Almwirtin Regina Leybold füttert ein Kalb auf der Klingelbergalm. Im Hintergrund sind die Mandlwände des Hochkönigs zu sehen.
Bildrechte: Ulrike Nikola / BR

Regina Leybold verbringt den Sommer auf der Klingelbergalm oberhalb von Mühlbach am Hochkönig.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Sehnsuchtsort Berghütte: Fränkin wagt Neustart als Almwirtin

Auf der Suche nach einer sinnhaften Tätigkeit zieht es viele in die Natur. Regina Leybold wagt auf 1.543 Metern sogar einen Neustart, viel Arbeit und Glücksgefühle inklusive. Ist die Sehnsucht der Städter nach den Bergen eine Chance für die Almen?

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Almhütte statt Mietwohnung: Im Sommer tauscht Regina Leybold ihr Zuhause im oberfränkischen Coburg gegen die Klingelbergalm bei Mühlbach am Hochkönig in Österreich ein. Regina, Anfang 60, schlank, schulterlanges Haar und fast immer ein Lächeln auf den Lippen. Es ist ihr zweiter Almsommer, nachdem sie im vergangenen Jahr einen Zertifikationslehrgang Almwirtschaft in Österreich abgeschlossen hat. Von der Klingelbergalm schaut sie direkt auf die Mandlwände des majestätischen Hochkönigs und am Horizont leuchten die Gletscher des Dachsteingebirges. Dieser Anblick bewegt Regina Leybold jeden Tag neu.

Auf der Alm gibt es immer viel zu tun

Eine Bergidylle verbinden die meisten mit Gipfelglück, blauem Himmel und bimmelnden Kuhglocken. Doch die Almwirtin genießt ebenso die klare Luft am Morgen, wenn nach einer verregneten Nacht die Nebelschwaden um die Hütte wabern. Ein besonderes Highlight sind für sie allerdings die spektakulären Sonnenuntergänge am Wasserspeicher oberhalb der Hütte.

Doch zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang gibt es viel zu tun. Denn Regina Leybold versorgt die hungrigen und durstigen Wandernden, die über den Schneeberg herüberkommen oder aus dem Tal hochlaufen. Außerdem kümmert sie sich um die Hütte, die umliegenden Wiesen und die Tiere.

Am Morgen schürt Regina Leybold als Erstes den Ofen in der Küche an. Dann bereitet sie Kaspressknödelsuppe, vegane Aufstriche und vieles mehr zu. Wunsch backt sie glutenfreie Kuchen. Trotz der vielen Arbeit nimmt sie sich zwischendurch Zeit für ihre Gäste. Die Begegnungen mit den Menschen am Berg gefallen ihr ebenso wie das Versorgen der Tiere. Um die Hütte herum gackern acht Hühner und grasen sechs Kälber. Weiter oben verbringen über sechzig Rinder und Pferde den Sommer auf der Alm.

Auf der Alm herrscht "ein Leben im Hier und Jetzt"

Beruflich hat sich Regina Leybold immer wieder erfolgreich neu orientiert, von der Floristin über Produkt-Designerin bis zur Immobilienmaklerin. Nachdem sie ihr Maklerbüro in Coburg verkauft hatte, kam ihr auf einer Reise durch Österreich die Idee mit der Almwirtschaft.

Das Wort "erden" kommt Regina Leybold in den Sinn. Auf der Alm herrsche ein Leben im Hier und Jetzt und die Probleme seien ganz handfest: Wenn die eingezäunte Almwiese abgegrast ist, haben die Tiere Hunger und müssen auf einen neuen Abschnitt getrieben werden. Wenn Regina Leybold abends den Hühnerstall nicht rechtzeitig abschließt, holt sich der Fuchs vielleicht ein Huhn. Mit dem Trimmer rückt sie dem Almampfer zu Leibe, weil die grünen Stauden sonst alle anderen Almkräuter auf den Wiesen verdrängen.

Bildrechte: Ulrike Nikola/BR
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Almwirtin Regina Leybold bepflanzt jeden Sommer die Blumenkästen vor der Hütte.

Da oben ist die Welt noch in Ordnung?

Auf der Alm gefallen ihr vor allem die Nähe zur Natur und das einfache Leben. Keine fixen Termine, frei sein von Zwängen, sich nicht schminken müssen. Kein Informationsüberfluss, kein Fernsehen, begrenztes Internet. Auch die vorbeikommenden Wandernden genießen vor allem die Ruhe in den Bergen. "Das zieht einen jedes Jahr wieder in die Alpen", sagt ein Gast aus Norddeutschland.

Doch auch hier oben sehen sich vor allem Frauen immer noch mit Sexismus konfrontiert. So gibt es beispielsweise das Klischee, dass eine Frau auf der Alm vor allem hübsch auszusehen habe. Auf manch anderer Hütte sind sogar Sprüche auf Biergläsern zu lesen wie: "Kaltes Bier und schöne Weiber sind die schönsten Zeitvertreiber!"

Städter haben oft falsche Vorstellungen vom Leben auf der Alm

Ist die Sehnsucht der Städter nach den Bergen gleichzeitig eine Chance für die Almen? Statt unbewirtschaftet zu bleiben, können Berghütten im Sommer öffnen, weil es Menschen auf der Suche nach einer sinnhaften Tätigkeit in die Höhen zieht.

Klingelbergalm-Besitzer Andreas Weiß ist froh, dass er sich schon in der zweiten Saison auf die Fränkin Regina Leybold verlassen kann. Denn Bewerber und Bewerberinnen kommen oft mit falschen Vorstellungen, sagt er: "Einerseits gibt es diejenigen, die zur Selbstfindung kommen wollen und nur die Idylle, aber nicht die Arbeit auf der Alm sehen. Auf der anderen Seite beinhaltet die Almwirtschaft auch eine Gastronomie, aus der Ehrgeizige große Gewinne abschöpfen wollen. Beides wünschen wir uns für unsere Alm nicht, denn hier soll es ruhig sein, jeder soll sich wohlfühlen und die anfallende Arbeit muss erledigt werden", erklärt Almbesitzer Andreas Weiß.

Im Oktober endet die diesjährige Hütten-Saison auf der Klingelbergalm mit vielen Eindrücken für Regina Leybold aus dem fränkischen Coburg. Und schon jetzt steht für sie fest: Im nächsten Jahr möchte sie gerne wiederkommen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!