopUp Church lasse sich nicht an Zahlen ablesen. Alles finde im Kleinen statt, kurze Gespräche und Begegnungen. Es gehe darum, "wieder Nähe zu zeigen". In einem Ladenlokal konnte man damals eine Kombination verschiedener kirchlicher Angebote finden. Im vorderen Bereich präsentierte die Diakonie Vintage-Kleidung, im hinteren Bereich befanden sich ein Begegnungscafé und eine Leseecke, in denen das Evangelische Bildungswerk Vorträge anbot.
Kirche sei mehr als nur ein Gebäude, sagt Bauer. Es seien die Menschen, die Kirche ausmachten, die Hilfswerke und -angebote, Bildungsträger und vieles mehr. Wenn die Leute durch die PopUp-Kirche wieder sehen würden: "Aha, dafür zahle ich meine Kirchensteuer", dann wäre dies schon ein Erfolg.
- Zum Artikel: Männergottesdienst – Geistliches von Männern für Männer
Aktionen wirken sich auch positiv auf die Pfarrer selbst aus
Auch wenn es zuvorderst darum geht, Kirchenferne mit der PopUp-Church zu erreichen: Die Aktionen wirken sich auch positiv auf die Pfarrerinnen und kirchlichen Mitarbeiter selbst aus. In Landshut organisiert Doris Bauer mit vielen anderen in diesem Jahr ein großes Weihnachtssingen im Eisstadion mit 18 Chören und der ganzen Bevölkerung. Den Mut zu einem solchen Projekt habe ihr die Aktion im vergangenen Jahr gegeben, sagt sie.
Pfarrerin Tia Pelz spricht ebenfalls von einer "Win-win-Situation": "Wir haben gemerkt, dass unsere Fragen Relevanz haben." Von den Kolleginnen und dem Kollegen, die mit ihr an der Aktion teilgenommen hätten, seien nur positive Rückmeldungen gekommen. "Das gibt Energie."
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