Obwohl er Sex mit einer minderjährigen Schülerin gehabt hatte, sollte ein Lehrer zunächst eine zweite Chance bekommen. Im Sinne der christlichen Nächstenliebe. Jeder mache mal einen Fehler, der Lehrer habe ehrliche Reue gezeigt, so lautete die Begründung des Schulwerks für die Einstellung des Mannes. Die Verantwortlichen waren überzeugt, es habe sich nur um einen Fehltritt gehandelt. Seit März 2022 war der Mann daher Lehrer am Dillinger St.-Bonaventura-Gymnasium. Zunächst ein Jahr auf Probe sollte er an dem privaten Gymnasium arbeiten. Die Probe hat er offenbar nicht bestanden.
Lehrer mit sofortiger Wirkung freigestellt
Der Lehrer ist mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt. Einen kleinen Schritt zurück hatte man bereits vorige Woche gemacht: Da hieß es, er solle ab kommendem März nicht mehr als Lehrer, sondern in der IT-Abteilung des Schulwerks Augsburg arbeiten. "Die Entscheidung wurde getroffen, um die Situation für alle Beteiligten zu beruhigen", sagte Schulwerksleiter Peter Kosak vergangene Woche dem BR. Doch seitdem hat sich die Lage geändert.
Neue Informationen führten zu Verlust des Vertrauensverhältnisses
Dem Schulwerk seien "Informationen aus der Vergangenheit zugeleitet worden", deren "Überprüfung zu einem Verlust des Vertrauensverhältnisses zwischen Schulträger und Lehrkraft geführt" hätten. Die Folge: Der Lehrer ist mit sofortiger Wirkung freigestellt – und wird weder als Lehrer noch in sonstiger Tätigkeit für das Schulwerk arbeiten.
Inzwischen hatten die Verantwortlichen Kontakt mit einer jungen Frau, einer ehemaligen Schülerin. Mit ihr hatte der Lehrer ein Verhältnis gehabt – das war der bekannte Hintergrund seines Schulwechsels. Nun aber hat das Schulwerk diese ehemalige Schülerin persönlich angehört – und von ihr und anderen offenbar neue Informationen bekommen. Nach diesen Gesprächen wurde der Schlussstrich schnell gezogen: Der Mann ist ab sofort vom Dienst freigestellt. Die Eltern aller Schüler wurden am Montagnachmittag über diesen Schritt informiert.
BR berichtete bereits 2020 über Grenzüberschreitungen
Der Bayerische Rundfunk berichtet über Fälle in diesem Zusammenhang bereits seit einigen Jahren. So schrieb der BR Anfang 2020 über Grenzüberschreitungen durch mehrere Lehrer des Lauinger Albertus-Gymnasiums gegenüber Schülern. Darunter war auch der betreffende Lehrer.
Es ging um Annäherungsversuche an Schülerinnen, zunächst in den sozialen Medien. Er wollte sich unter anderem mit einer Schülerin verabreden, um alleine mit ihr in eine Sternwarte zu gehen. Dafür habe er einen Schlüssel, schrieb er ihr in einem Chat. Wiederholt fragte er an – das Mädchen setzte Grenzen: Sie sagte nicht zu. Dem BR liegen diese Chatverläufe in Auszügen vor. Konsequenzen hatte die Berichterstattung damals straf- oder disziplinarrechtlich in Bezug auf diesen Lehrer keine.
Ermittlungen wegen Sex mit Schülerin
Einige Monate später meldete sich eine weitere Betroffene. Erst nach dem Abitur – vorher habe sie nicht den Mut gehabt zu reden, sagte sie dem BR. Dann aber ging sie zur Schulleitung und berichtete von ihren Erfahrungen mit dem Lehrer. Damals war sie in der zehnten Klasse gewesen, gerade 17 geworden und schlecht in Mathematik; dem Fach, in dem er sie unterrichtete. Er, Mitte 40, habe sie wiederholt angeschrieben, auf Facebook, dann auf WhatsApp. Letztendlich kam es zu mehreren Treffen und auch zum Sex. Danach sei es ihr sehr schlecht gegangen.
Die Schulleitung meldete den Fall dem Kultusministerium, es wurden Ermittlungen aufgenommen. Nach ihrem Gespräch mit der damaligen Schulleiterin habe die sich aber nie wieder bei ihr gemeldet, berichtet die Betroffene heute. Sie sei alleine zur Kripo gegangen und habe ihre Aussage gemacht. Strafrechtlich wurden die Ermittlungen letztendlich eingestellt, der Lehrer habe das Abhängigkeitsverhältnis der Schülerin nicht ausgenutzt. Möglichen disziplinarrechtlichen Konsequenzen kam der Lehrer zuvor, indem er freiwillig ging und auf den Beamtenstatus verzichtete.
"Zweite Chance" am benachbarten privaten Gymnasium
Dabei wusste er möglicherweise schon von besagter zweiter Chance – am benachbarten privaten katholischen Gymnasium in Dillingen. An dieser Schule tat man einiges für ihn: Zunächst wurde niemand über seine Vorgeschichte informiert, weder Eltern noch Schüler. Damit er eine wahre Chance bekomme, nicht vorverurteilt würde, so begründeten die Verantwortlichen die Entscheidung. Erst im neuen Schuljahr wurden Eltern und Schüler darüber unterrichtet. Der Lehrer selbst stand den Eltern Rede und Antwort – gemeinsam mit Peter Kosak vom Schulwerk und Direktor Franz Haider. Im Anschluss wurde darüber abgestimmt, ob die Eltern Vertrauen in die Entscheidung des Schulwerks hätten. Fast alle stimmten mit Ja. Auch die Eltern überzeugte er, sie glaubten ihm.
Diese Chance wurde ihm gegeben, auch weil er Reue gezeigt habe, hieß es damals von den Verantwortlichen am katholischen Schulwerk. Von dieser Reue habe sie nie etwas mitbekommen, sagt die Betroffene – ihr habe er nur Vorwürfe gemacht, dass sie die Sache nicht für sich behalten habe.
Betroffene: "Mein Wunsch? Dass so etwas nie mehr passiert"
Der Wunsch der jungen Frau ist es, dass anderen dieser lange Weg erspart bleibt. Sie studiert inzwischen, ihr gehe es gut, sagt sie. Damals habe sie Angst gehabt. Deshalb wünsche sie sich, dass andere Betroffene angehört werden, dass ihnen geholfen wird und dass ihnen geglaubt wird. Ihr größter Wunsch aber ist, dass so etwas nicht mehr passiert.
An beiden Gymnasien hat sich inzwischen einiges geändert. So arbeitet man etwa am Dillinger Bonaventura-Gymnasium schon lange mit präventiven Konzepten. Als Folge aus diesem Fall sollen diese nun noch intensiviert werden. Laut Peter Kosak vom Schulwerk soll ein "Institutionelles Schutzkonzept" etabliert werden, mit dem Schüler und Schülerinnen sich neben weiteren Maßnahmen sehr niederschwellig melden könnten – ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen.
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