Fünf der 596 Delegierten stimmen im Berliner City Cube gegen den Kanzlerkandidaten Scholz. Alle anderen wollen mit dem amtierenden Kanzler in den Wahlkampf ziehen. Es gab nur einen Kandidaten.
Ein Aufbruch, das soll dieser Express-Parteitag - er dauert fünf Stunden - nach draußen senden: Die SPD hat sich noch nicht aufgegeben. Ähnlich wie im Jahr 2021. 207 Abgeordnete schafften es damals nach einer intensiven Aufholjagd in den Bundestag.
Auch damals seien die Umfrageergebnisse nicht umwerfend gewesen, beschreibt es der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Nur: Die Zeiten haben sich geändert. Der Scholz aus dem Jahr 2021 war als Kanzler ein unbeschriebenes Blatt. Drei Jahre später geben nur noch 20 Prozent der Menschen an, dass sie mit seiner Arbeit zufrieden sind. Eine schwere Hypothek für eine erfolgreiche Aufholjagd.
Scholz als Garant der ruhigen Hand
Wer kann es besser? Wer ist besser für Deutschland? Diese Fragen stehen über dem Parteitag. Für die SPD ist die Antwort klar: die Sozialdemokraten mit Scholz. Der bemüht sich, beschwört eine "verdammt ernste Zeit". Eine Zeit, in der Krieg geführt wird, eine Zeit, in der einige "von der Kettensäge träumen" und den "Sozialstaat klein sägen" wollen. Eine Zeit der "Enthemmung", in der Politiker angegriffen werden. Die Begriffe sind wie die Zeiten: drastisch.
Sorgen der Menschen über Krieg, gestiegene Preise, Zukunft der Wirtschaft - Scholz spricht das alles an. Er setzt etwas dagegen: sich und seine ruhige Hand: Man solle sich nicht verrückt machen lassen in dieser verrückten Zeit.
Seine Rede, die den Wahlkämpfenden signalisieren soll, da geht noch was, ist genauso: besonnen. Kein Schreien, kein Toben, das hätte man dem hanseatisch-unterkühlten Scholz ohnehin nicht abgenommen. Euphorie aber erzeugt er mit dieser Rede nicht. Lediglich einmal wird er von einem Sturm der Begeisterung unterbrochen: als er Selbstkritik anklingen lässt beim Ampel-Management: "Vielleicht hätte ich früher auf den Tisch hauen müssen, auch öffentlich." Da schäumt der Saal, es zeigt sich, wie tief der Frust über die Performance der Ampel-Regierung sitzt.
Heftige Kritik an Unionskandidat Merz
Ansonsten Erwartbares. Der ehemalige Finanzminister Scholz knöpft sich die Agenda 2030 der Union vor: Die reiße "einen Riesenkrater" in den Bundeshaushalt. 100 Milliarden pro Jahr kosteten die Versprechen der Union. Und wer bezahle das alles? "Die ganz normalen Leute in unserem Land", so Scholz. Man müsse daher verhindern, dass CDU und CSU einen Regierungsauftrag bekämen. Scholz sieht Deutschland am Scheideweg: "Wenn wir falsch abbiegen, werden wir morgen in einem anderen Land aufwachen, das darf nicht passieren."
Immer wieder skizziert Scholz seine Partei als Garant der "ganz normalen Leute" - in Abgrenzung zur Union, die mache Politik für die oberen Zehntausend. Die Rezepte der SPD: Mindestlohn rauf auf 15 Euro, Renten stabilisieren, Mehrwertsteuer runter - und vor allem Investitionen fördern. Mit einem Deutschlandfonds, gespeist aus öffentlichen und privaten Geldern und einem "Made-in-Germany-Bonus" für die Unternehmen, die patriotisch in Deutschland investieren.
Kein Wort über Robert Habeck und die Grünen, kein Wort über die AfD und Alice Weidel. Der Fokus liegt klar auf Friedrich Merz und der CDU. Der erfahrene Politiker Scholz bewahre einen kühlen Kopf und eine klare Haltung - im Gegensatz zu den "Kapriolen" eines Merz, vor allem, was den russischen Angriffskrieg in der Ukraine betrifft. So geht die Erzählung der SPD.
Bayerns SPD-Delegierte halten Scholz für den besten Kandidaten
Boris Pistorius ergreift als einer der ersten das Wort nach der Rede des Kanzlers. Der Verteidigungsminister verteidigt Scholz: als Mann der Besonnenheit, als einen, der keine Experimente eingeht, deren Ende er nicht absehen kann; als Krisenmanager. Stichworte: Ukraine-Unterstützung sowie Putin und dessen atomare Fantasien. Im City Cube ist der Beifall eher mäßig. Viele haben Pistorius übelgenommen, dass er sich so lange als Kandidat im Spiel gehalten hat. Schwamm drüber, sagen sie jetzt. Wo sie Scholz als Kandidaten haben. Haben müssen.
Die bayerischen Delegierten sind zufrieden mit dem Auftritt des Kanzlers. Der Spitzenkandidat der bayerischen SPD, Carsten Träger, sieht die SPD gestärkt in den Wahlkampf ziehen. Auch Bärbel Kofler, Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, kann sich keinen besseren Kandidaten vorstellen.
Er wisse, es werde nicht leicht, sagt Scholz am Ende seiner Rede. Aber Winterwahlkämpfe könnten ein gutes Ende nehmen. In Hamburg habe er sich zweimal zur Wahl gestellt und zweimal gewonnen. Für Scholz ist das ein gutes Zeichen, das mache Mut in dieser Zeit - und diesen Mut würde man brauchen: "Es geht um verdammt viel."
Weitere Hintergrund- und Service-Artikel zur Bundestagswahl 2025
- Zum Artikel: Wie sich Bayern auf die Neuwahl vorbereitet
- Zum Artikel: Neues Wahlrecht: So funktioniert die Bundestagswahl 2025
- Zum Überblick: Erst- und Zweitstimme – so wählen Sie richtig
- Zum FAQ: Briefwahl zur Bundestagswahl - so geht's
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!