Ist die Freigabe von Cannabis ab 1. April Fluch oder Segen? Pro und Contra werden auch nach der Freigabe diskutiert. Im Fokus stehen unter anderem gefährdete Konsumenten und die Drogen-Beratung.
Nils und Nico kiffen seit mehreren Jahren. Die beiden Jugendlichen, 16 und 22 Jahre alt, besuchen eine Selbsthilfegruppe für Drogengefährdete im Diakoniewerk Herzogsägmühle in der Nähe von Peiting im Landkreis Weilheim-Schongau. Volker Greiner leitet die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" und arbeitet seit Jahren in der Suchtberatung. Die beiden jungen Kiffer kennt er schon seit Längerem und bezeichnet sie als konsumerfahren.
"Freigabe nimmt eine Last von den Konsumenten"
"In den Gesprächen mit den Jugendlichen hat sich herausgestellt, dass es nicht unbedingt zu einer Konsumerhöhung kommt", sagt der Drogenberater mit Blick auf die Cannabis-Freigabe. Er begrüßt die Freigabe, weil dadurch der Druck durch das Gesetz auf jugendliche Konsumenten abnimmt. Unter der Einschränkung, "wenn man sich an die Gesetze hält, die Vorgaben, die Abstandsregeln einhält und natürlich das Konsumalter mit Volljährigkeit erfüllt". Dieser Druck ist raus und es nimmt eine große Last, meint der Experte. Gleichzeitig warnt er vor einer Verharmlosung des Cannabis-Konsums. Seine beiden Schützlinge sehen die Freigabe ebenfalls differenziert.
Größte Gefahr der Freigabe: Wie wirkt es auf Kinder und Jugendliche?
Die Jugendlichen begrüßen die neuen Regeln im Umgang mit Cannabis, die ab 1. April in Deutschland gelten: "Ich find's gut, dass sie's jetzt endlich legalisieren. Ich hoffe auch, dass der Schwarzmarkt zurückgeht. Da hab' ich ein gutes Gewissen, wenn ich in einen Coffee-Shop gehe, dass es reines Gras ist. Und nicht mit chemischen Mitteln gestreckt ist – oder mit Haarspray", sagt einer der beiden.
Die größte Gefahr sehen sie darin, dass immer jüngere Kinder und Jugendliche mit dem Kiffen anfangen. Nico, der ältere der beiden, bezeichnet sich als körperlich abhängig. Er kifft seit fünf Jahren und sorgt sich um junge Konsumenten. Er spricht aus eigener Erfahrung: "Man muss auf jeden Fall auf die Kinder achten. Ich würd' keinem empfehlen von 12 bis 15, einen Joint in die Hand zu nehmen und zu rauchen. Und zu denken, das ist übel geil, das ist lustig. Das kann sehr, sehr schnell zum Problem werden."
"Ich will eine Therapie machen"
Bei ihm war es so. Gesundheitliche Probleme, keine Ausbildung, Ärger mit der Familie oder der Polizei. Deshalb sind die beiden bei der Suchtberatung. Der 22-Jährige will trotz der Freigabe von Cannabis jetzt eine Therapie beginnen und mit dem Kiffen aufhören: "Ich kann nicht mehr ohne Cannabis einschlafen", sagt er. "Dann auch das Finanzielle, ich hab' nicht die Mittel, um so viel zu rauchen, wie ich eigentlich wollen würde oder müsste, um nicht die Entzugserscheinungen zu haben. Das andere sind familiäre Sachen." Er will seine Familie nicht mehr belügen, um Geld für Dinge betteln, das er dann für Drogen ausgibt.
Nico steht auf der Warteliste für einen Therapieplatz. Die Suchtberatung der Herzogsägmühle hat ihm dabei geholfen, die richtige Einrichtung zu finden. Nach der Therapie hofft er, ohne Cannabis leben zu können.
Abwarten, was passiert
Man müsse jetzt einfach sehen, wie sich das hier auf dem Land entwickelt, sagt Suchtexperte Volker Greiner. Dass es in Peiting oder Schongau einen Anbauverein geben wird wie in den großen Städten, kann er sich nicht vorstellen. Und auf dem Gelände der diakonischen Einrichtung mit strengem Alkohol- und Cannabis-Verbot wird die Freigabe weiter im Sinne der Prävention von gefährdeten Jugendlichen und Erwachsenen gehandhabt - mit Null-Toleranz für den Konsum.
Wie sich die politische Diskussion in Bayern entwickelt, da sieht der Sucht-Fachmann weiter Klärungsbedarf: "Wir wollen nicht, dass bei unserem Dorffest gekifft wird", sagt Greiner, "wenn Leute von außen zu uns kommen und dann von ihrem neuen Recht Gebrauch machen wollen." Der Schutz der Hilfebedürftigen im Diakoniedorf mit seinen rund 900 Einwohnern steht dann im Vordergrund.
"Der Benz mit getönten Scheiben kommt jetzt seltener"
Und die Polizei tut ihm leid, die jetzt vor Schulen oder Kindergärten den Besitz und Konsum von Cannabis kontrollieren soll. Er hofft, dass der weiße Benz mit getönten Scheiben und Starnberger Auto-Kennzeichen seltener vor Ort zu sehen ist. "Die Hoffnung hab' ich durch die Freigabe", sagt Volker Greiner, dass durch den privaten Anbau außerhalb seiner Einrichtung die Dealer-Szene "auch bei uns" zurückgeht.
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