Die Nachricht vom endgültigen Aus für das ICE-Werk kam überraschend. Die Bahn hatte am 13. April 2023 zu einem runden Tisch ins Verkehrsmuseum geladen. Sie wollte Neues zu den Planungen verkünden. Zunächst in einer nicht-öffentlichen Sitzung mit Kommunalpolitikern. Die Vermutung war, dass es nach dem Ende des Raumordnungsverfahrens neue Details zu den weiteren Planungen geben würde. Doch dann sickerte durch, dass der Verkehrskonzern das gesamte Projekt in Nürnberg beerdigt hat.
Im Großraum Nürnberg gebe es keinen geeigneten Standort, sagte Klaus-Dieter Josel, der Konzernbeauftragte der Bahn für Bayern, nach der Sitzung. "Von daher müssen wir leider hier die Bücher für unsere ICE-Werk-Planungen zumachen in Nürnberg. Wir haben hier keine Perspektiven." Bei den Gegnern des ICE-Werks löste diese Nachricht Jubel aus. "Das ist für uns ein Riesenerfolg. Der Reichswald ist zum wiederholten Mal vor einem großen Eingriff geschützt worden", sagte Tom Konopka vom Bund Naturschutz. Der Umweltverband hatte gemeinsam mit vielen Bürgerinitiativen die Planungen bekämpft.
Nürnbergs Tradition als Eisenbahn-Stadt
Begonnen hatte die Geschichte der Planungen für ein ICE-Werk in Nürnberg mehr als drei Jahre zuvor. Politik-Prominenz aus Bund, Land und Stadt waren in die Fahrzeughalle des Verkehrsmuseums gekommen. Mit dem alten "Adler", der ersten deutschen Eisenbahn, im Rücken hatte der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angekündigt, dass in Nürnberg ein neues ICE-Werk gebaut werden sollte. "Die Schienendrehscheibe Nürnberg hat sich gegen andere Standorte in der Republik durchgesetzt", sagte er.
Das ICE-Werk sollte eine wichtige Rolle beim Weg der Bahn zum Deutschlandtakt spielen. Wenn künftig mehr Züge schneller durch die Republik fahren, dann müssen die auch gewartet werden. Das soll in den ICE-Werken passieren, die es in ganz Deutschland schon gibt oder die neu gebaut werden. In Nürnberg, so die Planungen, hätten im 24-Stunden-Betrieb jeden Tag 25 ICEs für die Fahrt am nächsten Tag hergerichtet werden sollen. 450 Millionen Euro hat die Bahn für das Werk in Nürnberg veranschlagt. Es sollten 400 neue Jobs entstehen. Favorit für den Standort war ein Gelände am Bahnhof im Nürnberger Stadtteil Fischbach.
Proteste waren Dauerbrenner der Berichterstattungen
Doch kaum war dieser Standort bekannt, begannen Ende des Jahres 2020 schon die Proteste, die die BR-Redaktion im Studio Franken in Nürnberg in den kommenden Jahren intensiv beschäftigt haben. Die Menschen in Fischbach und Umgebung gingen auf die Straße. Schnell hingen die ersten Transparente an den Gartenzäunen. "Nein zum ICE-Werk neben unserem Wohnviertel", stand darauf. Und "Stoppt die Rodung im Bannwald". Auch mit nächtlichen Fackeldemonstrationen protestierten die Anwohner gegen das Werk, in dem rund um die Uhr gearbeitet werden sollte. Die Anwohner befürchteten, dass ihnen beispielsweise die Tests der lauten Zug-Hupen den Schlaf rauben könnten.
Der Bund Naturschutz kämpfte gegen den Kahlschlag im Bannwald. Zwischen 35 und 45 Hektar Fläche waren für das Werk veranschlagt. Wolfgang Dötsch vom Bund Naturschutz in Nürnberg lud zu einem Ortstermin auf eine Waldlichtung: "Aus Blick des Naturschutzes, ist der Reichswald natürlich der ökologisch schlechteste Standort überhaupt."
Auch der Hafen war keine Alternative
Damit waren die Fronten klar: Naturschutz gegen Verkehrswende. Fischbach war wegen der Proteste bald aus dem Rennen. Die Bahn suchte mögliche andere Standorte in der gesamten Region. Überall gab es Widerstand, denn überall hätte wertvoller Wald gerodet werden müssen. Es war ein langer Prozess, bei dem die meisten der rund 70 ursprünglich ins Auge gefassten Flächen aussortiert wurden. Letztendlich ging die Bahn mit drei möglichen Standorten ins Raumordnungsverfahren. Der Bund Naturschutz hatte noch den Nürnberger Hafen als Alternative vorgeschlagen. Wenn ein Becken zugeschüttet werden würde, wäre ausreichend Fläche vorhanden, so das Argument. Als Standort fürs ICE-Werk untauglich, so die Reaktion von Bahn und Hafen-Verwaltung.
Einer der drei Standorte im Raumordnungsverfahren war das Gelände der ehemaligen Munitionsanstalt MUNA bei Feucht. Eine weitere mögliche Fläche lag in dem Waldgebiet südlich der MUNA und die dritte Fläche lag bei der Ortschaft Harrlach an der Autobahn A9 bei Allersberg. Anfang Februar war das Raumordnungsverfahren abgeschlossen. Das Ergebnis war eine Weichstellung für das MUNA-Gelände in Feucht. Wenn überhaupt, dann könnte die Bahn nur hier bauen.
Das giftige Geheimnis der MUNA
Das Gelände ist abgeriegelt. "Betreten verboten, Lebensgefahr", steht auf den Warnschildern am Zaun. Hier lagert alte Munition aus dem Zweiten Weltkrieg im Boden. Deshalb hat die Regierung von Mittelfranken der Bahn im Raumordnungsverfahren eine Reihe von Auflagen gemacht. Es ging um den Lärmschutz und den Schutz des Grundwassers. Vor allem aber hätte das MUNA-Gelände fachgerecht saniert werden müssen. "Für uns ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass die Belange des Naturschutzes und des Artenschutzes insbesondere, aber auch eine Rodungserlaubnis für den Wald erst in einem nachfolgenden Planfeststellungsverfahren detailliert getroffen werden kann", erläuterte Martin Hartnagel, der Sprecher der Regierung von Mittelfranken, im Februar.
Die Bahn hatte alle Auflagen zum MUNA-Gelände geprüft, die ihr die Regierung von Mittelfranken mit auf den Weg gegeben hat. Sie untersuchte dabei auch, ob es mit seinen Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg überhaupt saniert werden könnte. Das Resultat war eindeutig: Die Bahn zog einen Schlussstrich unter das Kapitel ICE-Werk in Nürnberg. Die Projektgruppe der Bahn ist inzwischen längst weitergezogen. Sie plant ein ICE-Werk in Cottbus.
Nachdem die Bahn ihre Pläne begraben hat, begannen die Nachhutgefechte. Die Kritiker sahen negative Auswirkungen auf andere Großprojekte im Land. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) nannte das Aus "bedauerlich". Der SPD-Landesvorsitzende Florian von Brunn sprach von einer "vertanen Chance". Und Nürnbergs SPD-Chef Nasser Ahmed sah gar "eine Katastrophe für den Wirtschaftsstandort Metropolregion Nürnberg". Markus Lötzsch, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nürnberg für Mittelfranken, bezeichnete die Entscheidung als einen "herben Schlag" für die Region.
Im Audio: 450 Millionen Euro und 400 neue Jobs - Die Bahn plante groß für das ICE-Werk in Nürnberg
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