Heimlich aufgenommene Bilder in einem Milchviehbetrieb in Bad Grönenbach im Sommer 2019 waren der Auslöser des Allgäuer Tierschutzskandals.
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Die Tierschutzorganisation "Soko Tierschutz" hat mit solchen Bilder den Skandal um mehrere Milchviehbetriebe im Allgäu öffentlich gemacht.

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Prozess zum Allgäuer Tierschutzskandal - darum geht's

Verwahrlost, gequält und unterversorgt: Im Allgäuer Tierschutzskandal geht es um das Wohl von rund 5.500 Tieren. Im Fokus stehen fünf Milchviehbetriebe, drei davon im Unterallgäu. Gegen einen startete heute der Prozess am Landgericht in Memmingen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ein Landwirt tritt einem Kälbchen ins Gesicht. Eine lebende Kuh wird am Strick mit einem Radlader durch den Stall geschleift. Ein krankes Tier liegt schwer atmend im Stroh. Diese Bilder sind im Sommer 2019 von Tierschützern in einem Milchviehbetrieb mit über 2.000 Tieren in Bad Grönenbach im Allgäu aufgenommen worden. Sie waren Anstoß für weitere Ermittlungen und der Anfang des Allgäuer Tierschutzskandals.

Im Fokus auch drei Betriebe aus dem Unterallgäu

Drei Milchviehbetriebe aus dem Unterallgäu waren betroffen. Zwei der Betriebe gehören zu den größten in Bayern. Der, aus dem die Bilder der Tierschutzorganisation "Soko Tierschutz" stammen, hatte damals mehr als 2.000 Rinder. Der zweite Betrieb war ähnlich groß, der dritte kam auf einen Bestand von circa 500 Tieren. Gegen diesen beginnt an diesem Dienstag der Prozess am Landgericht in Memmingen.

Verantworten müssen sich zwei Landwirte. Es sind Vater (68) und Sohn (25). Den beiden werden zahlreiche Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vorgeworfen. Sie sollen Rinder nicht ausreichend versorgt haben, sodass diese verwahrlosten und erkrankten, heißt es in einer Pressemitteilung des Landgerichtes.

Für die Verstöße gegen das Tierschutzgesetz könnten die beiden jeweils eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe bekommen. Ein Urteil wird Ende Oktober erwartet.

Langwierige Ermittlungen

Laut Landgericht Memmingen werden die Prozesse gegen die anderen beiden Milchviehbetriebe in Bad Grönenbach nächstes Jahr verhandelt. Warum die Ermittlungen so aufwendig waren, erklärte die Staatsanwaltschaft noch während der laufenden Ermittlungen damit, dass wegen jedes einzelnen in Verdacht stehenden Verstoßes ermittelt und eine sachverständige Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) eingeholt werden müsse. Konkret heißt das, dass jedes einzelne Tier untersucht werden musste, um alle Verletzungen festzustellen.

Viele kranke und verletzte Tiere

Das LGL hat insgesamt über 5.000 Tiere auf den drei betreffenden Betrieben, inklusive den zugehörigen Betriebsteilen, begutachtet. Wie die Behörde dem BR mitteilte, fand sie bei 652 Tieren Auffälligkeiten. "Es wurden Lahmheiten, Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule, der Gliedmaßen und/oder Euter sowie sonstige Erkrankungen in unterschiedlicher Ausprägung festgestellt", sagte ein Sprecher des LGL. Es seien im Verhältnis zur Gesamttierzahl zum Teil verhältnismäßig viele erkrankte und verletzte Tiere vorgefunden worden.

Als der Tierskandal aufgedeckt wurde, kam die Frage auf, warum das Unterallgäuer Veterinäramt nicht strenger kontrollierte. Der damalige Landrat Hans-Joachim Weirather sagte damals, dass der Freistaat seine jahrelangen Bitten um mehr Personal ignoriert habe. Doch wie ist die Lage heute?

Zu wenig Personal

Im Gegensatz zum Jahr 2019 habe das Veterinäramt statt fünf Amtstierarzt-Stellen nun sieben, sagte Veterinäramtsleiter Dr. Alexander Minich dem BR. Dazu noch eine zeitlich befristete Aushilfe. Das ist laut ihm schon eine Verbesserung: "Wenn alle sieben Amtstierärzte voll eingearbeitet und vor allem auch tatsächlich im Dienst sind, sollte eine Entlastung deutlicher spürbar sein."

Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch seien die vielfältigen Aufgaben des Veterinäramtes nach wie vor nicht im erforderlichen Umfang zu schaffen. Zudem seien die Stellen durch Mutterschutz und Elternzeit auch nicht alle besetzt. "Mit jeder weiteren Stelle, die vollumfänglich besetzt ist, steigt natürlich auch die Zahl der Kontrollen. Aber es ist eben nur das möglich, was der Personalpool hergibt", sagt Minich. Seiner Meinung nach fehlt ein ausreichend großer Pool an Springern, zum Beispiel zur Elternzeit-Vertretung.

Eigene Kontrollbehörde geschaffen

Um Großbetriebe in der Region besser kontrollieren zu können, hat die Kontrollbehörde KBLV (Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen) im Jahr 2020 einen eigenen Standort in Buchloe eingerichtet. Im Unterallgäu ist sie damit, laut Landratsamt Unterallgäu, für drei Rinder-Großbetriebe zuständig. Zwei davon sind in den Allgäuer Tierschutzskandal verwickelt.

Der Landkreis gehört mit 121.059 Rindern (Stand: 15.09.2022) zu den viehreichsten in ganz Bayern und hat damit fast so viele Rinder wie Einwohner. Im Moment leben rund 148.000 Menschen im Unterallgäu. Nach Angaben des Landratsamtes gibt es insgesamt 1.411 rinderhaltende Betriebe, davon drei Großbetriebe. Laut Landratsamt gilt dieser Begriff je nach Auslegung ab 800 Rindern.

Keine Verstöße seit 2021

Die KBLV kontrolliere regelmäßig, so ein Sprecher der Behörde. In der Dienststelle der KBLV in Buchloe sind derzeit 10 Fachkontrolleure sowie drei Mitarbeitende im Bereich Recht und Vollzug tätig.

Die letzten Kontrollen haben am 6., 14. und 15.09.2022 stattgefunden, sagte ein Sprecher der KBLV dem BR. Dabei seien keine Verstöße im Bereich Tierschutz festgestellt worden. Und weiter: "Insbesondere nicht erfolgte/zu späte Behandlungen erkrankter Tiere, unsachgemäßer innerbetrieblicher Transport, grober Umgang mit Tieren oder unzureichende Versorgung wurden im Rahmen der Kontrollen seit Frühjahr 2021 auf keinem der Betriebe festgestellt."

Die Sicht der Tierschützer

Die Kontrollen hätten sich ein Stück weit verbessert und Bayern sei momentan führend bei der Verfolgung von Tierschutzvergehen, sagt Friedrich Mülln, Vorsitzender von "Soko Tierschutz". Der Tierrechtsverein hatte damals den Skandal aufgedeckt. "Für die Tiere hat sich leider so gut wie gar nichts verändert", sagt Mülln aber auch. Die Politik schlafe seitdem und es gebe immer noch keine Haltungsgesetze für Milchvieh in Deutschland. Dies würden den Bauern weiterhin ermöglichen, Tiere schlecht zu halten, so Mülln.

Letztlich sieht er drei Stellschrauben, um etwas an der Situation zu ändern: Klare Regeln von der Politik, wie man Milchvieh halte, ein hartes Durchgreifen der Gerichte und Verbraucher, die darauf achten, welche Milch sie kaufen.

"Man schaut sehr viel genauer hin": Das sagen die Landwirte

Der langjährige schwäbische Bauernverbands-Präsident Alfred Enderle ist überzeugt, dass sich durch den Allgäuer Tierschutzskandal vor drei Jahren etwas verändert hat. "Insgesamt schaut man sehr viel genauer hin, wenn es um Tierhaltung geht", sagte Enderle dem BR im Vorfeld des Prozesses am Landgericht Memmingen. Auch hätten sich die Landwirte, der Handel und die Molkereien darauf geeinigt, Haltungsstandards über den aktuell geltenden gesetzlichen Standards zu definieren. "Allerdings: Die Umsetzung zieht sich etwas", sagte Enderle.

Als Grund für die zähe Umsetzung der höheren Tierhaltungsstandards nennt der frühere schwäbische Bauernpräsident die fehlende Nachfrage bei Handel und Verbrauchern. Da höhere Standards auch höhere Kosten für die Landwirte bedeuten, müssten die Landwirte auch mehr Geld für ihre Produkte bekommen. In Zeiten der steigenden Inflation sei aber niemand mehr bereit, mehr zu bezahlen.

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