"Grundschule Walting: Endlich informieren" und "Gibt es mehr Opfer?" steht auf Schildern, mit denen Illona und Michael Zehentleitner kurz vor den Sommerferien in der Nähe des Geländes der Grundschule Walting im oberbayerischen Landkreis Eichstätt demonstrieren. Eine enge Freundin ihrer Tochter war 2022 unsittlich von einem Schulweghelfer berührt worden. An der Bushaltestelle hatte er ihr laut dem Ingolstädter Amtsgericht einen Arm um die Schulter gelegt und sie mit der Hand unter dem T-Shirt an der nackten Brust berührt.
Vor Gericht legte der Mann ein umfassendes Geständnis ab. Er wurde im Mai zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Außerdem musste er 1.500 Euro Schmerzensgeld an die Geschädigte zahlen. Nach der Verurteilung erheben einige Eltern Vorwürfe gegen die Schule.
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Vater: "Alles wird totgeschwiegen"
Der Vater des betroffenen Mädchens, der anonym bleiben möchte, ist von der Schule enttäuscht: "Keine Entschuldigung, keine Unterstützung, nichts." Er finde es "eine bodenlose Frechheit", dass die Lehrkräfte die Eltern nicht richtig aufklären und den Kindern teilweise nicht glauben würden: "Das wird alles totgeschwiegen hier. Das ist es, was ich nicht verstehe."
Er und die befreundete Familie Zehentleitner sind sich sicher: Die Schule hätte die Tat verhindern können, wenn sie auf frühere Verdachtsäußerungen angemessen reagiert hätte. Zudem hätte sie ihrer Meinung nach auch die anderen Eltern informiert müssen, spätestens nach der Verurteilung. Zum Schutz der Beteiligten hätte die Schule zumindest für das Thema sensibilisieren können, findet Michael Zehentleitner.
Familie und Schulleitung führen "Kleinkrieg"
Ihre eigenen Kinder gehen mittlerweile auf eine andere Schule. Trotzdem sorgen die Zehentleitners in Walting weiter für Wirbel. Sie erstatteten Anzeige gegen eine Lehrkraft und die Schulleiterin, die kurz vor den Sommerferien in den Ruhestand gegangen war. Zudem schickten sie zusammen mit anderen Eltern eine Petition an den Bayerischen Landtag, in der sie sich nicht nur über die Schule, sondern auch über das Kultusministerium selbst beschweren.
Zurückhaltende Kommunikation wegen laufender Petition
Der Vorsitzende des Elternbeirats, Marco Backer, hat den Eindruck, zwischen den Zehentleitners und der Schulleitung sei ein Kleinkrieg entbrannt. Die Grundschule Walting selbst will sich gegenüber dem BR nicht zu den Vorwürfen äußern und verweist auf das Staatliche Schulamt Eichstätt. Dieses wiederum verweist an die für Grundschulen zuständige Stelle bei der Regierung von Oberbayern, die sich wegen des laufenden Petitionsverfahrens aber nicht konkret dazu äußern möchte - genauso wenig wie das Kultusministerium. Der Landtag wird sich mit der Petition der Elterngruppe nicht mehr vor der Landtagswahl beschäftigen. Erst danach, sobald sich der Ausschuss für Bildung und Kultus neu gebildet und seine Arbeit wieder aufgenommen habe. Wann genau das sein wird, ist noch unklar.
Neuer Landtag soll Schutzkonzepte an Schulen prüfen
In der neuen Legislaturperiode wolle sich der Ausschuss die bestehenden Konzepte zum Schutz von Kindern an Schulen - auch mit Blick auf verpflichtende Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt - vorstellen lassen und diese fortentwickeln, teilt eine Landtagsmitarbeiterin der Elterngruppe mit. Derzeit ist es üblich, dass die Schulen eigene Schutzkonzepte erstellen und entscheiden, welche Maßnahmen für ihr jeweiliges Schulprofil geeignet seien, so das Kultusministerium. Es würde dazu Hilfestellungen bieten, wie etwa einen im April erschienener Leitfaden.
So sollen sich Schulen bei Straftaten verhalten
Was generell gilt, hat das Kultusministerium 2014 in einer Bekanntmachung veröffentlicht. Darin erläutert es, wie sich Schulen im Falle von Straftaten, darunter auch Sexualdelikten, verhalten sollten. Wörtlich steht darin:
"Daneben hat die Schule unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden zu informieren, sobald ihr konkrete Tatsachen bekannt werden, die darauf hindeuten, dass eine der folgenden Straftaten [...] an der Schule oder im unmittelbaren Zusammenhang mit der Schule durch oder gegen ihre Schülerinnen oder Schüler bevorsteht, versucht oder vollendet worden ist." Bekanntmachung des Kultusministeriums von 2014
Die "konkreten Tatsachen" oder der "unmittelbare Zusammenhang" werden allerdings nicht näher erläutert.
Kultusministerium: Bislang keine Anzeichen von Pflichtverletzung
Die Elterngruppe rund um die Zehentleitners wirft der Schulleitung hier Versäumnisse vor. Eine Sprecherin des Kultusministeriums betont gegenüber dem BR hingegen schriftlich, dass es bisher keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Schulleitung der Grundschule Walting dienstliche Pflichten verletzt habe. Zudem würden sich die Pflichten einer Schule immer auch danach richten, ob es sich um einen schulischen Vorfall und schulisches Personal handelt. Im Fall der verurteilten Busaufsicht sei das zu verneinen, es habe sich um einen Angestellten der Gemeinde gehandelt, so das Kultusministerium.
Gemeinde Walting: Arbeitsverhältnis mit Schulweghelfer beendet
Laut dem Waltinger Bürgermeister Roland Schermer (CSU) wurde das Arbeitsverhältnis mit dem Mann beendet. Er sei von sich aus von der Stelle zurückgetreten, nachdem die Eltern des Mädchens Anzeige gegen ihn erstattet hatten. Er habe bis zum Gerichtsurteil nicht mehr als Busaufsicht gearbeitet. Wann und wie er von dem Vorfall erfahren hat, daran erinnert sich Schermer nicht mehr. Auch wann die Gemeinde das erweiterte Führungszeugnis des Mannes angefordert habe, das vorliege, sei nicht mehr eindeutig nachvollziehbar. Laut dem Ingolstädter Amtsgericht war der Mann nicht vorbestraft.
(Un)verständnis anderer Eltern gegenüber Demos
Weil die Schule ihrer Meinung nach nicht genug aufgeklärt hat, versuchen die Zehentleitners im Rahmen von angemeldeten Demonstrationen selbst aufzuklären. Der Vorsitzende des Elternbeirats, Marco Backer, kritisiert, dass ihre Schilder einen falschen Zusammenhang herstellen. Denn der Vorfall sei an der Bushaltestelle und nicht in der Grundschule geschehen. Die Schilder würden in einem Maße alarmieren, das nicht im Verhältnis zum Sachverhalt stehen würde. Auch andere Eltern, die nach den Demos von Backer wissen wollten, was da los sei, hätten nach der Erklärung Unverständnis für die demonstrierenden Eltern geäußert. Über die Vorgehensweise der Schule habe sich bei ihm niemand beschwert.
Ein unbeteiligter Vater, der die Demo verfolgt hatte, sagt gegenüber dem BR: "Ich hätte mir schon von der Schulleitung gewünscht, dass sie die Eltern informiert, nachdem es ein rechtskräftiges Urteil in dieser Angelegenheit gab." Trotzdem wolle er nicht direkt mit der Demo in Verbindung gebracht werden: "Ich fürchte auch Repressalien seitens der anderen Bürger. Vielleicht wird mein Kind dann schräg angeschaut aufgrund der Tatsache, dass ich hier stehe."
Petition hat in Walting bereits etwas erreicht
An der Waltinger Grundschule hat die Petition bereits etwas bewegt: Im kommenden Schuljahr sollen Aktionstage für die Schülerinnen und Schüler stattfinden. Diese sollen den Kindern laut dem Elternbeirats-Vorsitzenden vermitteln, wie sie im Falle von Grenzüberschreitungen reagieren können. Im Juli hat die Grundschule zudem eine Kooperationsvereinbarung mit dem Eichstätter Jugendamt unterschrieben. Darin steht: Regelmäßiger Austausch solle die Handlungssicherheit der Kooperationspartner verbessern. Wann sich der neu gewählte Landtag mit der Petition beschäftigt, steht noch nicht fest.
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