Angeklagter gepixelt mit seinen Verteidigern und weiteren Prozessbeteiligten im Gerichtssaal.
Bildrechte: BR24 / Florian Deglmann

Der Angeklagte Mert A. muss sich wegen Mordes und versuchten Mordes vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten.

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Nach Südstadt-Schießerei: Angeklagter spricht von Hinterhalt

Im Oktober 2022 wurde bei einer Schießerei in der Nürnberger Südstadt ein Mann getötet und ein weiterer schwer verletzt. Im Prozess hat nun der Angeklagte ausgesagt. Er habe sich nur schützen wollen.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Lange Zeit hatten die Prozessbeteiligten auf die Aussage von Mert A. gewartet. Seit Prozessbeginn im Dezember 2023 schwieg der 29-Jährige zu den Mordvorwürfen. Er soll seine ehemaligen Geschäftspartner und Freunde Sahan Ö. und Orhan A. im Oktober 2022 in eine Falle gelockt haben, auf offener Straße in der Nürnberger Südstadt fielen Schüsse. Sahan Ö. starb an seinen schweren Verletzungen, Orhan A. überlebte schwerverletzt.

Pause zum Beginn

Nun war also Mert A. an der Reihe, der 5. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth seine Version der Geschehnisse zu erzählen. Fünf Stunden Zeit hatte die Verteidigung im Vorhinein für seine Einlassung veranschlagt. Doch die Verhandlung startete mit einer Unterbrechung: Mert A. hatte laut seinen Anwälten – zwei von ihnen begrüßt er stets mit einer Umarmung – noch einmal Redebedarf, wollte sich noch einmal mit seinem Rechtsbeistand beraten.

Angeklagter wollte besseres Leben für seine Familie

Nach einer 40-minütigen Pause beginnt der Angeklagte mit seinen Ausführungen, auf Türkisch. Zwei Dolmetscherinnen im Gerichtssaal wechseln sich im halbstündigen Turnus ab und übersetzen. Mert A. berichtet von seinen Motiven nach Deutschland zu kommen. Er habe sich ein solides Geschäft aufbauen wollen, um für seine Familie sorgen zu können. Seine Frau sei damals bereits mit Zwillingen schwanger gewesen, sie und die Kinder habe er nach Deutschland holen wollen für ein besseres Leben als in der Türkei.

Dafür habe Mert A. einiges riskiert. Er erzählt von seinem beschwerlichen Weg nach Deutschland, auf dem er in Georgien vom russischen Geheimdienst festgenommen und mit Elektroschocks gefoltert worden sein soll. Auch die Zehnägel habe man ihm ausgerissen, wegen seines ukrainischen Aufenthaltstitels. Denn vor Kriegsausbruch habe Mert A. in der Ukraine erfolgreich Geschäfte mit Shishas und E-Zigaretten abgewickelt und habe so den Titel erhalten, mit dem er sich in Franken als ukrainischer Flüchtling bei der Ausländerbehörde meldete.

E-Zigaretten, Glücksspiel und Rotlicht

Im Bereich Shishas und E-Zigaretten wollte er nun auch in Deutschland Geld verdienen, hatte einen Kontakt, der ihm Zugang zu möglichen Geschäftspartnern in Nürnberg verschaffte. Der Weg führte ihn und seine Kompagnons aber auch immer wieder nach Düsseldorf, in den FKK-Club "Oceans", um dort Gespräche mit dem Betreiber und Geschäftsmann Deniz C. zu führen.

Bereits nach kurzer Zeit in Nürnberg habe Mert A. unter anderem von Drogengeschäften, illegalem Glücksspiel und Waffendeals erfahren, war zum Teil selbst involviert, etwa als es um die Begutachtung von vollautomatischen Pistolen ging, deren Beschaffung Sahan Ö. und Orhan A. organisiert hätten. Ansonsten habe der Angeklagte immer Wert darauf gelegt, saubere Geschäfte zu machen. So hätte er sich auch nicht vom schnellen Geld locken lassen, zum Beispiel als Pläne aufkamen, einen Diamanten-Händler aus Mannheim zu überfallen und auszurauben. Stattdessen habe der Angeklagte ein seriöses Geschäft mit Bio-Produkten aus der Schweiz aufziehen wollen. Diese wollte er laut seiner Erklärung in ganz Europa vertreiben, sei bereits mit Verbrauchermärkten wie Rewe oder Edeka in Verhandlungen gewesen.

Angeklagter sieht sich als Geschäftsmann und Schlichter

Mert A. erzählt dem Gericht seine Geschichte im Detail und scheint sich in seiner Rolle zu gefallen: Als seriöser Geschäftsmann, der immer bemüht war, anderen zu helfen. Er sei ein gefragter Schlichter und Mediator gewesen, habe die Probleme und Streitigkeiten seiner Bekannten mit Leichtigkeit gelöst und dafür auch einmal Geld erhalten, in einem Fall 50.000 Euro. Eine Summe, die der Zahlende selbst in seiner Zeugenaussage vor einigen Wochen als Schutzgeld bezeichnete.

Alle außer dem Angeklagten, so macht seine Erzählung den Anschein, hätten krumme Dinger gedreht. Mert A., der in der Türkei bereits wegen Körperverletzung und Betrugs zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurde, wollte – so sagt er – mit all dem nichts zu tun haben. Laut dem psychiatrischen Gutachter, den das Gericht beauftragt hat, gibt es bei Mert A. keinerlei psychiatrische Auffälligkeiten. Er erzählt seine Geschichte im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.

Ausflug auf den Schießstand

Parallel zu seinen Bemühungen, für sich und seine Familie ein gutes Leben aufzubauen, lernt Mert A. in Deutschland eine Frau kennen, sie wird seine Freundin. In seiner Einlassung vor Gericht erzählt der 29-Jährige von ihr, von gemeinsamen Reisen und Unternehmungen: Sei es ein schönes Essen in einem Restaurant in der Nürnberger Innenstadt, eine Hochzeit im Raum Köln oder ein Trip für Schießübungen nach Tschechien, an dem auch Orhan A. und Sahan Ö. teilgenommen haben sollen. Letzterer habe Mert A., der zu diesem Zeitpunkt bereits aus Deutschland ausgewiesen werden sollte, einen gefälschten slowakischen Reisepass besorgt, der bei der Rückkehr über die deutsch-tschechische Grenze von der Polizei beschlagnahmt worden sein soll.

Mert A. fühlte sich bedroht und bestreitet Tötungsabsicht

Im Laufe der Zeit habe es immer mehr Probleme mit Orhan A. und dem späteren Todesopfer Sahan Ö. gegeben, erzählt der Angeklagte. Er habe sich von den beiden distanzieren wollen, unter anderem weil er mit ihren kriminellen Geschäften nichts zu tun haben wollte. Die beiden hätten ihn daraufhin beleidigt und anderen gegenüber wiederholt geäußert, Mert A. erschießen zu wollen. Dieser habe, so betont er, immer wieder versucht, einen klaren Schlussstrich zu ziehen, ohne Blutvergießen. In seiner Erzählung berichtet er von Bedrohungen, auch durch andere Personen, mit denen Sahan Ö. und Orhan A. gemeinsame Sache gemacht hätten.

Genaues Gegenteil von Anklage

Er selbst, sagt Mert A., habe niemanden bedroht, und widerspricht damit der Anklage der Staatsanwaltschaft. Er habe sich und seine Familie vor seinen ehemaligen Geschäftspartnern schützen wollen. Am Tatabend sei er von einem Hinterhalt ausgegangen und wollte seine Widersacher davon abhalten, auf ihn zu schießen. Deshalb habe er auf die Beine von Orhan A. und Sahan Ö. gezielt. Letzterer wurde unter anderem im Bauchraum getroffen, laut Mert A. unbeabsichtigt, und starb.

Der Angeklagte sagte in seiner Erklärung, dass es ihm sehr leidtue, dass ein Mensch ums Leben gekommen sei. Das sei niemals seine Absicht gewesen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 29-Jährigen hingegen vor, die späteren Opfer in eine Falle gelockt zu haben, mit der Absicht, die Männer umzubringen. Der Tatvorwurf lautet Mord und versuchter Mord.

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