Denis Hüwel führt durch seine Backstube in Soyen, einem Dorf in der Nähe von Wasserburg am Inn. In großen Kesseln ruhen verschiedene Sauerteige - zunächst für 20 Stunden, dann kommen wieder Wasser und Mehl dazu und der Teig ruht erneut sechs Stunden. "Gutes Brot braucht Zeit", sagt der Bäckermeister.
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Hüwel ist 34 Jahre alt, vor zwei Jahren hat er seine Bäckerei "Brotliebe" eröffnet. Davor hatte er unter anderem Informatik und Pharmaceutical Sciences studiert, bis er erkannte, dass ihm das Handwerk viel mehr lag. Er brach das Studium ab, machte eine Bäckerlehre und schließlich seinen Meister. Seine Bäckerei läuft gut, obwohl Soyen mit 2.600 Einwohnern kein besonders großes Dorf ist. Die Leute kommen auch von außerhalb, um bei ihm einzukaufen. Hüwel verzichtet auf alle Zusatzstoffe. Seine Zutaten: Mehl, Wasser, Salz und nur ganz wenig Hefe. "Mehr braucht es nicht", ist er überzeugt.
Backmittel als "Goldstandard"
Es gibt nicht mehr viele Bäcker, die wie Hüwel backen. Vielen fehlt die Zeit - oder sie nehmen sie sich nicht. Die Betriebe konkurrieren mit Discountern, die Backwaren zu günstigen Preisen anbieten.
Früher konnten Handwerksbäcker nur wenige Produkte herstellen, Weißbrot, Graubrot, Schwarzbrot und Semmeln. Durch die Backmittelindustrie hat sich das geändert. Heutzutage haben die Bäcker zahlreiche Brotsorten in der Auslage, denn die Hilfsmittel werden immer raffinierter. Das reicht von fertigen Mehlmischungen bis zum sogenannten "Hundertprozenter", wo nur noch die Tüte aufgemacht wird, Wasser und Öl dazukommen - und dann ab in den Ofen.
Hüwel spricht kritisch vom "Goldstandard" in der Backbranche. Betriebe könnten dank der Backmittel Qualitätsschwankungen ausgleichen und die Produktion vereinfachen.
200 zugelassene Zusatzstoffe
Über 200 Zusatzstoffe sind zugelassen. Vieles muss nicht angegeben werden, weil es angeblich beim Backprozess inaktiv wird. Was viele Verbraucher nicht wissen: Oft ist sogar schon das Mehl, das in Bäckereien oder in Supermärkten landet, vorbehandelt. Beigemischt werden mitunter technische Enzyme.
Das sind Proteine, also Eiweißstoffe, die im Labor hergestellt werden. Sie sorgen für einen fluffigen Teig, der nicht in den Maschinen klebt, für eine gleichmäßige Bräunung, für ein schönes Volumen oder auch für eine knusprige Kruste. Und sie haben für die Backindustrie einen entscheidenden Vorteil: Laut Gesetz handelt es sich um sogenannte "Verarbeitungshilfsstoffe". Diese müssen nicht gekennzeichnet werden.
Viele Verbraucher wissen also gar nicht, dass solche Hilfsstoffe im Brot sind. Selbst viele Bäcker hätten keine Ahnung, sagt Bäckermeisterin Anke Kähler. Sie hat den Verband "Die freien Bäcker" gegründet, der auf die meisten Zusatzstoffe verzichtet.
Sorge übertrieben?
Ob die Enzyme allerdings schädlich sein können oder ob es letztlich um handwerkliche Werte geht, scheint nicht ganz klar. Durch Forschungen von Lutz Fischer, der das Fachgebiet für Biotechnologie und Enzymwissenschaft der Universität Hohenheim leitet, gilt es als nachgewiesen, dass technische Enzyme auch nach dem Backen aktiv sein können. Der Professor geht allerdings davon aus, dass dadurch keine Gefährdung entsteht.
Enzyme kämen auch in der Natur vor, argumentiert Fischer. Jeder Mensch habe körpereigene Enzyme, also Eiweißstoffe, die biochemische Reaktionen steuern oder beschleunigen. Ohne sie könnten wir gar nicht verdauen und leben.
Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2003 ergab hingegen, dass jeder vierte Bäcker auf Enzymstäube allergisch reagiert - mit Auswirkungen von Augenreizungen bis hin zu Asthma.
Die Wahrscheinlichkeit, ob eine Allergie über eine Backware ausgelöst werden könne, sei nicht ausreichend erforscht, sagt der Ernährungswissenschaftler und Lebensmitteltechnologe Stephan Lück. Lück leitet den Bereich für Ernährungsbildung und Gemeinschaftsverpflegung am Kompetenzzentrum für Ernährung in Kulmbach. Er fordert, dass die technischen Enzyme im Brot gekennzeichnet werden. So könne der Verbraucher selbst entscheiden. Darin ist er sich mit Professor Fischer von der Uni Hohenheim einig.
Könnte Kennzeichnungspflicht helfen?
Auch die EU-Abgeordnete der österreichischen Grünen und prominente Köchin Sarah Wiener fordert mehr Klarheit. Und zwar in der gesamten Europäischen Union. 2021 hat sie zusammen mit Abgeordneten aus Deutschland, Italien, Frankreich, Dänemark und Portugal eine schriftliche Anfrage an die EU-Kommission gestellt. Passiert sei seitdem wenig. Die EU-Kommission wollte immerhin bis Ende 2023 eine Liste mit allen zugelassenen Lebensmittelenzymen veröffentlichen. Doch diese Liste gibt es noch nicht.
Wiener hält es für "hochproblematisch", dass die technischen Enzyme bislang nicht gekennzeichnet werden müssen. Sie argumentiert, ein Kunde müsse wissen, was er kaufe.
"Schere geht auseinander"
Bäckermeister Hüwel aus Soyen ist eine Kennzeichnungspflicht indes nicht so wichtig. Er verwendet ohnehin keine Zusatzstoffe und Backmittel. Hüwel erwartet aber, dass die Schere zwischen rein handwerklich und industriell hergestellter Ware noch weiter auseinandergehen wird - und hofft, dass mehr Bäcker seinem Beispiel folgen.
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