Ein Protestplakat in der Nähe der Marktgemeinde Weiler-Simmerberg (Lkr. Lindau).
Bildrechte: BR/Steffen Armbruster

Hier könnte ein Gewerbegebiet auf der grünen Wiese entstehen. Allerdings nur, wenn die Staatsregierung die Ausnahmeregelung nicht zurücknimmt.

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Warum Gewerbegebiete auf der grünen Wiese bald Geschichte sind

Ein Gewerbegebiet zwischen Wäldern und Kuhweiden mitten im Grünen? Realität etwa im Westallgäu. Hier bauen zurzeit etliche Betriebe – wegen einer Ausnahme im Landesentwicklungsprogramm Bayern. Die will die Staatsregierung nun wieder kassieren.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

An einer Verbindungsstraße im Westallgäu Anfang Juli 2020: Kuhglocken bimmeln, die Blätter eines knorrigen Baumes flattern im Wind, hinter der Wiese liegt ein großflächiger Wald. Ein Hof steht in der Nähe, die nächsten Ortschaften Gestratz und Grünenbach liegen aber rund einen Kilometer entfernt. Heute wird hier nun gebaut. Ein Gewerbegebiet entsteht – trotz einer Klage des Bund Naturschutz in Bayern, trotz der Proteste von Bürgerinnen und Bürgern. Das Gewerbegebiet auf der grünen Wiese war heftig umstritten. Die Klage ist inzwischen abgewiesen worden, war aber noch anhängig, als die ersten Bagger kamen.

Kleine Unternehmen sollen in der Region bleiben

Die Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Argental (Gestratz, Grünenbach, Maierhöfen, Röthenbach) wollten hier vor allem kleinere Unternehmen ansiedeln und Arbeitsplätze der ansässigen Mittelständler in der Region halten. Deshalb haben sie die Planungen vorangetrieben, gegen alle Widerstände, und mit dem Bau begonnen.

Zurzeit entsteht eine Zimmerei, eine Maschinen- und Lagerhalle eines Heizungsbauers ist schon fast fertig, ebenso wie die Geschäftsräume für einen Fliesenbetrieb. Ein Solaranlagen-Techniker und eine metallverarbeitende Firma sollen dazu kommen. Weitere Grundstücke sind verkauft. Der Gestratzer Bürgermeister Engelbert Fink bewertet das Projekt heute als positiv.

Gewerbegebiete im Grünen sollten verhindert werden

Möglich geworden ist es durch einen Passus im Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP). Da ist geregelt, dass Siedlungen und Gewerbegebiete grundsätzlich nur dort gebaut werden sollen, wo sie auch angebunden sind. Im LEP nennt sich das "Anbindegebot". Das Ziel war es, zu vermeiden, dass überall im Grünen kleine Gewerbegebiete entstehen und, dass Menschen dorthin zum Beispiel extra mit dem Auto fahren müssen. Eigentlich. Denn es gibt mehrere Ausnahmen.

Ausnahmen für interkommunale Gewerbegebiete

Unter anderem wurde 2018 hinzugefügt, dass Gewerbe- oder Industriegebiete vom Anbindegebot ausgenommen sind, wenn eine "interkommunale Planung (…) rechtlich gesichert" ist, das Orts- und Landschaftsbild nicht gestört wird und "kein geeigneter angebundener Alternativstandort vorhanden ist". Wenn sich Kommunen also zusammengetan haben, wie im Fall Argental im Westallgäu, dann durften sie in den vergangenen Jahren ein solches Projekt angehen.

Angedacht ist ein solches auch in der Nähe der Marktgemeinde Weiler-Simmerberg. Die Planungen sind aber noch ganz am Anfang. Auch hier hat die Gemeinde laut Bürgermeister Tobias Paintner kaum andere Entwicklungsmöglichkeiten für ortsansässige Unternehmen. Auch hier könnte eine der Ausnahmen im Landesentwicklungsprogramm greifen. Auch hier formiert sich bereits Widerstand. Doch das Gewerbegebiet könnte ohnehin vor dem Aus stehen, ehe es recht geplant ist. Interkommunale Gewerbegebiete sollen ohne Anbindung künftig nicht mehr möglich sein.

Staatsregierung will Änderung der Änderung

Einer Evaluierung des Wirtschaftsministeriums zufolge sind zwischen 2013 und 2019 mindestens 264 solcher Gewerbegebiete in Bayern entstanden; zwei Drittel davon wurden als negativ beurteilt, weil sie nicht an Ortschaften angebunden waren. Aktuellere Zahlen gibt es dazu nicht.

In der Untersuchung heißt es: "Tatsächlich dürfte sowohl die Zahl der angestrebten Bauleitplanungen ohne Anbindung als auch die Zahl der negativ beurteilten Planungen deutlich höher sein." Zudem deckt die Erhebung nur eine kurze Zeitspanne unter der 2018 neu geregelten Ausnahme ab. Sie erfasst also nicht, wie viele interkommunale Gewerbegebiete seither tatsächlich entstanden sind. Die Staatsregierung will die Ausnahme jetzt dennoch wieder streichen und vollzieht damit eine Kehrtwende.

  • Landesamt für Statistik: Versiegelte Fläche in Bayern nimmt zu

Ausnahme laut Wirtschaftsministerium nicht gerechtfertigt

Auf Nachfrage teilt das Wirtschaftsministerium dazu mit: "Da interkommunale Gewerbegebiete leider nicht dazu geführt haben, Gewerbeflächen insgesamt zu reduzieren, ist eine Ausnahme vom Anbindegebot (…) nicht mehr gerechtfertigt." Ziel der Überarbeitung des LEP ist es, dass künftig wieder weniger Fläche in Bayern zugebaut wird. Eine Sprecherin schreibt dazu, das sei dringend erforderlich, um etwa den Erholungswert der Landschaft zu bewahren und die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Demnach sollen die Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und für die Energiegewinnung genutzt werden.

Die Änderungen im Landesentwicklungsprogramm hatte das Kabinett Ende vergangenen Jahres beschlossen. Bis 1. April dürfen Bürgerinnen und Bürger den Entwurf dazu einsehen und sich auch schriftlich per Post oder Mail dazu äußern. Danach muss der Landtag noch zustimmen.

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