Die 11-jährige Nastja beim Töpfern
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Schulen für Charkiw: Wo die Hilfe aus Bayern ankommt

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Schutzraum für Schüler: Hilfe aus Bayern für die Ukraine

Schutzraum für Schüler: Hilfe aus Bayern für die Ukraine

Spenden aus Bayern kommen in der Ukraine seit Beginn des Krieges an. Auch in Charkiw, das fast täglich bombardiert wird. Deutsche Hilfe bringt etwas Hoffnung in den Kriegsalltag und verändert das Leben vieler Menschen. Doch wo genau kommt sie an?

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Nastja blickt konzentriert auf die Schale in ihrer Hand. Sie streicht den Ton glatt, es soll ein Geschenk für ihre Mutter werden. Zusammen mit vielen anderen Kindern töpfert die Elfjährige hier jedes Wochenende im Bastelsaal der Stiftung "Soziale Hilfe" in einer Plattenbau-Siedlung in Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine.

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Schwierige Lage für Kinder in Charkiw

Viele ihrer Mitschüler hätten die Stadt verlassen, erzählen die Kinder. Sie haben nur noch wenige Freunde, mit denen sie sich treffen können. Deswegen kommen sie gerne zum Töpfer-Kurs ins örtliche Sozialzentrum. Der findet statt, weil die Stiftung Spendengelder aus Deutschland bekommt: für Bastelkurse, Kunst-Therapien für traumatisierte Kinder und für Care-Pakete für Familien in Not.

"Freunde treffen ist besser als zuhause rumzusitzen", sagt Nastja. Seit zweieinhalb Jahren findet die Schule fast ausschließlich online statt. Zu gefährlich wäre es, mehrere Schulklassen in einem Gebäude zu versammeln. Die Stadt wird fast täglich mit russischen Bomben und Raketen beschossen. Zwar gibt es die "Metro-shkola" - Klassenräume, die in den Metrostationen errichtet wurden, damit sich die Kinder zumindest für zwei, drei Stunden in der Woche sehen können. Aber der Bedarf ist groß und die Belegungspläne eng, berichtet Kateryna Tkatschowa, die Leiterin der Schule Nummer 5 in Charkiw.

Schutzkeller mit bayerischer Hilfe ausgebaut

Sie führt über ihren Schulhof. Etwa 15 Meter hinter dem Hauptgebäude ist im Gestrüpp ein Krater zu sehen. Im August 2022 ist hier eine russische Rakete eingeschlagen, die alle Fenster zerstört und das Schuldach stark beschädigt hat.

Am Hinterhaus stehen Bauarbeiter vor einer Tür, die in einen Keller führt: ein Schutzkeller, der mit bayerischer Hilfe ausgebaut wird. "Es ist kein einfaches Versteck, nur gegen Bomben. Es ist ein Versteck, auch gegen Strahlung. Das heißt, wenn es eine nukleare Explosion gibt, dann sind die Menschen darin gegen die Explosion und die Strahlung geschützt", sagt Kateryna Tkatschowa, während sie die Treppe hinabsteigt. Man versucht, auf das Schlimmste gefasst zu sein. Mit einer speziellen Ventilation, mit einem Stromgenerator und einer Küche, in der bald Verpflegung für mindestens drei Tage auf Vorrat gehalten wird.

Drei Schulklassen im Schutzkeller

Schulleiterin Tkatschowa weiß, wie es sich anfühlt, sich hier zu verstecken. Zu Beginn der russischen Invasion vor zwei Jahren hat sie selbst monatelang mit anderen Lehrerinnen und Lehrern in diesem Keller gelebt und auf dem damals feuchten Boden geschlafen. Das war noch vor dem Umbau, als die russischen Soldaten am Stadtrand standen.

Drei Klassen sollen bald in dem 200 Quadratmeter großen Schutzraum unterrichtet werden. Finanziert wird der Ausbau vom Freistaat Bayern, ebenso wie die Reparatur des Schuldaches. Geld und Hilfsgüter von insgesamt zehn Millionen Euro hat die Staatsregierung bereits in die Ukraine geschickt.

"Nürnberger Haus": Deutsches Kulturzentrum in Charkiw

Die Hilfsprojekte, die in Charkiw mit Spendengeldern aus Bayern entstehen, werden von Switlana Chystyakova vermittelt. Sie leitet das "Nürnberger Haus", eine Kultureinrichtung, die den Namen der Partnerstadt trägt. Hier konnten die Charkiwer früher die deutsche Sprache lernen oder deutsche Filme schauen.

Aber seit 2022 ist es zu einer Art Finanzhub geworden, für Geld, das der "Partnerschaftsverein Charkiw-Nürnberg" in Bayern einsammelt. Das sind insgesamt rund drei Millionen Euro an Privat- und Firmenspenden. Damit werden zum Beispiel für Stromgeneratoren gekauft, ein Krankenwagen oder eine Abwasserpumpe für ein beschädigtes Wasserwerk. "Wir schauen uns vor Ort an, wo es Probleme gibt und wo es am nötigsten ist", sagt Chystyakova in fehlerfreiem Deutsch.

Kartoffelbrei bis Pflaster: Care-Pakete für Zivilisten und Soldaten

Das Hauptgebäude der Schule Nr. 5 ist inzwischen zu einer Basis für Freiwillige geworden. In der Eingangshalle stapeln sich Kartoffelbrei-Packungen für Hilfspakete. Davon gehen in letzter Zeit gehen viele auch an die Soldaten, die die Stadt an der zweiten Front im Norden verteidigen.

"All das, was man im Alltag so braucht: Essen, Medikamente, Pflaster, Tourniquets, Starlinks oder Aufladestationen", sagt Chystyakova. Nur Waffen schickten sie keine. Viele der Soldaten seien einfache Familienväter, die jetzt im Schützengraben sitzen und denen es am Nötigsten fehlt, ob Socken oder Seife.

Ambulanter Pflegedienst mit Spenden aus Partnerstadt Nürnberg

Auch ein ambulanter Pflegedienst wird von den Spenden finanziert, die aus der Partnerstadt Nürnberg kommen. Dessen Mitarbeiter fahren raus in die Saltivka, in eine gewaltige Plattenbau-Siedlung im Nordosten der Stadt. Hier versorgen sie 60 bis 70 alleinstehende, kranke und ältere Menschen. Darunter auch die 86-jährige Raisa Kelep, die hier in einer Wohnung im sechsten Stock lebt. Der Pflegedienst bringt ihr Einkäufe, Tabletten oder Pampers vorbei, erzählt sie. Manchmal komme auch ein Arzt vorbei.

86-jährige Raisa Kelep: "Ich will Putin überleben"

Eine Blumentapete schmückt die Wände ihres Wohnzimmers. Sie stützt sich auf ihren Rollator, hört etwas schlecht, hat dafür eine laute Stimme: "Es ist furchtbar, dass ich schon den zweiten Krieg in meinem Leben erleben muss", sagt sie. Sie war in Charkiw, als die Deutschen kamen. Da war sie noch ein kleines Kind. Als die Russen vor zwei Jahren ihre Hochhaussiedlung bombardierten, war Raisa Kelep schon alt.

Sie ist allein in ihrer Wohnung geblieben, die einzige auf zwei Stockwerken, berichtet sie. Helfer und Freiwillige hätten sie mit Essen versorgt. Sie hat überlebt. Und sie will weiterleben. Denn sie hat noch ein Ziel, sagt Kelep: "Ich will Putin überleben und den Sieg der Ukraine miterleben."

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Pflegebedürftige Raisa Kelep in Charkiw

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