Erst Helden, jetzt krank: Bei knapp 20.000 Pflegekräften in Bayern ist der Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit gemeldet.
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Erst Helden, jetzt krank: Bei knapp 20.000 Pflegekräften in Bayern ist der Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit gemeldet.

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Post Covid: Erkrankte Pflegekräfte fühlen sich alleingelassen

Post Covid: Erkrankte Pflegekräfte fühlen sich alleingelassen

Zehntausende Pflegekräfte haben in der Pandemie viel geleistet und kämpfen bis heute mit den Folgen einer Corona-Infektion. Statt unbürokratisch Hilfe zu erhalten, müssen sie oft jahrelang um die Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit kämpfen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Während der Corona-Pandemie als Helden beklatscht, weil sie sich um kranke und alte Menschen gekümmert haben, fühlen sich heute viele Pflegekräfte nach einer eigenen Covid-19-Erkrankung oft alleingelassen. Sie leiden unter den Folgen der Infektion, sind zum Teil schwer krank.

So geht es auch Altenpflegehelfer Josef Zöllner aus Niederbayern. Er möchte anonym bleiben und hat diesen Namen gewählt. Zöllner arbeitete jahrzehntelang als Pflegekraft. Im Dezember 2020 hat sich der 54-Jährige bei der Arbeit in einem Altenheim mit Corona angesteckt. Seitdem leidet er an Post Covid.

Post Covid: Erschöpfung, Schwindel, Schmerzen

Die Symptome kommen immer wieder in Schüben: enorme Erschöpfung, Müdigkeit, Schwindel, bleierne Füße, Konzentrationsschwierigkeiten, Wortfindungsstörungen, Kopfschmerzen, "als würden 100 Nadelstiche in den Kopf sausen", beschreibt Zöllner sein Leiden. Anfangs war er wütend und verzweifelt über seinen Zustand. Inzwischen hat er es akzeptiert. Medizinischen Beistand bekommt er von seinem Hausarzt – Unterstützung von seiner Familie und Freunden.

Anerkennung als Berufskrankheit: Kampf seit vier Jahren

Der Altenpflegehelfer möchte unbedingt wieder arbeiten, sein Beruf sei seine Berufung, sagt der Familienvater. Aber er schafft es nicht. Er hat keine Kraft, keine Ausdauer. Dazu kommt der Kampf um die Anerkennung seiner Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit mit der "Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege" (BGW). Das zieht sich seit vier Jahren und bedeutet: Immer wieder Formulare ausfüllen, Termine bei Fachärzten und Gutachtern machen und warten. "Das ist so anstrengend und zermürbend", sagt Zöllner. "Wenn ich der BGW etwas schicke, bekomme ich keine Antwort oder sechs Wochen später erneut einen Fragebogen mit 22 Seiten zum Ausfüllen."

Ziel: Kostenerstattung, Verletztengeld, medizinische Versorgung

Die akute Erkrankung Covid-19 werde als Berufskrankheit anerkannt, wenn der Betroffene im Gesundheitsdienst oder in der Wohlfahrtspflege tätig sei, sich infolge seiner beruflichen Tätigkeit infiziert habe und an Corona erkrankt, teilt die BGW auf BR24-Anfrage mit. Post Covid gilt nicht als Berufskrankheit. Ärzte und Arbeitgeber sind verpflichtet, den Verdacht auf eine Berufskrankheit der BGW zu melden. Dabei geht es um Kostenerstattungen etwa für Medikamente, aber auch um eine bessere medizinische Versorgung bei Therapien und Reha, Verletztengeld und Verletztenrente.

Für knapp 20.000 Alten- und Krankenpflegekräfte in Bayern sei bisher der Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit gemeldet worden, so die BGW. Gut die Hälfte wurde als Berufskrankheit anerkannt. Die wenigsten, knapp 300 Pflegekräfte, sind laut BGW längerfristig krankgemeldet und fallen somit unter Post Covid. Aber das Verfahren zur Anerkennung dauert meist Jahre.

Berufsgenossenschaft: Fälle sind extrem gestiegen

Die lange Bearbeitungszeit der Berufsgenossenschaft habe verschiedene Gründe, so die BGW. So seien die Fälle zur Berufskrankheit seit Corona explosionsartig gestiegen: In den Jahren vor der Pandemie erreichten die BGW pro Jahr etwa 12.000 Verdachtsmeldungen auf eine Berufskrankheit. In der Hochzeit der Pandemie waren es dann über 8.000 Verdachtsmeldungen wöchentlich allein für Covid-19.

Bis heute sind es bundesweit insgesamt etwa 417.000 Meldungen. Außerdem steht laut BGW für die medizinische Abklärung des Post-Covid-Syndroms nur eine begrenzte Kapazität von fachlich versierten Sachverständigen zur Verfügung. Zudem seien die Symptome bei Post Covid vielfältig und hinsichtlich ihrer jeweiligen Ursachen wissenschaftlich noch nicht alle durchgängig geklärt. Auch seien die Beschwerden oft nicht klar von Vorschäden oder Vorerkrankungen abzugrenzen.

"Wichtig, Entscheidungen der Berufsgenossenschaft zu prüfen"

Der Sozialverband VdK berät die betroffenen Pflegekräfte. Daniel Overdiek von der Rechtsabteilung in München stellt fest: Die Post-Covid-Beratungen in Bayern haben zugenommen – 14.000 waren es allein im vergangenen Jahr. "Es ist sehr wichtig, die Entscheidungen der Berufsgenossenschaft kritisch zu überprüfen, weil in einem Gutachten manchmal nicht alles erfasst wird, was tatsächlich wichtig ist", erklärt der Jurist.

Altenpflegehelfer Josef Zöllner muss also weiter warten, bis entschieden wird, ob seine Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird. Sein größter Wunsch sei es, erzählt er, wieder so fit zu werden wie vorher. Er will wieder der Alte werden. Nach dem Interview ist er sichtbar erschöpft und blass. Er muss sich hinlegen.

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