Nur wenige Stunden, nachdem die ersten Bombe- und Raketeneinschläge auf die Ukraine abgefeuert wurden, sitzt Artem Davydov in einem Kleinbus und fährt Richtung Warschau. Sein früheres Heimatdorf im Nord-Westen der Ukraine liegt nicht weit entfernt von einem Militärflughafen. Dieser wurde mit als Erstes angegriffen. Seine Verwandten werden vom Detonieren der Bomben geweckt: Keine vier Stunden später lassen sie das meiste zurück und flüchten Richtung Polen.
Der Ukrainer Artem Davydov holt seine Familie nach Oberstdorf
Artem fährt die Strecke nach Warschau - hin und zurück knapp 2.700 Kilometer - am Stück, ohne größere Pause. Innerhalb von gut 24 Stunden kann er so einen Großteil seiner ukrainischen Familie nach Oberstdorf holen. Sie dürften die ersten sein, die schon einen Tag nach der Invasion Russlands im Allgäu ankommen.
Wenn helfen nicht mehr möglich ist
Der 35-Jährige ist froh, dass er seine Mutter, seine Schwiegereltern, seine Schwägerin und zwei seiner Neffen in Sicherheit bringen konnte. Gleichzeitig hat er Angst um den Rest seiner Familie. Sein Vater und sein Bruder sind immer noch in der Ukraine. Sein Bruder durfte das Land nicht verlassen, er muss es verteidigen. Der Vater ist bei ihm geblieben. Artem Davydov ist verzweifelt: „Du weiß nicht, was du sollst machen, weinen, schreien, dahinfahren, aber das alles bringt nichts.“
Aus der Ukraine geflüchtet - in Oberstdorf zuhause
2014 ist Artem Davydov selbst aus der Ukraine geflüchtet - vor den bewaffneten Kämpfen im Osten des Landes, an denen er sich hätte beteiligen müssen. In Oberstdorf findet er eine neue Heimat, ist inzwischen gut integriert. Alexa Schwendinger nimmt ihn unter ihre Fittiche. Der Gemeinderätin gehört unter anderem das Loft-Kino in Oberstdorf. Dafür koordiniert Artem Davydov zum Beispiel den ganzen Einkauf und die Personalplanung. Außerdem managt er den örtlichen Wertstoffhof. Durch seine Beziehungen findet er für seine Verwandten auch schnell eine eigene Wohnung.
In Sicherheit - aber die Angst bleibt
Bei aller Dankbarkeit darüber, jetzt ein sicheres Dach über dem Kopf zu haben: Von Erleichterung ist bei Artems Familie nicht viel zu spüren. Ständig wandern die Blicke auf die Handys. Seine Schwägerin Ani Davydova erzählt, dass sie in Gedanken immer bei ihrem Mann und ihren Eltern ist, immer im Internet danach sucht, wo es wieder Explosionen gegeben hat, immer mit der Angst, dass es auch ihre Familie getroffen haben könnte.
Hoffen auf das baldige Ende des Ukraine-Kriegs
Genau wie die 29-Jährige erlebt es auch Artem selbst: „Ich erwarte jede Sekunde schlechte Nachrichten, alle erwarten das. Alle weinen, die ganze Zeit. Das ist psychologisch wahnsinnig schwer.“ Die ganze Familie hat eine große Hoffnung: Dass der Krieg bald zu Ende ist. Aber wirklich daran glauben tut niemand.
Davydova sammelt Spenden für die Männer in der Ukraine
Mit Spenden versucht der 35-Jährige deshalb jetzt, denen zu helfen, die in der Ukraine bleiben mussten. Gemeinsam mit Alexa Schwendinger hat er eine große Sammlung organisiert. Sie tragen zusammen, was Männer im Krieg brauchen. Für die Oberstdorfer Gemeinderätin ein schreckliches Gefühl, aber zurzeit die einzige Möglichkeit, überhaupt helfen zu können, sagt sie. Artem hat von seinen Freunden aus der Heimat regelrechte Bestellungen bekommen: Die Männer brauchen Helme, Decken, Gaskocher, Kerzen, Stiefel, Matten, Rucksäcke.
„Sie wissen nicht, wo sie in ein paar Minuten sein werden, deshalb müssen sie immer bereit sein und einen Rucksack haben mit allen wichtigen Sachen“, erklärt Artem.
- Spenden für die Ukraine: Hier wird in Schwaben gesammelt
Tonnenweise Spenden für die Ukraine
Die Hilfebereitschaft ist groß im südlichen Oberallgäu: Innerhalb kürzester Zeit werden Tonnen an Spenden abgegeben. Die sollen am Wochenende an die Grenze zur Ukraine gebracht werden. Artems Freunde und Mittelsmänner wollen sie dort abholen und verteilen.
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