Die sogenannte dritte Generation der Roten Armee Fraktion, deren Mitglied auch die jetzt festgenommene Daniela Klette gewesen sein soll, verübte in Bayern von 1984 an mehrere, zum Teil tödliche Anschläge. Im Jargon der RAF wurde das brutale Vorgehen als "Offensive" bezeichnet. Ein Überblick:
- Zum Artikel: Frühere RAF-Terroristin Daniela Klette festgenommen
Geplanter Sprengstoffanschlag auf Nato-Schule 1984 in Oberammergau
Am 18. Dezember 1984 wollten RAF-Terroristen die Nato-Schule in Oberammergau mit 25 Kilogramm Sprengstoff in die Luft jagen. Die ehemalige Kaserne der Wehrmacht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom US-amerikanischen Militär zu Ausbildungszwecken genutzt. 1975 wurde auf dem Gelände die bilaterale NATO School eingerichtet. Sie war das Ziel des RAF-Anschlags.
Explosion scheitert an Zeitzünder
Ein unbekannter Mann in US-amerikanischer Marine-Uniform war am Nachmittag mit einem silbermetallic-farbenen Audi 80, der ein US-Kennzeichen hatte, auf das Schulgelände gefahren und hatte das Auto wenige Meter vor dem Eingang abgestellt. Danach verschwand der Soldat zu Fuß. Einem deutschen Offizier kam das Verhalten merkwürdig vor und er veranlasste eine Überprüfung des Kennzeichens. Als sich herausstellte, dass der Audi wenige Tage zuvor in Augsburg gestohlen worden war, wurde sofort Großalarm ausgelöst.
Ein Spezialeinsatzkommando des Bayerischen Landeskriminalamts öffnete den Kofferraum mit einem Roboter. Darin befanden sich unter einem Schlafsack 25 Kilogramm Sprengstoff mit einem Zeitzünder, drei Propangasflaschen und eine Aktentasche mit fast 100 Metallteilen. Der Wecker war stehen geblieben. Die Folgen einer Explosion wären verheerend gewesen, vermutlich hätte es Dutzende Tote gegeben.
"Kommando Jan Raspe" bekennt sich zum misslungenen Anschlag
Ein "Kommando Jan Raspe" der RAF bekannte sich zwei Tage später zu dem geplanten Anschlag. Ziel sei es gewesen, "die Militärs dort direkt auszuschalten." Jan-Carl Raspe war Gründungsmitglied der RAF. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ihn zusammen mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin im April 1977 zu lebenslanger Haft wegen vierfachen und mehrfachen versuchten Mords zu lebenslanger Haft. Ein halbes Jahr nach dem Urteil erschoss sich Raspe in seiner Gefängniszelle. Am selben Tag brachten sich auch die Mitinsassen Ensslin und Baader um.
Wer außer Eva Haule gehörte zum RAF-Kommando?
Führender Kopf des später nach Raspe benannten Kommandos soll Eva Haule gewesen sein. Die gebürtige Tübingerin soll den Sprengstoff für den Anschlag auf die NATO-Schule besorgt haben. Die zur Tatzeit 30-Jährige wurde im Sommer 1986 nach einem Zeugenhinweis in einem Eiscafé in Rüsselsheim (Hessen) festgenommen. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte Haule 1988 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren, unter anderem wegen der Beteiligung an dem gescheiterten Anschlag in Oberammergau.
Andere Mittäter konnten bis heute nicht ermittelt werden. So ist weiter nicht bekannt, wer damals das Auto mit dem Sprengstoff vor der NATO-Schule abgestellt hat. Eva Haule wurde in einem zweiten Prozess 1994 wegen Mords an einem US-Soldaten zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Sie kam 2007 auf Bewährung frei.
Erster Mord der dritten Generation der RAF 1985 in Gauting
Am 1. Februar 1985 erschossen Terroristen Ernst Zimmermann, den damaligen Vorsitzenden der Geschäftsführung der Motoren- und Turbinen-Union (MTU), der auch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Ausrüstungsindustrie war, in seinem Haus in Gauting bei München. Das Attentat gilt als erster Mord der dritten Generation der Roten Armee Fraktion.
Angebliche Briefzustellerin klingelt an der Haustür
Eine junge Frau hatte an diesem Freitagmorgen noch in der Dämmerung bei dem Einfamilienhaus an der Tür geklingelt und der Ehefrau Zimmermanns erklärt, sie müsse ihrem Mann ein Schreiben überbringen, dessen Empfang er persönlich bestätigen müsse. Als der 55-Jährige dazukam, sprang unvermittelt ein maskierter Mann hervor, bewaffnet mit einer Pistole. Die Attentäter drängten das Ehepaar ins Haus, fesselten beide, ließen die Frau mit einem Klebeband geknebelt im Flur liegen und schleiften Zimmermann ins Schlafzimmer. Dort setzten sie den 55-Jährigen auf einen Stuhl und schossen ihm aus kurzer Entfernung in den Hinterkopf.
Täter bis heute nicht ermittelt
Noch am selben Tag bekannte sich die RAF mit einem "Kommando Patrick O'Hara" zu dem Mord. Namensgeber O'Hara war ein irischer Terrorist, der 1981 nach einem Hungerstreik im Gefängnis starb. Trotz intensiver Fahndung und Ermittlungen konnten die Mörder von Gauting bis heute nicht ermittelt werden.
Zwei Tote bei Anschlag auf Siemens-Manager 1986 in Straßlach
Am 9. Juli 1986 sprengten RAF-Terroristen in Straßlach südlich von München den Dienstwagen des Siemens-Vorstandsmitglieds Karl Heinz Beckurts mit einer ferngezündeten Bombe in die Luft. Der 56-Jährige und sein Fahrer Eckhard Groppler waren sofort tot.
30 Kilogramm Sprengstoff unter einer Esche
Wie "Der Spiegel" damals berichtete, hatten die Täter einen 30-Kilogramm-Sprengsatz, abgefüllt in zwei Bundesbahn-Gasflaschen, unter einem Eschenbaum an der Staatsstraße zwischen Straßlach und München deponiert. Außerdem installierten die Terroristen eine Kontaktschwelle, die über ein 80 Meter langes Kabel vom Wald aus aktiviert werden konnte.
Als der Siemens-Manager mit seinem Fahrer gegen 7.30 Uhr auf dem Weg zur Arbeit die Stelle passierte, löste die Bombenfalle automatisch aus. Der blaugraue BMW von Beckurts wurde durch die Wucht in den Wald geschleudert, es soll eine 20 Meter hohe Stichflamme gegeben haben und die Explosion noch in fünf Kilometer Entfernung zu hören gewesen sein.
Wieder bekennt sich ein RAF-Kommando zu der Tat
Diesmal bekannte sich ein "Kommando Mara Cagol" zu dem mörderischen Anschlag. Zur Begründung heißt es, Beckurts repräsentiere als Siemens-Vorstand für Forschung und Technik sowie als Vorsitzender des Arbeitskreises Kernenergie beim Bundesverband der Deutschen Industrie "den Kurs des internationalen Kapitals in der aktuellen Phase der politischen, ökonomischen und militärischen Strategie des imperialistischen Gesamtsystems" und treibe ihn voran. Margherita "Mara" Cagol war eine italienische linksextremistische Terroristin und wurde 1975 nach der Entführung eines Industriemanagers von Carabinieri bei einer Durchsuchungsaktion erschossen.
Mutmaßlicher Mittäter 1999 in Wien erschossen
Obwohl die Ermittler des Bundeskriminalamts in den Wochen nach dem Attentat in Straßlach keinen Stein auf dem anderen ließen, konnten die Täter bis heute nicht ermittelt werden. Ein Verdächtiger, der mutmaßliche RAF-Terrorist Horst Ludwig Meyer, wurde 1990 bei einem Schusswechsel mit der Polizei in Wien getötet. Er soll als Sprengstoffexperte der Gruppe zur Kommandoebene gehört haben.
Neue Erkenntnisse nach der Festnahme von Daniela Klette?
Drei Morde durch die RAF in Bayern, ein nur knapp gescheiterter Bombenanschlag, bei dem es möglicherweise Dutzende Tote gegeben hätte, und nur eine verurteilte Mittäterin. Sind jetzt nach der Festnahme von Daniela Klette neue Erkenntnisse zu erwarten? Bislang taucht ihr Name im Zusammenhang mit den Anschlägen in Oberammergau, Gauting und Straßlach nicht auf.
Andererseits gehörte die heute 65-Jährige nach Überzeugung der Ermittler zu der dritten Generation der Roten Armee Fraktion, die sich zu Beginn der 1980er-Jahre bildete. Doch wie viele Mitglieder sie hatte – seitens der Bundesanwaltschaft war mal die Rede von mindestens 15 Personen – und wer alles dazu zählte, ist unklar.
Aber egal in welcher Zusammensetzung und Stärke: Die dritte RAF-Generation wird für die Attentate in Bayern verantwortlich gemacht. War Daniela Klette daran beteiligt? Oder Mitwisserin? Das Bayerische Landeskriminalamt erklärte auf BR-Anfrage, dass es zu den aktuellen Ermittlungen bislang nicht hinzugezogen wurde.
Im Audio: Frühere RAF-Terroristin Daniela Klette festgenommen
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