Im Dürresommer 2022 rief die Regierung von Unterfranken die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sparsam mit dem Wasser umzugehen – zum Beispiel auf Rasensprenger zu verzichten. Ein deutlicher Hinweis auf die enorme Wasserproblematik in einer der trockensten Regionen Bayerns. Gleichzeitig werden dort jedes Jahr große Mengen Wasser kostenlos aus dem Boden, aus Seen und Flüssen geholt – für die Industrie, die Landwirtschaft, den Weinbau.
Wer darf das wo, für wie lange und um welche Mengen geht es jeweils? In Bayern gibt es keine zentrale Stelle, in der die Öffentlichkeit oder Medienvertreter das einsehen können. Deshalb fragten Journalistinnen und Journalisten des Bayerischen Rundfunks und der Main-Post im Herbst 2022 erstmals bei den neun Landratsämtern und drei kreisfreien Städten in Unterfranken nach den Genehmigungen zur Wasserentnahme an. Am Ende erhielten wir Daten zu mehr als 2.000 solcher Wasserentnahme-Rechte.
Rund 2.000 genehmigte Wasserentnahmen in Unterfranken
Die Recherche zeigt: Die Informationen zu den Wasserentnahme-Rechten sind nicht einheitlich. Manche Behörden tun sich mit der Herausgabe der Informationen schwer, es gibt beträchtliche Wissenslücken. In vielen Fällen können die Ämter nicht sagen, ob die genehmigten Entnahmemengen eingehalten werden. Manche Genehmigungen gelten sogar ohne jegliche zeitliche Beschränkung – quasi für immer.
- Zum Artikel: Wasserentnahmen in Bayern: Wie ahnungslos die Behörden sind
Obwohl die Daten also keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, ermöglichen sie eine Annäherung an die Situation. Wir wissen jetzt: In Unterfranken gab es in 2022 mindestens 2.139 Wasserentnahme-Rechte. Sie erlauben, Wasser in einem bestimmten Umfang kostenlos aus der Natur zu holen. Die Wasserrechte, die zur Trinkwasserversorgung da sind, habe wir aus allen Auswertungen herausgenommen. Unter anderem, weil zwei Landkreise zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch immer keine Information zu ihren Trinkwasserversorgern geliefert haben. Bleiben rund 1.900 Wasserentnahme-Rechte für das Jahr 2022.
- Zur Berichterstattung in der Main-Post: Wasserentnahme in Unterfranken
Main, Elsava, Aschaff: Diese Flüsse werden stark beansprucht
Bei den meisten Genehmigungen handelt es sich um Entnahmen aus dem Grundwasser. Aus dem Main wurden 249 Entnahmen erlaubt, rund 120 Entnahmen entfallen auf andere Oberflächengewässer. Die größte Menge an Wasser aus Flüssen und Seen wird aus dem Main gepumpt, aber auch die Elsava im Landkreis Miltenberg und die Aschaff auf dem Gebiet der Stadt Aschaffenburg werden stark beansprucht.
Doch Vorsicht: Es gibt Ausreißer. Eine Vielzahl an Wasserrechten mit einer kleinen genehmigten Menge steht wenigen großen Genehmigungen gegenüber. Deshalb ist es oft aussagekräftiger, anstatt der Zahl der Wasserrechte die genehmigte Entnahmemenge anzuschauen. Die Genehmigungen für den Main standen 2022 zusammen für 162,5 Millionen Kubikmeter Wasser – die 1.400 Grundwasserentnahmen summieren sich lediglich auf 36,5 Millionen Kubikmeter.
Die folgende Grafik zeigt den Unterschied in der Menge und für welche Zwecke welche Wasserquelle besonders genutzt wird:
Grafik: Dafür durfte 2022 in Unterfranken Wasser entnommen werden
Allerdings wäre der Schluss falsch, dass dem Main damit jedes Jahr viermal so viel Wasser verloren geht. Denn der Zweck der Entnahme spielt eine große Rolle. Von den 162,5 Millionen Kubikmetern Wasser aus dem Main gehen 152,3 Millionen an Industrie und Betriebe. Das Wasser wird dort sehr oft zur Kühlung verwendet und anschließend zum großen Teil über Kläranlagen wieder in den Main eingeleitet. Das gleiche Prinzip gilt für die Entnahme aus anderen Flüssen und Seen.
Wasserentnahmen gefährden ökologisches Gleichgewicht der Flüsse
Der Fischereiverband Unterfranken hat dennoch Bedenken, was diese Entnahmen angeht. Auch wenn das Wasser wieder zurückkommt: Der Temperaturunterschied bedeutet eine Veränderung in der Zusammensetzung des Gewässers. Warmes Wasser enthält weniger Sauerstoff, darunter leiden eben besonders Fische. Das sei auch ein Risiko für den Main, sagt Joachim Alka, Vizepräsident des unterfränkischen Fischereiverbandes: “Wir sind nicht gegen Wasser-Entnahmen! Nur gegen Entnahmen zu einer Zeit, in der sowieso wenig Wasser da ist!”
Das Umweltministerium schreibt uns auf Anfrage, dass sich durch Wasserentnahmen die Eigenschaften des Wassers grundsätzlich nicht zum Nachteil verändern dürfen. „Bei anhaltender Trockenheit und entsprechend niedrigen Wasserständen können bereits geringfügige Wasserentnahmen nachteilige Auswirkungen auf die Gewässerökologie haben“, so ein Sprecher der Behörde.
Die folgende Karte zeigt im Detail, wo in Unterfranken zu welchen Zwecken Wasser aus dem Main geholt wird:
Karte: Wo darf in Unterfranken Wasser aus dem Main entnommen werden?
Industrie entnimmt viel Grundwasser und leitet zum Teil in Flüsse zurück
Bei den Entnahmen aus dem Grundwasser sieht die Sache anders aus. Die 25 Millionen Kubikmeter, die 2022 für industrielle Zwecke abgepumpt wurden, werden zwar teilweise auch über Kläranlagen wieder in Oberflächengewässer zurückgeführt – dem Grundwasser fehlen sie dann aber trotzdem. In der „Wasserversorgungsbilanz Unterfranken“ wird das am Beispiel des Industriecenters Obernburg verdeutlicht. Der Verbund ist nach Angaben der Regierung von Unterfranken der größte Grundwasserentnehmer im Regierungsbezirk. Nach unseren Daten durften hier 2022 14 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Boden geholt werden. Eine große Menge davon wird zwar zuerst aus dem Fluss Elsava gepumpt und dem Grundwasser zugeführt. Laut der Wasserversorgungsbilanz betrug die tatsächlich entnommene Menge aus dem Grundwasser im Jahr 2018 dennoch 4,4 Millionen Kubikmeter.
Die Regierung von Unterfranken sieht hier wenig Probleme. Große Teile des von der Industrie abgepumpten Grundwasser sind laut der Wasserversorgungsbilanz nicht für Trinkwasserzwecke geeignet – sie haben damit keine Auswirkungen auf die Wasserversorgung der Bevölkerung.
Landwirte in Unterfranken holen jährlich 4,7 Millionen Kubikmeter Grundwasser aus dem Boden
Im Gegensatz zum Mainwasser entfällt beim Grundwasser ein großer Teil der genehmigten Entnahmemenge auf Nutzer, die das Wasser tatsächlich „verbrauchen“ – allen voran Landwirte. Die Wasserentnahmen für landwirtschaftliche Zwecke aus Seen und Flüssen lagen 2022 bei etwas mehr als 1 Million Kubikmeter – aus dem Grundwasser durften 4,7 Millionen Kubikmeter geholt werden.
Die folgende Karte zeigt im Detail, wo in Unterfranken zu welchen Zwecken Grundwasser abgepumpt werden darf:
Karte: Wo darf in Unterfranken Grundwasser abgepumpt werden?
Deutlich zu sehen ist, dass in den Landkreisen Schweinfurt, Würzburg und Kitzingen viel landwirtschaftliche Bewässerung stattfindet. Hier wird rund 87 Prozent der Grundwassermenge, die in Unterfranken für die Landwirtschaft genehmigt wurde, aus dem Boden geholt und vor allem für den Gemüseanbau verwendet.
Die Winzer entnehmen in Unterfranken vergleichsweise wenig: Laut unseren Daten waren für 2022 rund 210.000 Kubikmeter aus dem Main und anderen Flüssen genehmigt, rund 43.000 Kubikmeter aus dem Grundwasser.
Konflikte um Wasser aufgrund des Klimawandels
Bei Landwirtschaft und Weinbau sieht die Regierung von Unterfranken Potenzial für Konflikte ums Wasser. Sie haben am meisten mit der durch den Klimawandel bedingten zunehmenden Trockenheit zu kämpfen. Laut der Wasserversorgungbilanz kamen bei Kreisverwaltungsbehörden und Wasserwirtschaftsämter in den vergangenen Jahren immer mehr neue Bewässerungsgesuche oder Anträge auf die Erhöhung von Entnahmemengen an. Die Regierung von Unterfranken stellt fest: Die Trockenjahre 2018 bis 2020 haben diesen Trend noch beschleunigt. Gleichzeitig mahnt das Umweltministerium aber einen sparsamen Umgang mit dem kostbaren Gut Wasser an. „Die öffentliche Wasserversorgung hat […] immer Vorrang vor anderen Nutzungen“, sagt Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler).
Das ist ein Problem für die Landwirtschaft: Statt der gewünschten Erhöhungen werden Kürzungen der Entnahmemenge und Sperren für neue Wasserrechte verhängt. Etwa in der sogenannten Bergtheimer Mulde, nordöstlich von Würzburg. Auf 1.000 Hektar Fläche wird hier vor allem Gemüse angebaut. Dafür durften die Landwirte in 2022 nach unseren Daten insgesamt 550.000 Kubikmeter Grundwasser abpumpen. Die Entnahmemengen wurden laut einer Anfrage der SPD im Bayerischen Landtag in den vergangenen Jahren stark zurückgefahren. Und: Bereits seit 2016 dürfen keine neuen Wasserrechte mehr vergeben werden.
Über dieses Thema berichtet der BR unter anderem am Sonntag, 21. Mai, im BR24 Radio: Im Magazin "BR24 Medien" um 14.05 Uhr und im “Funkstreifzug” um 12.17 Uhr.
Über die Recherche und die Daten
Die Main-Post und der Bayerische Rundfunk haben Ende Oktober 2022 bei allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Unterfranken eine systematische Auskunft über alle genehmigten Wasserentnahmen angefragt. Die Auswahl fiel auf Unterfranken, da dieser Regierungsbezirk in den vergangenen Jahren besonders von Trockenheit betroffen war. Dabei wurde eine Datenstruktur vorgegeben, die unter anderem folgende Informationen beinhaltete: Name des Entnehmers, Ort der Entnahme, genehmigte Menge für das Jahr 2022, tatsächlich entnommene Menge für die Jahre 2018 bis 2021, Entnahme aus Oberflächengewässer oder Grundwasser, Zweck der Entnahme, Laufzeit und Laufzeitende.
Nach mehreren Monaten lagen Daten aus den neun Landkreisen und drei kreisfreien Städten vor. Um eine Analyse möglich zu machen, wurden diese Daten entsprechend bereinigt. In den Fällen, in denen die Ämter die ihnen vorliegenden Informationen weitgehend in die bereitgestellte Datenstruktur eingetragen haben, wurde so wenig wie möglich eingegriffen. In anderen Fällen mussten die Datenjournalisten Informationen zum Teil selbst zuordnen – diese Entscheidungen wurden stets sorgfältig besprochen und sind einzeln dokumentiert.
In Summe handelte es sich um knapp 2.150 Wasserrechte. Von der Analyse ausgenommen wurden jedoch die Entnahmen, die zum Zweck der Trinkwasserversorgung erfolgen. Diese wurden nicht von allen Landkreisen zur Verfügung gestellt. Weiter sind sich mehrere Experten einig, dass die Kontrolle der Trinkwasserversorgung sehr genau ist.
Die oben vorgestellte Analyse beruht daher auf rund 1.900 genehmigten Wasserentnahmen für die Land- und Fischwirtschaft, den Weinbau, Industrie und Betrieb, öffentliche Zwecke, Vereine und weitere Zwecke.
Für die Karte werden die verschiedensten Informationen genutzt, die die Landratsämter und kreisfreien Städte für die Wasserrechte zur Verfügung stellten: Gemarkungsschlüssel, Gemarkungsnamen, Gemeindeschlüssel und Namen von Gemeinden und Gemeindeteilen. Die räumliche Zuordnung erfolgt auf Ebene der Gemeinden. Innerhalb der Gemeindegrenzen werden die Punkte zufällig gewählt. So ist eine räumliche Verortung möglich, ohne das aus der Position des Punktes auf den tatsächlichen Ort der Wasserentnahme geschlossen werden kann.
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