In Deutschland hat das Ideal des dörflichen Wohnens lange Zeit das Bauen bestimmt: Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften oder Reihenhäuser – alle mit wenigen Stockwerken. Doch der Wohnungsbedarf hat sich gewandelt. Müssen wir künftig höher hinaus? Eine Daten-Auswertung von BR24 zeigt: Die Wohngebäude im Ballungszentrum München sind nicht die höchsten in Bayern. Das heißt, da ginge noch was – oder?
Bayern: Zwei Drittel der Wohngebäude Einfamilienhäuser
In Nürnberg waren nach Angaben des Zensus (Stichtag 15.05.2022) 56 Prozent aller Gebäude mit Wohnraum Einfamilienhäuser – freistehend, als Doppelhaushälften oder Reihenhäuser. In Augsburg 53 Prozent und selbst in München immerhin knapp die Hälfte, 47 Prozent. Den höchsten Anteil an Einfamilienhäusern gibt es in Kirchheim bei München (80 Prozent).
Interaktive Grafik: So beliebt sind Einfamilienhäuser in Bayern
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Inzwischen aber hat sich das Denken gewandelt: "Die Diskussionen aus den 1980er- und 1990er-Jahren, die darauf abzielten, etwas Dörfliches zu bauen, sind in den großen Städten heute kaum noch zu spüren", sagt Mark Michaeli, Professor für Sustainable Urbanism an der Technischen Universität München: "Alle wissen, der Platz ist zu eng."
Und es ist auch eine Preisfrage: Ricarda Pätzold, Leiterin des Forschungsbereichs Stadtentwicklung, Recht und Soziales am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin, ergänzt: "De facto kann sich aktuell ja kaum jemand ein Einfamilienhausgrundstück – in den teuren Städten – leisten." Es sei also nicht nur ein Bewusstseinswandel, sondern auch die Anerkennung von faktischen Gegebenheiten. Die Gesellschaft werde immer älter. Das führe zu einer stärkeren Nachfrage nach Wohnungen ohne Treppen oder Garten, den es zu pflegen gilt. Zudem ist der städtische Boden begrenzt und kann nur einmal bebaut werden.
BR24 hat anhand von 3D-Gebäudemodellen des Bayerischen Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung ausgewertet, wie hoch die Bayern bisher gebaut haben. Untersucht wurden die 3,2 Millionen Wohngebäude im Datensatz. Hanglage oder spezielle Dachformen können die Ergebnisse der Höhen-Auswertung etwas verzerren. Tendenzen werden aber deutlich.
Im Mittel sind die Wohngebäude in Bayern 9,4 Meter hoch – das entspricht etwa drei Stockwerken.
💡 Der mittlere Wert (Median) teilt die Daten in zwei Hälften, wobei 50 Prozent der Gebäude niedriger und 50 Prozent höher sind als der Median. Der Wert gewichtet daher Ausreißer weniger und bietet ein besseres Bild der "typischen" Gebäudehöhe in einer Gemeinde.
München liegt mit 10,2 Metern über dem bayerischen Mittel. Die im Mittel höchsten Gebäude stehen in Bamberg mit 11,2 Metern. "In Bamberg wurde in den letzten Jahren großmaßstäblicher Wohnungsbau betrieben", sagt Mark Michaeli. "In den Neubau- und Konversionsgebieten finden Sie in Bamberg verhältnismäßig viele Gebäude mit sechs und mehr Geschossen."
Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik erklärt weiter: "Bamberg hat eine dichte und relativ hoch bebaute Altstadt." Die Höhe der Wohngebäude einer Stadt hänge von der Bau- und Erwerbstradition ab. Nürnberg sei beispielsweise eine Arbeiterstadt gewesen und habe deshalb einige höhere Wohnblocks. Auf der anderen Seite: "Wenn Städte nach Bränden oder aufgrund der Kriegszerstörung neu aufgebaut werden mussten, wurde oft nach der dann aktuellen Baukonvention – das bedeutet weniger eng und weniger hoch – gebaut."
Interaktive Grafik: So hoch sind "typische" Wohngebäude
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"Das Wohnhochhaus ist als Bautyp erst mal eine Sonderform", sagt Carolin Genz, Stadtanthropologin und Humangeographin beim "Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung". Das höchste Wohngebäude in Bayern steht nach BR24-Berechnungen in Erlangen – ein 24-geschossiger Hochhauskomplex. Unter die Top 10 gehört auch ein in den 70er-Jahren fertiggestelltes 23-stöckiges Gebäude in Mainaschaff im Landkreis Aschaffenburg. Die bisher höchsten Wohngebäude in München sind die Seniorenresidenz am Westpark und der Olympia-Tower am Helene-Mayer-Ring.
Tabelle: Hier stehen die zehn höchsten Wohngebäude Bayerns
"Mehr Höhe beim Wohnungsbau schafft natürlich mehr Wohnraum", sagt Mark Michaeli von der TU. Das bedeute aber nicht, dass zwingend mehr Hochhäuser benötigt werden. Generell gelten in Bayern nach der bayerischen Bauordnung Gebäude ab 22 Metern als Hochhäuser.
"Das Hochhaus ist keine Lösung für die Wohnungsfrage als solche, sondern bleibt eine Einzellösung", sagt Stadtanthropologin Genz. Auch weil der Bau eines Hochhauses teuer ist: "Die höheren Stockwerke werden in der Regel Eigentumswohnungen, die dann bezahlbare oder subventionierte Wohnflächen mitfinanzieren." Diese Preisklassen führen aber eben nur bedingt zur großen Entspannung der Wohnungsmärkte, sagt Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik. Es fehlen vor allem bezahlbare Wohnungen für Menschen mit "normalen" Einkommen und das kann kaum im Neubau, sondern vor allem in den ausfinanzierten Wohnungsbeständen gesichert werden.
Der für Hochhäuser notwendige Abstand zu anderen Gebäuden frisst zudem Fläche. Dadurch wird ein Hochhaus ineffizienter. Hinzu kommt: Je höher ein Turm ist, desto mehr Aufzüge und auch tragende Pfeiler benötigt es. Das bedeutet, es steht weniger nutzbarer Raum zur Verfügung. "Wenn das Ziel ist, eine bestimmte Menge von Menschen in Wohnungen unterzubringen, geht es aber um die Dichte. Also: Wie viele Menschen leben auf wie viel Fläche?", erklärt Michaeli.
Blockrandbebauung ähnlich effektiv wie Hochhäuser
In einer Stadt wie München könne man in der Regel mit einer optimierten Blockrandbebauung eine ebenso große Dichte wie mit einem Hochhaus erreichen, sagt Michaeli. Und das mit dem ungefähr gleichen Landverbrauch. Blockrandbebauung bedeutet: Eine Gruppe von mehrgeschossigen Gebäuden umschließt dabei einen Block, darin liegt ein gemeinsamer Hof. "Optimierte Blockrandbebauung heißt aber nicht vier Geschosse, sondern eher acht – also ein Gebäude knapp unter der Hochhausgrenze", sagt Michaeli. Das ist etwa doppelt so hoch wie die Höhe der Münchner Gebäude im Mittel bisher.
- Weitere Informationen zur Nachhaltigkeit von Hochhäusern gibt es hier: #Faktenfuchs: Nein, Beton-Hochhäuser sind nicht nachhaltig
Die Mischung machts
Auf der anderen Seite: "Wenn wir nur noch geschlossene Stadtstrukturen – also Blockrandbebauung – bauen, wird der öffentliche Raum in den Städten wahnsinnig knapp", erklärt Michaeli. Die Menschen benötigten aber auch freie Flächen zum Beispiel für Spielplätze. Deshalb könne es an einigen Punkten in der Stadt auch sinnvoll sein, Hochhäuser zu errichten – zum Beispiel, wenn Grundstücke ansonsten nur schlecht erschließbar sind. "Wir sprechen aber von Hochhäusern bis zu einer Höhe von circa 20 Geschossen", sagt Michaeli. Höhere Gebäude brächten wieder weitere Schwierigkeiten mit sich, wie die Anfahrt für die vielen Bewohnerinnen und Bewohner oder der Zugang für die Feuerwehr.
"Mit einer Mischung aus Blockrandbebauung und den offenen, mit kleineren Hochhäusern garnierten Strukturen kann man eine fast vergleichbar hohe Dichte wie mit einer reinen Blockrandbebauung erreichen – aber auch wesentlich mehr Grün." Würde bei der Planung die soziale Infrastruktur, also Ärztezentren, Supermärkte und Kulturangebote, mitgedacht, könnte der Bau von Hochhäusern das Umziehen an den Stadtrand attraktiver machen, ergänzt Genz.
Nutzen, was schon da ist
Um mehr Wohnraum zu schaffen, könnte laut Michaeli bereits das Anheben der durchschnittlichen Geschosszahl etwas bewirken. Und: "Das ist aber momentan aufgrund der gesetzlichen Lage nicht überall möglich." Denn: Neue Bauvorhaben müssen sich in ihrer Bauweise nach §34 Baugesetzbuch in die "Eigenart der näheren Umgebung" einfügen. Außerdem sei das nicht immer im Interesse der vielen privaten Eigentümer. Neue Grundrisse sollten zudem flexibel konstruiert werden, um sie an die sich ändernden Biografien und die örtliche Wohnungsnachfrage anpassen zu können, so Genz.
Fazit: Hochhäuser schaffen mehr Wohnraum. Sie sind aber nur im Einzelfall sinnvoll. Bereits das Aufstocken vorhandener Gebäudehöhen könnte, dort, wo es möglich ist, etwas bewirken.
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