ZF Friedrichshafen, Schaeffler, SKF: Schweinfurt lebt von seiner Großindustrie. Die unterfränkische Stadt ist geprägt von Gewerbegebieten, weltweit tätige Konzerne im Bereich der Automobil- und Wälzlagerindustrie sind hier ansässig. Dennoch verzeichnet die Stadt mit gut 50.000 Einwohnern seit Jahren die höchste Arbeitslosenquote in Bayern. Auch im April liegt sie mit 6,6 Prozent wieder deutlich über dem bayerischen Wert von 3,3 Prozent, wie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit belegen. Dabei würde man an einem Industriestandort eher das Gegenteil erwarten.
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Drei Viertel der Beschäftigten pendeln in die Stadt
Und tatsächlich hat die Schweinfurter Industrie jede Menge Arbeitsplätze zu bieten, von denen das Umland auch profitiert. Über 21.000 Menschen pendeln täglich von außerhalb in die Stadt. Die Arbeitslosenquote für den Landkreis ist entsprechend niedriger, im April sind es nur 2,6 Prozent.
In der Stadt selbst scheinen die Arbeitssuchenden aber kaum davon zu profitieren. Und das, obwohl auch die Schweinfurter Industrie über Fachkräftemangel klagt, so Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU).
"Mismatch": Fehlende Qualifikation als Problem
Thomas Stelzer, Leiter der Agentur für Arbeit Schweinfurt, spricht angesichts dieses Widerspruchs von einem deutlichen "Mismatch": Das Qualifikationsniveau der Arbeitssuchenden passe nicht zu dem der ausgeschriebenen Stellen. Gesucht würden vor allem Fachkräfte und auch Ingenieure. Laut dem städtischen Jobcenter hat jedoch fast die Hälfte der Langzeitarbeitslosen keinen Schulabschluss.
37 Prozent sind zudem bereits älter als 58 Jahre. Wirtschaftsstandorte wie Schweinfurt seien jedoch stark von Transformation und Veränderung geprägt, so Andrea Schranner, Leiterin des Jobcenters. "Ältere haben es auf so einem Arbeitsmarkt besonders schwer", so Schranner.
Eine Vermittlung der Arbeitslosen in die Industriebetriebe gelingt daher nur selten. Holger Laschka, Pressesprecher der ansässigen SKF GmbH bestätigt: Die in der Metallindustrie gesuchten Qualifikationen seien nur in Ausnahmefällen im Portfolio der Langzeitarbeitslosen wiederzufinden.
Hoher Anteil an ausländischer Bevölkerung
Bei ausländischen Bürgern würde die Vermittlung laut Schranner zusätzlich erschwert, wenn beispielsweise Sprachhürden vorliegen oder Menschen sich wegen Systemunkenntnis nicht an die passenden Stellen wenden. Tatsächlich sind 42,5 Prozent der Arbeitslosen in Schweinfurt Ausländer, was sich durch den insgesamt hohen Migrationsanteil in der Stadt erklären lässt. Über zwanzig Prozent der Wohnbevölkerung hat eine ausländische Staatsbürgerschaft.
In den letzten Jahren ist der Anteil an ausländischen Bürgern, die noch nicht in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sind, weiter gewachsen: 2015 wurde in der Stadt eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete eingerichtet. Später wurde sie zum regionalen Ankerzentrum für Unterfranken ausgeweitet, das 2019 nach Geldersheim im Kreis Schweinfurt umzog. Langfristig könne die Zuwanderung für den Schweinfurter Arbeitsmarkt fruchtbar sein, so Oberbürgermeister Remelé. Der immer neue Zuwachs sei momentan aber noch eine Herausforderung.
Digitalisierung: Sind Jobs in der Fertigung ersetzbar?
Um all diese Gruppen von Arbeitssuchenden schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, bräuchte es laut Arbeitsagenturchef Stelzer mehr Stellen auf Helferebene. Auf jede offene Stelle kämen in Schweinfurt jedoch doppelt so viele Arbeitslose.
Und die Situation könnte sich weiter verengen. Durch die zunehmende Digitalisierung sind Fertigungsberufe stärker bedroht als Stellen im Dienstleistungssektor. Als Industriestandort steht Schweinfurt also vor einer besonders großen Herausforderung. Laut einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) weisen dort circa 30 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse ein hohes Substituierbarkeitspotenzial auf, könnten also künftig durch computergestütze Maschinen übernommen werden. Auch das ist bayernweit der höchste Wert, in München sind es rund sieben Prozent. Helferstellen wären dabei früher gefährdet als Ausbildungs- oder Spezialistenberufe.
Weiterbildung statt Hilfsjobs: "Schweinfurt muss Sozialstandort werden"
Statt in Tätigkeiten auf Helferniveau zu vermitteln, setzt die Stadt deswegen vermehrt auf Weiterbildungs- und Qualifikationsangebote. Ein neues Stadtteilbüro des Jobcenters im Schweinfurter Gründerzeitviertel soll eine nahe Anlaufmöglichkeit für Betroffene schaffen. Ein Drittel der Jobcenter-Kunden lebt dort. Die Stadt arbeitet dabei eng mit der Jugendhilfe, Ausbildungsbetrieben und der Diakonie zusammen. Auch Integrations- und Sprachkurse sollen dort niederschwellig vermittelt werden.
Als moderner Industriestandort müsse sich Schweinfurt künftig umso mehr auch als Sozialstandort präsentieren, so Carsten Bräumer, Vorstand im Diakonischen Werk Schweinfurt. Eine Stadt mit Arbeitsplätzen sei zunächst anziehend für arbeitssuchende Menschen. Letztendlich müsse Schweinfurt dann aber auch die entsprechende Menge an sozialer Beratung gewährleisten können.
Dieser Artikel ist erstmals am 01.05.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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