Moritz Feldhege ist nicht nur Schwammerlsucher, er ist geradezu Schwammerl-Googler. Auf Google Maps sucht er sich Waldstücke wie dieses bei Grasbrunn, östlich von München. Das Satellitenbild sah gut aus, üppig grün, viele Nadelbäume, das könnte ein guter Standort für Steinpilze und Pfifferlinge sein. Und geregnet hat es in den Tagen zuvor auch. Sein Motto: "Irgendwas findet man meistens, und wenn nicht, hat man eine schöne Zeit in der Natur verbracht."
Feldversuch: Wie viele Pilze in einer Stunde?
Also machen wir einen Test: Eine Stunde Pilzsuche – werden wir fündig werden? Gleich neben der Landstraße beginnt der Forstweg, den wir nach wenigen Metern verlassen, um uns in den Wald zu schlagen. Es ist ein warmer Tag, aber unter den Bäumen ist es angenehm kühl. Ein leichter Wind weht. Beim Gehen knirschen trockene Zweige unter unseren Füßen.
Und tatsächlich: Schon nach einer Minute sehen wir das erste Schwammerl: einen korallenförmigen Pilz, allgemein Ziegenbart genannt. Orange-golden leuchtet er aus dem Moos. Weil sich Moritz nicht sicher ist, ob es sich um ein essbares Exemplar oder einen giftigen Verwandten handelt, lassen wir ihn stehen. Wir sehen noch mehr dieser hübschen Pilze. Sie sehen frisch aus, es dürfte also in den vergangenen Tagen ausreichend feucht gewesen sein. Das bestärkt Feldhege in der Hoffnung, dass wir bald erfolgreich sein werden.
"Hier ist was!", ruft Feldhege plötzlich. Ein Röhrling, möglicherweise ein flockenstieliger Hexenröhrling. Handtellergroß, nur ein bisschen von Schnecken angefressen. "Das wäre ein ausgezeichneter Speisepilz." Er ist sich aber nicht sicher, will ihn zu Hause nochmal unter Zuhilfenahme seines Pilzbuchs genauer analysieren. Immerhin: Der erste Pilz wird aus dem Boden gedreht und landet im Korb. Keine fünf Minuten sind wir unterwegs.
2024 bislang ein ideales Pilzjahr
Pilzsuchen schon im Juli – ist das nicht arg früh? Nein, sagt Feldhege, er gehe oft schon im Juni. Und heuer sei es bislang sogar noch besser gelaufen, sagt Pilzberater Georg Dünzl von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. 2024 sei bislang extrem regenreich gewesen, das sei eine ideale Voraussetzung für Pilzwachstum. Schon im Mai habe man Steinpilz-Funde verzeichnet.
Wird uns das auch auch gelingen? Wo ein Pilz ist, sind meistens auch mehrere. Deshalb sucht Feldhege nun spiralenförmig rund um die Röhrling-Fundstelle den Boden ab. Und tatsächlich: Noch ein Röhrling, allerdings vermutlich ein Gallenröhrling, der zwar einem Steinpilz ähnlich sieht, aber arg bitter schmeckt. Also: Weiter geht es über Moos und Nadeln.
Schon als Kind ist der heute 27-Jährige mit seiner Familie immer wieder Schwammerl suchen gegangen. Das habe ihm Riesenspaß gemacht, erzählt er beim Gehen, den Blick immer Richtung Boden. Deshalb habe er sich überlegt, wie er diese Interessen im Alltag umsetzen kann. "Wo immer ich bin, suche ich mir in meiner Umgebung Wälder und freue mich, wenn ich dann auch was zum Essen mit nach Hause nehmen kann."
Pilze mögen keine Plastiktüten
Einen Korb hat Feldhege dabei, dazu ein Messer und einen Jutebeutel. Standardausrüstung für Pilzsammler. Plastiktüten eignen sich übrigens nicht, warnen Experten, weil die Pilze darin sehr schnell verderben können.
Es geht vorbei an einigen winzigen Pilzen mit dünnen Stielen, an giftigen Lamellenpilzen und an vielen unbekannten Exemplaren. 20 Minuten ohne weiteren verwertbaren Fund. Feldhege bemüht sich, den Wald systematisch zu durchforsten: Er geht in geraden Linien nach vorne und etwas weiter seitlich wieder zurück, ein bisschen wie die Rasenmäher im Fußballstadion. Fast eine halbe Stunde geht das so.
Und dann: "Hier ist ein wunderschöner Fund! Pfifferlinge!" Sieben gelbe, daumengroße Köpfchen schauen aus dem Moos, ein bisschen wie Dotterflecken sehen sie aus. "Die stehen meistens nicht allein. Und da hinten geht’s auch schon weiter." Knapp 20 Pfifferlinge schneidet Feldhege aus dem Boden, aber damit immer noch nicht genug. Nur ein paar Meter weiter stoßen wir auf mehrere größere Exemplare, gefolgt von Dutzenden kleineren. "Eine ganze Straße", freut sich der Hobby-Schwammerlsucher. Ein paar ganz kleine lässt er stehen. Da freue sich noch jemand anders, und für das Myzel, also das Pilzgeflecht im Boden, sei es auch gut.
Pilzesammeln erfüllt bei ihm "richtige Urtriebe"
Der 27-Jährige studiert Medizin. In seiner Freizeit geht er neben der Pilzsuche auch gern Fischen mit Angel – und im Meer auch mit Harpune. "Ich glaube, das liegt in unserer DNA, in der Natur unterwegs zu sein und unsere Nahrung zu sammeln. Ich gerate da zum Teil in einen Tunnelblick und fast in eine Ekstase, das erfüllt bei mir richtige Urtriebe."
Sein Pilzwissen hat er sich Schritt für Schritt angeeignet. Manchmal nimmt er sich unbekannte Pilze mit nach Hause und untersucht sie dort. So lernt er immer mal wieder eine neue essbare – oder natürlich auch giftige – Art kennen. Pilzberater Dünzl rät, im Zweifelsfall ihn oder einen seiner Kollegen aufzusuchen. Adressen für den Freistaat finden sich im Internet bei der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft (externer Link).
Im Wald bei Grasbrunn läuft es jetzt: Gleich neben den Pfifferlingen finden wir einen flockenstieligen Hexenröhrling. Rötlicher Stiel mit kleinen Pünktchen, wenn man ihn aufschneidet, läuft er sofort blau an. Und da ist nicht nur einer. Innerhalb von fünf Minuten finden wir auf einer Fläche von vielleicht hundert Quadratmetern noch weitere und – als Höhepunkt – zwei Steinpilze.
Schlussbilanz: Über 60 Pilze in einer Stunde
Die 60 Minuten vergehen wie im Flug, dann ist es Zeit für eine Bilanz: zwei Steinpilze, knapp zehn Hexenröhrlinge und gut 50 Pfifferlinge. Feldhege überlegt, ob er sich daraus eine Pasta-Sahnesauce zubereitet oder ein gemischtes Pilzrisotto. Oder er brät sie ganz schlicht mit Salz, Pfeffer und Olivenöl an und legt sie auf ein Baguette mit Frischkäse.
In jedem Fall steht ein leckeres Abendessen bevor, gesammelt im Wald bei München, 20 S-Bahn-Minuten vom Marienplatz entfernt. Schwammerl-Googlen kann also wirklich zum Erfolg führen.
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