Donald Trumps politische Identität, "geschmiedet aus dem Unmut und der Wut seiner Basis, der Angst und Verunsicherung einer geteilten Nation, seiner Aura aus Trotz und roher Stärke", habe sich an dem "düsteren Abend in Butler, Pennsylvania, deutlich" gezeigt, wie das US-Nachrichtenportal "Politico" die Wirkung des Attentats auf den Präsidentschaftswahlkampf vollkommen zutreffend beschreibt.
Er sei "körperlich blutverschmiert und politisch triumphierend" aus dem Anschlag hervorgegangen. Die Aufnahmen unmittelbar nach den Schüssen seien "ikonisch". Sie zeigten, dass Trump die Verkörperung von "Mut unter Feuer" sei. Damit sei der "ganzen Welt der wahre Geist Amerikas" offenbart worden, wie "Politico" eine ehemalige leitende Beamtin zitiert, die unter Trump im US-Verteidigungsministerium gearbeitet hatte.
"Inmitten des Chaos pumpte Trump seine Faust und zeigte seine Instinkte", analysiert die "New York Times", gleichermaßen unter Hinweis auf das Verhalten des angeschossenen Ex-Präsidenten auf dem Podium. Er stand wieder auf, widersetzte sich dem Drängen der Secret Service Beamten, sofort die Wahlkampfveranstaltung zu verlassen, reckte mehrfach seinen Arm in die Höhe, was die erschrockenen und entsetzten Zuschauer mit lautstarken "USA! USA!"-Rufen quittierten. Es ließe sich kaum ein anderer Moment vorstellen, "der Trumps emotionale Verbindung mit seinen Anhängern und seine Beherrschung des modernen Medienzeitalters" zeige, wie eben diese Szene nach dem Attentatsversuch, so die "New York Times".
Video: Trump bei Wahlkampfrede angeschossen - Schütze getötet
Vorwürfe aus den Reihen der Republikaner an Biden
War der bisherige Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden schon von gegenseitiger Verachtung, heftigen persönlichen Beschuldigungen und Attacken geprägt, so droht nach dem Attentat auf den Ex-Präsidenten eine weitere Verschärfung des aufgeheizten politischen Klimas.
"Erst haben sie ihn verklagt, dann verurteilt, dann haben sie versucht, ihn von den Wahlzetteln zu nehmen", postete der republikanische Ex-Herausforderer von Donald Trump, Vivek Ramaswamy auf X. Und vor dem Hintergrund der beständig wiederholten Verschwörungstheorien, wonach "the deep state", die dunkle Macht einer linken, woken, demokratischen Elite, alles daransetze, Trump zu verhindern, fügte Ramaswamy hinzu: "Das Einzige, was noch tragischer ist als das, was gerade passiert ist, ist, dass es, wenn wir ehrlich sind, kein völliger Schock war."
Damit dürften sich führende Republikaner wie Vivek Ramaswamy auf Aussagen von US-Präsident Joe Biden vom vergangenen Sonntag beziehen. Biden habe in einem internen Rundruf mit seinem Finanzkomitee für seine Wiederwahl die Teilnehmer aufgefordert, die Rufe nach seinem Rückzug von der Kandidatur einzustellen und stattdessen das Augenmerk auf Donald Trump zu richten. Er, Biden, hätte die Debatte über sein Alter satt. "Wir können keine Zeit mehr verschwenden, um abgelenkt zu werden", wie "Politico" anschließend den Präsidenten aus einem Mitschnitt des Telefonats zitiert. Er habe nur eine Aufgabe, "nämlich Donald Trump zu schlagen". Und er, Biden, sei die beste Person, dies zu tun. Die Debatte über seine Person müsse beendet werde. Es sei Zeit, "Trump ins Visier zu nehmen".
Vergiftetes innenpolitisches Klima
Wie weitverbreitet die Bereitschaft unter republikanischen Amtsträgern ist, dem politischen Gegner das Schlimmste zu unterstellen, offenbarte sich in den ersten Stunden nach dem Attentat auf Donald Trump. Ansatzlos twitterte die republikanische US-Senatorin aus Tennessee, Marsha Black: "Vor wenigen Tagen sagte Biden 'es ist Zeit, Trump ins Visier zu nehmen'. Heute (Samstagabend, Ostküstenzeit) gab es einen Attentatsversuch auf Präsident Trump."
Noch deutlicher stellte mit dem Kongressabgeordneten Mike Collins ein weiterer Verbündeter des Ex-Präsidenten die Tat in einen Zusammenhang mit dem demokratischen Amtsinhaber: "Joe Biden gab den Befehl", schrieb Collins auf X. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Mike Johnson, verlangte eine sofortige Untersuchung der "tragischen Ereignisse". Das amerikanische Volk verdiene es, "die Wahrheit zu erfahren."
Mögliche Versäumnisse des Secret Service, dessen Schutz Donald Trump seit November 2015 erhält, dürften in diesen aufgeheizten Zeiten seine Anhänger in ihrer Auffassung bestätigen, dass dafür das Weiße Haus letztendlich verantwortlich sei.
Präsident Biden ruft zur Besonnenheit auf
US-Präsident Joe Biden erreichte die Nachricht vom Attentatsversuch auf Donald Trump während des Gottesdienstes am Samstagabend in der katholischen St. Edmond Kirche in Delaware. Zwei Stunden nach den Schüssen wandte er sich in einer kurzen Ansprache an die Nation. Für diese Art von Gewalt gebe es keinen Platz in Amerika. "Das ist krank", sagte Biden. Das könne nicht zugelassen werden. "Wir können nicht so sein!"
Sein Aufruf zur Besonnenheit ging einher mit einem Kurswechsel im Wahlkampf. Umgehend ließ Bidens Wahlkampfteam die Werbespots im Fernsehen einstellen, ebenso die im Wahlkampf übliche, attackierende Kommunikation. Jede weitere politische Breitseite Bidens gegen seinen Kontrahenten dürfte zunächst einmal zurückgestellt werden.
Hatte das Biden-Team sich bislang gegen die beständig lauter werdenden Rufe aus den Reihen der Demokraten erwehren müssen, der Präsident sei für eine zweite Amtszeit nicht mehr fähig, so sieht das weitere Szenario für Biden jetzt nicht mehr erfolgversprechend aus. Der Präsident kann nach den Schüssen auf Trump nur noch äußerst vorsichtig seinen Wahlkampf fortsetzen. Jedes falsche Wort, jede schärfere Rhetorik könnte nicht allein die breite Anhängerschaft Trumps in Aufregung versetzen, sondern auch zusätzlich die eigene Wählerschaft.
Im Video: Einschätzung von BR-Korrespondent Clemens Verenkotte
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