Margret Simmelbauer und Rainer Hirn besitzen keine Glaskugel. Sie haben nicht kommen sehen, dass Deutschland schon im heißen Sommer 2022 vor dem anstehenden Winter zittert, weil es sich abhängig von russischem Gas gemacht hat. Beide sind Veitshöchheimer, sie von einem Hügel, er von dem daneben, wie die Lehrerin Simmelbauer sagt. Als sie vor etwa 15 Jahren das Haus von ihrer Großmutter übernommen haben, war klar, dass sie erstmal dort bleiben.
Exorbitant hohe Gasrechnung in unsaniertem Haus
Der erste kleine Schreck folgte mit dem Blick auf die Gasrechnung: in kälteren Wintern 40.000 Kilowattstunden Gas für eine Person? Für Simmelbauer und Hirn war das schon mit Blick auf die Klimakrise Grund genug zum Eingreifen in die Architektur des unsanierten Hauses mit Baujahr 1981.
Das Ehepaar hat sich vom Passivhaus Institut in Darmstadt inspirieren lassen. Passivhäuser kommen im Winter mit minimaler Heizwärme aus. Voraussetzung dafür ist eine gute Dämmung. Also haben Simmelbauer und Hirn selbst Hand angelegt und 22 Zentimeter dicke Styroporplatten am Haus angebracht und verputzen lassen. 16 Zentimeter hätten auch gereicht, sagt Hirn heute, wichtig sei nur, dass etwas gemacht wird. Als nächstes kam die Zwischensparren- und Aufdachdämmung sowie eine Kellerdeckendämmung rein. Auf ihren Garten mit kleinem Teich und verschiedenen tropischen Pflanzen blicken sie heute durch dreifach verglaste Fenster.
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Wärmepumpe macht die Familie unabhängig von Gas oder Öl
Direkt unter dem Garten liegen in 1,20 Meter Tiefe die Rohre einer Erdreich-Wärmepumpe. Damit ist die Familie bereits seit einigen Jahren unabhängig von Gas oder Öl. Im Haus blickt Rainer Hirn auf ein rund zehn Jahre altes Bild – er lächelt auf dem Foto, doch sein Garten ist kaum wiederzuerkennen. Neben dem 1,80-Meter großen Mann türmt sich ein Haufen voller Erde. Damals haben sie die Rohre für die Wärmepumpe verlegt, eine Aktion "von einem Tag", wie Hirn sagt. In der Früh kam ein Bagger, vor der Mittagspause haben sie die Rohre auf der einen Seite reingelegt, am Nachmittag auf der anderen Seite und schon war die Wärmequelle erschlossen. Kostenpunkt für die ganze Anlage: 15.000 Euro, bei weniger Eigenleistung vielleicht 20.000 Euro, schätzt er.
Die Erdreich-Wärmepumpe laufe seither seit zwölf Jahren ohne Probleme und heize das Anwesen der Familie in den vier Wintermonaten. In der restlichen Zeit sorgt die Solarthermie für warmes Wasser. So habe die Familie den Erdgasverbrauch laut eigenen Angaben von ca. 35.000 kWh pro Jahr auf null gesenkt.
Strom für Wärmepumpe kommt von der Sonne
Den Gaszähler abzumontieren beschreibt Hirn als erhebendes Gefühl. Übrig geblieben sei nur noch ein Stromanschluss – die ganze Energieversorgung hänge seither nur noch an zwei dünnen Kabeln. Und auch den Strom für die Wärmepumpe, das Haus und die E-Autos erzeugen sie per Photovoltaik-Anlage auf dem Dach selbst. 13.000 Euro haben Hirn und Simmelbauer 2013 für ihre erste 10,3 kWp PV-Anlage auf dem Dach investiert. Im vergangenen Jahr kam eine weitere für 8.000 Euro hinzu – bei erheblicher Eigenleistung während der Montage wie Hirn angibt.
Rainer Hirn ist Professor für Elektrotechnik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Er ist sich bewusst, dass nicht jeder so viele Maßnahmen in Eigenregie leisten kann oder sollte – und dass die Kosten für das Umrüsten nicht unerheblich sind. Aber im Verhältnis zur voraussichtlichen Nutzungsdauer und den zu erwartenden Energiepreisen lohnen sich die Technologien allemal, sagt er. Auch für das Klima.
Familie kann CO2-Ausstoß erheblich senken
Derzeit wohnt die Familie zu dritt in dem Haus und brauche aktuell nur im Winter, wenn die Sonne flach steht, etwas Strom aus dem Netz. Dazu ein Rechenbeispiel: Greenpeace geht davon aus, dass der pro Kopf Ausstoß an CO2 in einem westlichen Industrieland wie Deutschland von zwölf auf zwei Tonnen sinken muss, damit sich die Erde nicht weiter erhitzt. Mit dem aktuellen Strommix verbraucht die Veitshöchheimer Familie aktuell nur etwa eine viertel Tonne pro Kopf.
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Energiedaten in Echtzeit auf dem Smartphone
Damit verblieben laut Hirn noch genug Luft für Industrie und Landwirtschaft. "Also aus meiner Sicht ist dieses Konzept zukunftstauglich und irgendwie verträglich mit unserer Erde", sagt er. Die Zahlen trackt er akribisch mithilfe einer Open-Source-Software, die die Daten in Echtzeit auf seinem Smartphone visualisieren.
Etwa 18.000 Kilowattstunden erzeugt die Photovoltaik-Anlage pro Jahr, wovon das meiste, etwa 13.700 kWh, in das öffentliche Netz eingespeist wird. 6.000 kWh verbraucht die Familie selbst – für Hausgebrauch, Wärmepumpe und E-Autos. Nur im Winter benötigt der Haushalt noch die 1.700 Kilowattstunden vom Stromanbieter.
CO2 ohne Verzicht einsparen
Und auch wenn Rainer Hirn immer wieder neue Ideen hat, mit dieser Bilanz sei die Familie nun erstmal zufrieden – vor allem, weil sie sich in ihrem Alltag auch nicht groß eingeschränkt fühlt. Trotz erheblich kleinerem CO2-Fußabdruck müssten sie auf nichts verzichten.
Frustrierend sei die Tüftelei an Wärmepumpe, Lüftungsanlage und Co. schon manchmal gewesen, sagt Margret Simmelbauer, einfach weil sich die ganzen Umbaumaßnahmen so lange hingezogen haben. Aber es habe sich gelohnt: "Weil wir jetzt einfach ein gutes Gefühl haben hier zu wohnen und das Leben zu genießen", sagt sie.
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