Gerhard Hennig hat die Zeiten erlebt, als die Saisonschlussverkäufe für viele Menschen noch Jahreshighlights waren. Der langjährige Chef des Modehauses Hafner in Straubing hat die Geschäftsleitung 2006 an seine Tochter Claudia übergeben – zwei Jahre zuvor fielen bereits die letzten gesetzlichen Regelungen zum Schlussverkauf. Seitdem haben sich unterschiedliche Trends im Konsumverhalten entwickelt.
Früher waren Schlussverkäufe heiß begehrt
Bis 2001 durften Händler außerhalb der letzten beiden Wochen im Juli beziehungsweise im Januar nur unter strengen Voraussetzungen Rabatte anbieten – Ausnahmen waren zum Beispiel Räumungsverkäufe oder Firmenjubiläen. Da waren die den Einzelhändlern vorbehaltenen, klassischen Sommer- und Winterschlussverkäufe heiß begehrt.
"Die Leute waren damals so wepsig", erinnert sich Senior-Chef Hennig. Sie hätten montags um 8.00 Uhr in der Früh schon vor der Tür gestanden. "In Scharen", so Hennig. "Die Türen sind dann geöffnet worden. Es gab einen Massenansturm auf diese Leckerbissen, die da zur Schau gestellt worden sind und das war schon ein tolles Erlebnis."
Hohe Rabatte: Reste sind "totes Kapital"
Heute sind die Kaufleute frei in der Ausgestaltung. Seit dem Wegfall der Schlussverkaufsregeln geht das Modehaus Hafner nach einem bestimmten System vor, wie die aktuelle Geschäftsführerin Claudia Hennig beschreibt: "Circa drei Monate, nachdem die Ware auf der Fläche ist, geht es in die Reduzierung, also in die 30 Prozent. Nochmal eine Zeit lang später kommen dann die 50 Prozent. In der Schlussverkaufszeit, die wir ja jetzt haben, geht es mit 70 Prozent weiter, um dann wirklich die Reste rauszukriegen." Im Moment bedeutet das: Platz schaffen für Frühjahrsmode, die teils schon im November angeliefert wird.
Nach den starken Rabattierungen bliebe aber tatsächlich kaum Ware übrig, sagt Hennig. Der geringe Rest komme zunächst ins Lager und im nächsten Winter dann wieder auf die Fläche. "Wenn man stark reduzierte Fünf- oder Zehn-Euro-Teile anbietet, ist es allerdings schon so, dass es ein Minusgeschäft wird. Das ist dann weit unterm Einkaufspreis", erklärt die Hafner-Chefin. "Was jetzt irgendwo liegen bleibt, ist ja totes Kapital." Das sei durch die Möglichkeit zur freien Rabattierung über das gesamte Jahr aber besser kalkulierbar.
Kunden zwischen Freude und Überforderung
Doch wie finden die Kunden das breite Schnäppchen-Angebot über zwölf Monate? Eine nicht repräsentative Umfrage im Modehaus Hafner zeigt ein überwiegend positives Stimmungsbild – auch wenn vereinzelt die Überforderung durch die Vielzahl an Aktionen bemerkt wird.
Letzteres stellt auch die Forschung fest. "Nicht nur, dass die Kunden teilweise mit der ganzjährigen Rabattierung überfordert sind, sie führt auch zum Effekt der 'Fear of missing out', also der Angst, irgendwo etwas Günstiges zu verpassen", erläutert Prof. Tobias Nickel, Wirtschaftspsychologe an der Technischen Hochschule Deggendorf. Der schnellere Online-Preisvergleich stehe daher für viele Menschen im Vordergrund. Die stationären Handelshäuser würden versuchen, nachzuziehen.
Belohnungskaufen contra Nachhaltigkeitstrend
Generell seien aktuell im Konsumverhalten der Deutschen zwei gegensätzliche Trends zu beobachten, sagt Nickel: "Einmal das Belohnungskaufen für die Menschen, die sagen, ich habe mir etwas verdient. Auf der anderen Seite die Tendenz: 'Oh, draußen sind große Krisen. Wir müssen nachhaltiger sein. Wir müssen auf uns selbst bezogen sein, regional kaufen, weniger kaufen'."
In beiden Trends spielen Rabatte eine große Rolle, meint Prof. Nickel. Gleiches gelte für den von Influencern getriebenen Fast-Fashion-Trend, der nach Ansicht des Wirtschaftspsychologen zum Beispiel bei großen Modeketten noch anhalte. Diese würden die Anzahl an Kollektionen im Jahr deutlich erhöhen. In der Konsequenz fänden sich in Altkleidersammlungen häufig neue Artikel, die teils noch mit Etiketten versehen seien.
Fast Fashion im Modehaus "out"
Im Modehaus Hafner ist das Gefühl ein etwas anderes. "Fast Fashion ist eigentlich schon wieder ziemlich durch hier", schildert Claudia Hennig ihrer Beobachtung. "Es geht in die richtige Richtung und der Kunde achtet mehr auf Qualität und Nachhaltigkeit." Das Tempo der großen Modeketten könne man hier ohnehin nicht mithalten. Dem Rabattsystem des lokalen Modehauses kommt die Entschleunigung jedenfalls entgegen.
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