Misshandlung von Rindern und mangelhafte tierärztliche Versorgung – 2019 erschütterte der Allgäuer Tierschutzskandal die bayerische Milchwirtschaft. Der damalige Vorsitzende des Landesverbands Praktizierender Tierärzte Bayern (lpt), Siegfried Moder, wollte Abhilfe schaffen und zugleich die tierärztliche Versorgung in ländlichen Regionen sichern – in Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV).
Mitte Juni 2021 reichte Siegfried Moder einen Förderantrag für ein "Bayerisches Spezialistennetzwerk Rinderhaltung (Schwerpunkt Milch)" ein. Um die Tiergesundheit zu fördern, sollten speziell ausgebildete Netzwerk-Tierärzte umfangreiche Datenanalysen in Betrieben vornehmen und durch "kollegiale Expertise" anderen Hoftierärzten unter die Arme greifen.
Eine zentrale Rolle war dabei für den lpt Bayern vorgesehen, etwa durch die Einrichtung einer Geschäftsstelle für das Netzwerk. "Dass das sinnvoll ist, steht ja völlig außer Zweifel. Man wollte sich neben der Notfallmedizin Gedanken darüber machen, wie der Tierarzt im Vorfeld Probleme erkennen kann", sagt Rupert Ebner, Ex-Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer.
Führte Verbandschef Projekt durch – am Vorstand vorbei?
Allerdings wirft die Umsetzung des Projekts Fragen auf. Zahlreiche Unterlagen, die BR Recherche vorliegen, zeigen: Verbandschef Moder führte das Projekt durch, ohne Wissen seiner Vorstandskollegen. Als ein Führungsmitglied des lpt Bayern das Umweltministerium schriftlich über Unregelmäßigkeiten informierte, wies das Ressort die Kritik zurück. Ausweislich des Protokolls einer internen Vorstandssitzung soll das Ministerium zudem eine Distanzierung des Verbands von dem Schreiben gefordert haben.
Doch der Reihe nach: Im Förderantrag kalkulierte der lpt Bayern mit Gesamtkosten von rund 186.000 Euro. Davon sollte der Verband rund 41.000 Euro aus eigenen Mitteln stemmen. Den Antrag für den Tierärzte-Verband gestellt hat Siegfried Moder. Er leitete damals nicht nur den lpt Bayern, sondern ist auch Präsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt). Außerdem steht er an der Spitze der Federation of Veterinarians of Europe (FVE), der Veterinär-Dachorganisation in Europa.
Vorstand weiß nicht, wohin Mittel fließen
Das Ministerium bewilligte die Fördermittel und überwies sie auf ein von Moder eingerichtetes Sparkassenkonto. Obwohl dieser als Kontoinhaber den lpt Bayern angegeben hatte, erfuhr der Verband von alledem zunächst nichts. "Es waren keine Gremien des Verbands an der Konzipierung und Beantragung der Förderung beteiligt", teilt der aktuell geschäftsführende lpt Bayern-Vorstand auf Anfrage mit.
Von der Existenz des Kontos habe man erst Anfang 2024 erfahren. Zeichnungs- und verfügungsberechtigt sei ausschließlich Siegfried Moder gewesen. Dass dieser in der Folge betont, den Verband und seinen Kassenführer schon im Dezember 2021 unterrichtet zu haben, sei "eine Schutzbehauptung". Die im Förderantrag in Aussicht gestellte Projekt-Geschäftsstelle ist im Verband bis heute nicht bekannt. Da niemand von dem Projekt wusste, sei der Landesverband an der Auswahl möglicher Netzwerk-Tierärzte nicht beteiligt gewesen. Auch in die Konzeption von Fortbildungen war der Verband nicht eingebunden. Die fanden unter der Regie von Siegfried Moder mit einigen wenigen Tierärzten statt, teils aus seinem direkten Umfeld.
Kassenprüfer kritisieren Kontoführung
BR Recherche liegen Auszüge des Sparkassenkontos vor. 2022 und 2023 überwies die Staatsoberkasse Bayern darauf in mehreren Tranchen rund 56.000 Euro. Moder transferierte an sich und an eine Kollegin, die in der gleichen Rindertierarztpraxis tätig ist wie er, mehrfach mehrere tausend Euro. Teilweise handelte es sich um runde Beträge. 36.000 Euro gingen an Moder selbst.
Grundlage für die Auszahlungen des Ministeriums waren mehrere sehr kurz gefasste Rechnungen von Moder und einer Kollegin. So schrieb zum Beispiel Moder in einem Beleg: "Geleistete Arbeitsstunden und Wegstreckenentschädigung, Gesamtpreis 16.536,84 €". Worin die erbrachten Leistungen konkret bestehen, lässt sich nicht nachvollziehen. Ein Eigenanteil, den das Ministerium laut Förderbedingungen zwingend einfordert, geht aus den vorliegenden Rechnungen ebenfalls nicht hervor.
Noch ein Aspekt wirft Fragen auf: Die Rechnungen, die Moder beim Ministerium einreichte, waren an den Kassenführer des lpt Bayern, Franz Gassner, adressiert. Der habe sie aber erst Anfang 2024 erstmals zu Gesicht bekommen, teilt der Verband dem BR schriftlich mit.
Kritik von Transparency International
Auf den Kontoauszügen sind zudem mehrfach "Fehlbuchungen" verzeichnet. Zwei Kassenprüfer des lpt Bayern werden später in einem Bericht schreiben: "Die Fehlbuchungen glichen sich betragsmäßig am Ende aus, widersprechen jedoch einer logischen und gepflegten Kontoführung."
Nach Ansicht von Tassilo Schröck von Transparency International Deutschland liegt hier auf "verschiedenen Ebenen" ein Problem vor: "Herr Dr. Moder hat als Vertreter des Landesverbands mit sich selbst Beratungsverträge abgeschlossen. Dieses Insich-Geschäft leidet unter einem klaren Interessenkonflikt, denn er steht hier auf beiden Seiten des Geschäfts. Es besteht deshalb hier die Gefahr, dass er sich an diesem Geschäft selbst bereichert hat."
Beschwerdebrief eines Vorstandsmitglieds an Ministerium
Im März 2024 informierte schließlich ein lpt Bayern-Vorstandsmitglied das Ministerium in einem zweiseitigen Brief über mögliche Unregelmäßigkeiten. Moder habe "gegen mehrere Paragrafen der Vereinssatzung verstoßen, wie z. B. Informationspflicht, Haushaltsplanung, Kassenführung und -prüfung usw.". Der zentrale Vorwurf lautet, Moder habe sich eigenständig Aufträge erteilt, Rechnungen gestellt und diese ungeprüft an das Ministerium weitergeleitet.
Ende März 2024 traf sich der erweiterte lpt-Vorstand zu einer "Hybrid-Landesvorstandssitzung". Laut Protokoll der Sitzung, das dem BR vorliegt, berichtete Moder dabei von einem Treffen mit Vertretern der Tierärztekammer, an dem auch die zuständige Sachbearbeiterin des Ressorts teilgenommen hat. Dem Protokoll zufolge führte Moder aus, das Ministerium sei mit dem Verlauf des Projekts "sehr zufrieden". Von der Beschwerde eines Vorstandsmitglieds erwarte man "eine Distanzierung".
Vorstand distanziert sich geschlossen von Hinweisschreiben
Noch während der Sitzung kam der Verbandsvorstand geschlossen der Forderung nach und teilte dem Ministerium schriftlich mit, ein Vorstandsmitglied habe in dem kritischen Schreiben eine "reine private Ansicht" dargestellt.
Tassilo Schröck von Transparency International hält das Vorgehen des Ministeriums mit Blick auf das Schreiben für "durchaus ungewöhnlich", denn "die normale Vorgehensweise wäre hier gewesen, dass sich das Ministerium inhaltlich mit dem Projekt auseinandersetzt und eben prüft, ob Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind oder nicht. Das wird man als Zeichen deuten können, dass das Ministerium hier gewillt war, beide Augen zuzudrücken".
Auf BR-Anfrage äußert sich das Umweltministerium nicht zum konkreten Vorwurf, Mitarbeiter hätten Druck auf den Verband ausgeübt. Schriftlich teilt das Ministerium mit: "Das StMUV hat anlässlich des Beschwerdeschreibens dem Verein ergänzende Erläuterungen zur formalen Abwicklung des Projektes gegeben." Der Verband teilt dazu auf Anfrage mit: "Wir haben keine ergänzenden Erläuterungen erhalten."
Verband einigt sich auf Sprachregelung
Angesichts großer Unruhe im Verband einigt sich der lpt Bayern kurz vor der Delegiertenversammlung im Herbst 2024 auf einen Formelkompromiss. Ein Beteiligter erinnert sich später, er habe dabei "die Faust in der Tasche" gehabt, letztendlich aber zugestimmt. In der schriftlichen Erklärung an die Delegierten wird festgehalten, Moder sei es gelungen, "Bedenken durch umfassende Erklärungen auszuräumen".
Nach BR-Informationen aber sind Widersprüche in den Aussagen Moders ungeklärt. So heißt es in der Erklärung, Moder habe "die Verantwortung dafür übernommen, dass er das für das Projekt eröffnete Sparkassen-Konto und dessen Bewegungen nicht dem Schatzmeister Dr. Gassner gemeldet hatte". Im Frühjahr 2024 hatte der damalige lpt-Vorsitzende dagegen noch behauptet, den Schatzmeister im Dezember 2021 über die Eröffnung des Kontos informiert zu haben.
Persönlich äußert sich Moder zu den Vorgängen nicht. Eine Interviewanfrage des BR lässt er über einen Anwalt ablehnen. Schriftlich teilt der Anwalt mit, bei den angesprochenen Vorgängen handele es sich "um eine Kampagne von Einzelpersonen". Das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz habe festgestellt, "dass keine Beanstandungen vorliegen".
Ministerium: Positives Projekt-Fazit, trotzdem keine "Regelförderung"
Auch das Ministerium äußert sich nur schriftlich und im gleichen Tenor: "Das Projekt wurde zum Abschluss formal und regelhaft auch hinsichtlich des Projekterfolgs (positiv) bewertet." Weiter heißt es, das Projekt werde nicht in eine "Regelförderung" übergeführt. Siegfried Moder ist zwischenzeitlich als lpt-Präsident zurückgetreten. In der kommenden Woche wählt der Verband einen neuen Vorstand. Moder wird ihm – Stand jetzt – nicht mehr angehören.
Tierarzt Rupert Ebner hält das Projekt für gescheitert: "Der Auftakt für dieses Projekt hätte eine breite Informationskampagne in den Verband hinein sein müssen. Aus diesem Auftakt hätten sich dann die Kompetenzen sammeln müssen." So wie jetzt mache das Projekt "überhaupt keinen Sinn", kritisiert Ebner.
Mehr zu diesem Thema heute Abend ab 19.00 Uhr im BR Fernsehen in der Sendung "Unser Land".
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