Hinweis: Der Artikel wurde erstmals am Dienstag (12.03.2024) veröffentlicht. Wir haben den Artikel am Mittwoch (13.03.2024) um ein Statement der Gruppe "Palästina Spricht MUC" und um eine Erklärung der Polizei München ergänzt.
Der vergangene Freitag sollte eigentlich der Tag sein, an dem Frauen und Mitglieder der queeren Community für ihre Belange auf die Straße gehen: körperliche Selbstbestimmung, Bezahlung von Care-Arbeit, Schutz vor sexuellen Übergriffen, ein Ende der Femizide.
Doch das eigentliche Thema rückte teilweise in den Hintergrund. Die Demonstration zum "Internationalen Frauen*Kampftag", zu der das Bündnis "8ter März" aufgerufen hatte, sorgte für Schlagzeilen, die mit den inhaltlichen Forderungen von Feministinnen und Feministen nicht mehr viel zu tun hatten. Auf der Demo am Münchner Marienplatz kam es zu Spannungen zwischen pro-palästinensischen Demonstrierenden und Teilnehmern einer weiteren Demonstration, die auf weibliche Geiseln in Hamas-Gefangenschaft aufmerksam machen wollten.
Organisatoren wollen Konsequenzen ziehen
Nun wollen die Organisatoren Konsequenzen ziehen: Für zukünftige Demos überlegen sie nun, ob sie sich Hilfe von professionellen Security-Firmen holen. Es seien auch beim nächsten Mal trotz der Spannungen Feministen und Feministinnen aller Gruppierungen willkommen, sagen die Veranstalter – solange es auch wirklich nur um die Belange der Frau geht, und um sonst nichts.
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass die Demonstration vom Konflikt in Israel und Gaza überlagert wurde? Inwiefern gehen die Wahrnehmungen auseinander – und worauf kann man sich einigen?
Veranstalter der pro-israelischen Demo berichten von "Geschubse"
Rückblick auf Freitag: Um 17 Uhr war die große Weltfrauentagsdemonstration vor dem Münchner Rathaus geplant. Zuvor gab es eine weitere Demoveranstaltung von dem Bündnis "Run For Their Lives", das sich wöchentlich in Solidarität mit den israelischen Geiseln versammelt. Am Weltfrauentag sei das Bündnis explizit mit dem Ziel auf die Straße gegangen, der weiblichen Geiseln zu gedenken, erklärte Veranstalter Guy Katz. An der Demonstration nahmen laut Medienberichten Prominente wie die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, und US-Generalkonsul Timothy Liston teil.
Im Anschluss an die eigene Demonstration habe man die große Weltfrauentagsdemo am Marienplatz besuchen wollen, so Veranstalter Katz. "Als wir dort ankamen, wurden wir von pro-palästinensischen Demonstranten blockiert", schildert er. Es sei zu "Geschubse" gekommen, die Polizei habe einschreiten müssen. "Ich fand es erschütternd, wie mit älteren jüdischen Frauen – teils zweite Generation von Holocaust-Überlebenden – umgegangen wurde", erzählt Sibylle von Tiedemann, die an der "Run For Their Lives"- Demo teilgenommen hatte und als Lesbe anschließend bei der Weltfrauentagsdemo dabei sein wollte. Unter anderem seien die älteren jüdischen Teilnehmerinnen angerempelt worden. Schlussendlich seien die Demonstrierenden, die für die israelischen Geiseln protestieren wollten, aus Angst gegangen.
Pro-palästinensische Seite berichtet von verbalen Attacken
Das Bündnis "Palästina Spricht München", das bei der Frauentags-Demonstration vor Ort war, widerspricht dieser Sicht: "Zu 'Rangeleien' bzw. 'Schubsen' älterer Damen kam es zu keiner Zeit von unserer Seite", schreibt die Gruppe auf Anfrage. Im Gegenteil seien sie wiederholt "verbal attackiert, beleidigt und rassistisch angegangen" worden. Außerdem habe die pro-israelische Gruppe versucht, Transparente der pro-palästinensischen Seite herunterzureißen.
Die Polizei München bestätigt BR24 auf Anfrage, dass es bei der Demonstration zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen ist. Es sei aber unklar, welche Seite den Streit angezettelt habe oder ob beide Parteien gleichermaßen beteiligt waren. "Die Polizei ist zu keinem Zeitpunkt eingeschritten", so Polizeisprecher Bahadir Can. Die Beamten seien von keiner der beiden Seiten gebeten worden, zu schlichten. Entsprechend habe die Polizei bei der Demonstration keine Personen in Gewahrsam genommen, keine Plakate oder Banner sichergestellt und auch im Nachhinein keine Anzeigen erhalten.
Hintergrund: Welche Kritik gibt es an Israel, welche an der Hamas?
Israel wird von Kritikern vorgeworfen, im Kampf gegen die Hamas im Gaza-Streifen einen Genozid zu begehen. Nach einer von Südafrika angestrengten Klage muss sich Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen des Vorwurfs des Völkermordes verantworten. Israel und auch die deutsche Regierung weisen den Genozid-Vorwurf zurück.
Die Vereinten Nationen werfen der Hamas wiederum "schwerste sexuelle Gewalt gegen Frauen" bei ihrem Anschlag auf Israel am 7. Oktober vor. Laut der UN gebe es außerdem "klare und überzeugende Informationen" darüber, dass die Hamas auch fortwährend sexuelle Gewalt gegen Geiseln anwende.
Israelische Flaggen mussten runter – und palästinensische nicht? Veranstalter widerspricht
Kritik richtet sich aber auch gegen die Veranstalter der Weltfrauentagsdemo selbst: Die Veranstaltungsleitung der Demonstration habe darum gebeten, sowohl israelische Flaggen als auch die Plakate mit den Gesichtern der israelischen Geiseln herunterzunehmen, sagt Guy Katz von "Run For Their Lives". Außerdem sei man zwar gefragt worden, ob die Demonstrierenden der "Run For Their Lives"-Veranstaltung beim anschließenden Marsch durch die Münchner Innenstadt mitlaufen wollen, "allerdings nur ganz hinten", so Katz. Zwischenzeitlich sei man sogar darum gebeten worden, die Veranstaltung zu verlassen.
Diesen Vorwürfen widersprechen die Veranstalter und Veranstalterinnen der "Internationalen Frauen*Kampftag"-Demo vehement: Man habe nicht nur israelische Flaggen verboten, sondern alle nationalstaatlichen Fahnen – auch palästinensische. "Wir haben immer wieder auch Menschen angesprochen, die die Palästina-Flagge gezeigt haben und ihnen gesagt, dass sie das unterlassen sollen", so Veranstaltungsleiterin Holga Rehmeier.
Auch hätten die Veranstalter die pro-israelischen Demonstrierenden nie darum gebeten, den Protest zu verlassen, betont sie. Die Demonstrierenden mit pro-israelischem Fokus seien zudem nicht bewusst ans hintere Ende des Marsches geschickt worden. "Ich hatte ihnen angeboten, im bunten Block mitzulaufen", sagte Rehmeier, "weil sich das am besten angeboten hat". Dieser Teil des Protestmarsches sei nun mal zufällig am Ende des Demonstrationszugs gewesen. Vorneweg seien unter anderem ein gewerkschaftlich organisierter Block aus der "Care-Arbeit" gelaufen, erklärte Rehmeier, gefolgt von dem Bündnis "Ni una menos", das sich für ein Ende der Femizide einsetzt.
Inhalte des Weltfrauentags rückten in den Hintergrund
In einer Angelegenheit waren sich alle Beteiligten einig: Die eigentlichen Inhalte des Weltfrauentags rückten in den Hintergrund. "Ich finde es schrecklich, dass es nicht um die Frauen ging, sagte etwa "Run For Their Lives"-Veranstalter Guy Katz. "Der Fokus auf die Frau ist abhandengekommen", bedauert auch Mitveranstalterin und Rednerin der Weltfrauentagsdemo, Silvia Schwarz.
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