"Wo willst du das letzte Tor schießen?" So fragt der Islamische Staat (IS) in einer aktuellen englischsprachigen Propagandazeitschrift. Verbreitet wird sie im Internet. Auf einer Bildmontage ist ein Terrorist mit Sturmgewehr inmitten eines vollen Stadions zu sehen. Über ihm die Spielorte Berlin, Dortmund und München.
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Europäische Fußballstadien tauchten in IS-Propagandamaterial zuletzt immer wieder auf, wie Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen – etwa das Santiago Bernabéu-Stadion in Madrid. Auf dem entsprechenden Bild fliegt eine Drohne mit einem Sprengsatz darüber. Darunter findet sich die Aufforderung: "Wenn Sie dich am Boden einschränken und niederdrücken, dann greife sie aus der Luft an."
BKA will Lage genau beobachten
Die Botschaften, die die Terrororganisation damit an ihre Anhänger sendet, sind klar. Die deutschen Sicherheitsbehörden verstehen sie als Warnungen. Der dank EM und Olympischen Spielen anstehende Sportsommer könne terroristische Organisationen motivieren, entsprechende Planungen voranzutreiben, sagt etwa Lars Rückheim im BR-Interview.
Rückheim ist leitender Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt (BKA) und dort zuständig für die Zentralstelle zur Bekämpfung des Islamistischen Terrorismus. Während der EM, die am 14. Juni in München beginnt, werde das BKA die Lage ganz genau beobachten, verspricht er. Das BKA hat eine eigene Koordinierungsstelle eingerichtet.
Das bayerische Innenministerium teilt mit, dass die Polizei während der EM starke Präsenz zeigen werde. Konkrete Anschlagsplanungen des IS seien aktuell aber nicht bekannt. Dabei ist allen Experten klar, dass der IS nie vollständig besiegt wurde.
Anschlag bei Moskau zeigt Gefährlichkeit
Die von ihm ausgehende Gefahr schien zwar zunächst gebannt, nachdem das vom IS ausgerufene Kalifat in Teilen Syriens und des IS 2017 durch eine Militärkoalition zurückerobert werden konnte, spätestens Ende März stellte die Organisation ihre Gefährlichkeit aber einmal mehr unter Beweis. Mehr als 140 Menschen kamen bei einem Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau ums Leben. Die IS-Terroristen filmten ihre grausame Attacke mit Bodycams und stellten die Aufnahmen ins Internet.
Frauennetzwerk in Syrien gibt Anlass zur Sorge
Nach BR-Recherchen versucht der IS hierzulande aktuell verstärkt Spenden einzusammeln und zu rekrutieren. Anlass zur Sorge gibt etwa ein Netzwerk deutscher Frauen in Syrien. Es steht bereits seit Jahren im Fokus der Ermittler. Eine der Frauen ist Janica D. aus Nordrhein-Westfalen. Seit mehr als zehn Jahren wird sie in Syrien vermutet. Der BR erfuhr aus Kreisen, die mit den Ermittlungen vertraut sind, welche Erkenntnisse es zu D. gibt. D. ließ sich demnach "im Umgang mit Schusswaffen ausbilden und trug zeitweise einen funktionsfähigen Sprengstoffgürtel".
Nach der militärischen Niederlage des IS soll sie Anfang 2019 in kurdische Gefangenschaft geraten sein – wie viele andere IS-Anhänger auch. Doch Janica D. glückte offenbar Monate später die Flucht in die syrische Region Idlib. In dieser Zeit stand sie via Messenger-Dienst mit einer Frau in Deutschland in Kontakt. Janica D. berichtete offenbar von ihrem "geilen Leben".
Laut Ermittlern versuchte sie ihre Bekannte in Deutschland via Whatsapp "für die Begehung eines Sprengstoffanschlags auf das Polizeipräsidium Bonn zu gewinnen".
Janica D. konnte die Frau allerdings nicht vom Anschlag überzeugen. Doch der Fall zeigt, wie schnell es zu Anschlägen im Namen des IS kommen könnte und, wie die Terroristen bei der Rekrutierung vorgehen.
Münchnerin wurde IS-Anhängerin
Zum IS-Frauennetzwerk in Syrien gehören in den Augen der Ermittler auch weitere Deutsche, etwa Elif Ö. Ihr Fall sorgte bereits in der Vergangenheit für Schlagzeilen, weil sie im Jahr 2015 als damals 16-jährige Schülerin ihre Heimatstadt München mutmaßlich Richtung Syrien verlassen hatte. Später soll sie von Kurden gefangen genommen worden sein. In dem Gefangenenlager soll sie gegen eine vom IS-abtrünnige Frau übergriffig geworden sein.
Schwierige Situation in Gefangenenlagern
Viele Frauen, die sich vom IS lösen, geraten so unter Druck: In den Lagern werden sie von IS-Anhängerinnen drangsaliert. Das schildert die Expertin Sofia Koller. Sie forscht seit Jahren – für die internationale gemeinnützige Organisation "Counter Extremism Project" zu IS-Frauen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete im April, dass sich noch zehntausende Personen aus mehr als 75 Ländern in den kurdischen Lagern aufhalten. In Camps, die für ihre schwierige humanitäre Lage bekannt sind: Es mangelt an sauberem Trinkwasser, Kinder sind unterernährt, die medizinische Versorgung ist schlecht.
Europäische Länder verhalten sich seit Jahren sehr zögerlich, diese Frauen – und oft auch ihre Kinder – zurückzuholen. Die Folge: Nach Ansicht von Beobachtern hat sich die Situation in den Lagern verschlechtert. IS-Strukturen haben sich fest etablieren können.
IS-Spendenkampagne aus dem Lager heraus
Dafür sprechen Erkenntnisse der Ermittler zu Elif Ö. Gemeinsam mit anderen Frauen soll sie vom Lager aus über den Messenger-Dienst Telegram Spenden eingeworben haben. Das Geld soll in Deutschland eingesammelt worden sein. Von dort gelangte es den Ermittlungen zufolge zu Mittelsmännern in die Türkei. Auf diese Weisen seien hunderttausende Euro nach Syrien gebracht worden.
Es besteht der Verdacht, dass mit dem Geld IS-Strukturen in dem Gefangenenlager finanziert wurden.
Mutmaßliche Spender, auch aus Bayern, wurden bereits zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt oder müssen sich aktuell vor Gericht verantworten. Die Spender glaubten ihren Anwälten zufolge, die humanitäre Lage in den kurdischen Gefangenenlagern zu verbessern.
Doch die IS-Frauen in Lagerhaft sollen das Spendengeld vor allem für ihre eigene Flucht in die syrische Region Idlib genutzt haben. Idlib gilt als eine Hochburg islamistischer Rebellengruppen in Syrien. Laut Ermittlern wurde das Geld auch über einen russischsprachigen Telegram-Kanal eingeworben.
Elif Ö. soll zudem 13.000 Euro von ihrem Vater unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erhalten haben. Laut Ermittlungen stellte er das Geld zur Verfügung, damit sie nach Deutschland heimkehren konnte. Ö. jedoch wollte offenbar nicht "unter Ungläubigen" leben und bezahlte damit wohl Schleuser, die sie nach Idlib gebracht haben sollen.
BKA hat Schleusernetzwerk auf dem Schirm
Das Bundesamt für Verfassungsschutz registrierte schon 2020 ein Schleusernetzwerk, das die Frauen von den Lagern nach Idlib bringt. Auch Elif Ö. aus München soll sich spätestens seit 2021 dort befunden haben.
Die Lage in Idlib wird nach Angaben von Lars Rückheim auch vom BKA beobachtet. In der Region sei "von einem relativ großen Personenpotenzial mit Bezügen nach Deutschland" auszugehen.
Doch inwiefern stellen diese Frauen eine Bedrohung für die innere Sicherheit Deutschlands dar? Experten wie Sofia Koller betonen, dass Frauen, die dem IS angehören, ein langfristiges Sicherheitsrisiko darstellen. Sie seien äußerst fähig, Netzwerke zu knüpfen, sei es für Propaganda, Finanzierung oder die Rekrutierung von Personen.
Gefahr durch afghanischen Ableger
Was die Fußball-EM betrifft, sehen Ermittler wie Rückheim vor allem bei dem afghanischen Ableger des IS eine große Gefahr – dem sogenannten ISPK. Urteile und Ermittlungen deuten darauf hin, dass diese Organisation seit ein paar Jahren auch in Europa erfolgreich Geld einsammelt und rekrutiert – vorrangig online.
In den vergangenen Jahren konnte der ISPK insbesondere tadschikischstämmige Personen gewinnen. Radikalisiert über IS-Propagandamaterial. Verbreitet über Messengerdienste, auf russisch-tadschikischsprachigen Kanälen – unter Aufsicht von Führungsfiguren des ISPK in Afghanistan. Auch für die Anschläge auf die Konzerthalle bei Moskau wird der ISPK verantwortlich gemacht.
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