Die Schlange vor der Tafel in der Ingolstädter Innenstadt ist einige Meter lang. Die Zahl der Kunden hat sich seit dem vergangenen Jahr mehr als verdoppelt - auf 3.000 Menschen. Im Ausgaberaum schneidet eine Mitarbeiterin Brot in mehrere Stücke, eine andere gibt Toast aus. "Es ist anstrengender und man muss halt ein bisschen schneller sein. Und hoffen, dass man immer genug Ware hat. Manchmal reicht's, manchmal reicht's nicht", sagt die Ehrenamtliche.
Die Spenden aus den Supermärkten nehmen ab. Dort wird optimierter bestellt, viel reduziert verkauft, was früher an die Tafeln ging. Laut Tafelverband Bayern sind davon mittlerweile rund 80 Prozent der 172 bayerischen Tafeln betroffen. Die Tafel in Ingolstadt hat auch deshalb ihre Kapazitätsgrenze erreicht.
Aufnahmestopp in Ingolstadt
Mittlerweile hat die Tafel Ingolstadt einen Aufnahmestopp verhängt. Es werden keine neuen Kunden mehr aufgenommen. Und das wird sich so schnell nicht ändern, sagt die Vorsitzende Petra Willner bedauernd: "Wir haben unsere Grenze erreicht oder auch schon überschritten." Die Kühlräume seien bis unter die Decke gefüllt, die Ehrenamtlichen teilweise über 30 Stunden im Einsatz - obwohl sie mit über 80 engagierten Helfern gut aufgestellt sind. "Wir sind mittlerweile schon ein kleines Logistikunternehmen", sagt Willner.
Der Einsatz ihrer Mitstreiter macht sie stolz: "Jeder will hier sein Bestes geben. Probleme gibt es nicht, nur Herausforderungen", sagt sie. Dennoch: Dass sie manchen Rentnern nicht mehr so helfen kann wie noch vor einem Jahr, schmerzt sie: "Gerade die alten Leute, mit kleiner Rente, die tun mir leid. Die Sorge haben, ihre Rechnung nicht mehr bezahlen zu können. Die ihr Leben lang gearbeitet haben. Das tut mir sehr leid."
Aber die Tafel Ingolstadt kann und will nicht mehr größer werden. Der Vorstand des Landesverbandes Bayern, Peter Zilles, meint gar, dauerhaft könnten die Tafeln nicht so viele Menschen unterstützen.
Tafeln sind keine Versorger, sondern unterstützen
Der bayerische Tafelverband verweist darauf, dass die Tafeln nicht versorgen, sondern nur unterstützen. Darin sind sie sich mit der Politik einig. Klar ist aber auch: Für viele Menschen wird es ohne die Hilfe der Tafeln wegen der Inflation und der hohen Energiepreise finanziell sehr eng.
Das merkt auch eine junge Mutter aus Ingolstadt: "Wir sind Aufstocker beim Jobcenter. Wir arbeiten beide. Aber das hilft uns einfach Geld zu sparen, die Lebensmittel werden immer teurer mit Kindern. Leider", sagt sie. Ohne die Tafel müsste sie bei Hygieneartikeln und Klamotten bei sich und ihrem Partner sparen.
Aus dem bayerischen Sozialministerium und dem Bundessozialministerium heißt es, bei der Armutsbekämpfung sei man gut aufgestellt. Doch die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) bestätigt, in Anbetracht der Inflation und der steigenden Energiekosten reiche das Geld für viele Menschen nicht mehr. Sie fordert vom Bund, gegen die Inflation vorzugehen. "Diese Energieinflation ist hausgemacht. In Frankreich gibt es bei Weitem eine niedrigere Rate. Und bei diesem Kaufkraftverlust, da muss die Politik im Bund gegensteuern", sagte sie im Interview mit dem BR.
Bürgergeld, Renten und Mindestlohn erhöht
Das Bundesozialministerium teilt auf BR-Anfrage mit, dass man bereits reagiert habe. Beim Bürgergeld, der Rente und beim Mindestlohn habe es deutlich Anhebungen in den vergangenen Monaten gegeben. "Hilfebedürftige Menschen haben Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II ("Bürgergeld") und SGB XII ("Sozialhilfe"), die das Existenzminimum sichern und grundsätzlich auch eine soziokulturelle Teilhabe ermöglichen", teilt eine Sprecherin schriftlich mit.
Doch genau das seien die Kunden der Tafel, sagt Peter Zilles, Vorstand des bayerischen Landesverbandes. Er schätzt die Erhöhungen der staatlichen Leistungen als nicht ausreichend ein. Das Bundessozialministerium weist gleichzeitig darauf hin, dass es nicht zulässig ist, wenn lokale Stellen oder sogar staatliche Leistungsträger Personen, die in einer akuten Bedarfslage sind, zu den Tafeln schickt. Doch auch das geschieht in der Praxis. "Nicht mehr so oft, wie früher, aber immer noch bekommen die Menschen beim Jobcenter den Hinweis auf die Tafel", sagt Zilles. Dadurch entstehe zudem der falsche Eindruck, dass die Menschen ein Recht auf Versorgung durch die Tafeln hätten. "Wir sind eine private Organisation und nicht staatlich. Das verstehen dann viel nicht", berichtet Zilles.
Eine Million Euro für bayerische Tafeln
In Bayern gibt es eine große finanzielle Unterstützung für die Tafeln. Laut dem bayerischen Sozialministerium wurden sie diesem Jahr mit einer Rekordsumme gefördert. Sobald dieses Geld da sei, werde man es nach Bedarf an die Tafeln in Bayern verteilen, so Vorstand Zilles. "Es gibt kein Gießkannen-Prinzip. Tafeln, die finanzielle Unterstützung brauchen, bekommen das Geld. Manche brauchen auch nur wenig", sagt er. Die Zusammenarbeit mit dem Freistaat und die Unterstützung laufe gut, meint er. Laut dem Ministerium gibt es zudem Hilfe für den Tafellandesverband beim Ausbau und der Digitalisierung der Logistik.
Großes Engagement bei den Ehrenamtlichen
In Ingolstadt verteilen die Ehrenamtlichen die letzten gepackten Taschen an die Menschen. Es wird ruhiger. Am Ende des Tages sind die Helfer zufrieden: "Ich gehe mit einem guten Gefühl, aber müde nach Hause. Wir haben ein super Team. Alle arbeiten Hand in Hand. Jeder weiß, was er machen muss. Und das ist einfach total genial", sagt eine Helferin. Und Vorsitzende Petra Willner bestätigt: "Wir haben eine mega tolle Mannschaft!" Dass sie mit ihrer Arbeit anderen helfen können, motiviert die Ehrenamtlichen.
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