Nach vier Wochen Reha wegen einer Sepsis kann Reinhilde Braun wieder fast alleine laufen.
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Nach vier Wochen Reha wegen einer Sepsis kann Reinhilde Braun wieder fast alleine laufen.

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Weniger geriatrische Rehas in Bayern – mehr Pflegebedürftige

Geriatrische Rehas sollen ältere Menschen nach Unfall oder Krankheit wieder fit machen. Doch sie kämpfen ums finanzielle Überleben. Ohne Reha-Behandlung droht vielen Senioren die Pflegebedürftigkeit. Das wird teuer, für Angehörige und den Freistaat.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Zum Gehen braucht Reinhilde Braun eigentlich nur noch eine Krücke. Die Ergotherapeutin weicht ihr trotzdem nicht von der Seite – sicherheitshalber. Vor vier Wochen hatte die 93-Jährige eine schwere Infektion, eine sogenannte Sepsis. Zwei Wochen lang wurde sie im Krankenhaus behandelt. Danach kam Reinhilde Braun in die Geriatrische Reha Klinik der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Würzburg und hat seitdem jeden Tag trainiert. "Das hätte ich so nach der Klinik nicht gekonnt. Weil ich viel zu schwach war." Ihr Ziel: Nach der Reha zurück nach Hause, selbstständig den Alltag bewältigen.

Geriatrische Reha-Kliniken in Bayern schreiben rote Zahlen

Am Wochenende darf die 93-Jährige wieder in ihre Wohnung zurück. Neun von zehn Patientinnen und Patienten in Bayern erreichen dieses Ziel mithilfe der geriatrischen Rehabilitation, heißt es in einer aktuellen Fachstudie – ein Erfolgskonzept also. Trotzdem schreiben diese auf Altersmedizin spezialisierten Reha-Kliniken deutschlandweit rote Zahlen. "In den letzten 18 Monaten haben verschiedene Kliniken in Bayern den Betrieb eingestellt, ihre Leistungen deutlich heruntergefahren oder sie stehen vor der Schließung", sagt Dirk van den Heuvel, Geschäftsführer des Bundesverbands Geriatrie. Diese Entwicklung sei aber nicht auf Bayern beschränkt. Bloß zeige sich die Dramatik hier aktuell besonders deutlich.

Die Würzburger Seniorenvertretung hat deshalb eine Petition gestartet: "Geriatrische REHA für Senior:innen sichern! Stationäre REHA ist unverzichtbar!" Die Vorsitzende der Seniorenvertretung Renate Fiedler sagt: "Wir fordern ganz konkret vom bayerischen Freistaat eine Zwischenfinanzierung zu generieren, bis zu dem Zeitpunkt, wenn die bundesgesetzlichen Regelungen greifen. Denn in dem Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz ist ja verankert, dass eine leistungsgerechte Vergütung zu erfolgen hat." Das ist nach wie vor nicht der Fall. Im März soll die Petition mit mehr als 10.000 Unterschriften dem Bayerischen Landtag übergeben werden.

Der Grund: Mehr Kosten als von den Kassen erstattet wird

Für jeden Behandlungstag von Reinhilde Braun etwa bekommt die geriatrische Reha-Klinik in Würzburg 258 Euro von der Krankenkasse. Um die Kosten allerdings decken zu können, müssen sie täglich 52 Euro aus eigener Tasche drauflegen. Im vergangenen Jahr hat die Klinik wieder 700.000 Euro Defizit gemacht.

Wie lange der Träger, die AWO, das noch auffangen wird, ist unklar, sagt Chefärztin Kathrin Tatschner: "Wenn wir jetzt auch noch schließen würden, dann würde die Versorgung für ältere Menschen in der Region komplett wegfallen." Seit dem Hilferuf vor anderthalb Jahren hat sich an der grundsätzlichen Situation nichts geändert.

Lange Wartelisten für geriatrische Reha-Plätze

Dabei ist der Bedarf so hoch wie nie: Die geriatrischen Reha-Einrichtungen in Bayern sind schon jetzt voll ausgelastet. Gleichzeitig rechnet der Bundesverband Geriatrie mit nochmal fast zehn Prozent mehr Menschen bis 2030, die auf eine geriatrische Reha angewiesen sein werden. Zusätzlich brechen immer mehr Alternativen weg, weiß Doris Eyrich. Sie leitet den Sozialdienst der Uniklinik Würzburg und kümmert sich um die Anschlussversorgung der Patientinnen und Patienten.

Dass Reinhilde Braun direkt einen Reha-Platz bekommen hat, ist die absolute Ausnahme. Eyrich muss ständig nach Zwischenlösungen suchen. Denn die Wartelisten für Reha-Plätze sind lang. Das bestätigt auch der Bundesverband Geriatrie: Bei mehr als der Hälfte der Reha-Kliniken müssen Patientinnen und Patienten 14 Tage bis hin zu neun Wochen auf einen Platz warten. Die Folge: Die älteren Menschen müssen diese Zeit mit Kurzzeitpflege, ambulantem Pflegedienst oder der Hilfe durch Angehörige überbrücken. Wertvolle Zeit, die ohne Förderung der Selbstständigkeit verstreicht. "Das führt dazu, dass immer mehr Menschen pflegebedürftig werden", so Doris Eyrich.

Ärztegemeinschaft: Asymmetrische Verhandlungen

Inflationsbedingt verschärft sich die Situation der Geriatrischen Kliniken in ganz Bayern, sagt Jens Trögner. Er ist Chefarzt am Klinikum Amberg und Vorsitzender der AFGiB, der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Geriatrie in Bayern.

Ein Grund für den Bettenrückgang sei, dass die Kliniken privatwirtschaftlich strukturiert sind, der Staat keine Kontrollfunktion hätte – und letztlich die Krankenkassen den Preis bestimmen: "Das ist eine stark asymmetrische Verhandlungssituation: die kleine Klinik gegen die großen Krankenkassenverbände." Das System sei im Prinzip privatwirtschaftlich organisiert, kritisiert Trögner.

Gesetzlich geregelte Selbstverwaltung

Aber könnten die Krankenkassen denn mehr für Reha ausgeben? Nein, sagt die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern (ARGE) auf Anfrage. Denn: Eine Umschichtung von Budgets sei nicht möglich ohne Gesetzesänderung.

Auf Nachfrage beim Bayerischen Gesundheitsministerium heißt es: Voriges Jahr habe man Vorsorge- und Reha-Einrichtungen bereits mit einem Härtefallfonds in Höhe von 30 Millionen Euro unterstützt. Eine grundsätzliche Richtungsänderung sei aber Sache des Bundes. Denn regulär müssen Rehas und Krankenkassen die Vergütung unter sich ausmachen: Gesetzlich geregelt ist die Selbstverwaltung.

Geriatrie-Ärztin: Pflegebedürftigkeit wird teuer

Dass ältere Menschen so hängen gelassen werden, ärgert Chefärztin Kathrin Tatschner in der Geriatrischen Reha Klinik der AWO in Würzburg: "Diese Menschen haben halt keine Lobby, die werden nicht auf die Straße gehen und demonstrieren." Gesellschaftlich und politisch sei es aber unsere Pflicht, so Tatschner, diese Menschen zu unterstützen – auch, weil wir alle einmal alt werden.

"Eine Versorgung im Heim kostet den Staat mehr Geld, als wenn die Menschen sich selbst zu Hause versorgen können. Klar, Reha-Plätze zu schaffen, ist erstmal teurer, aber hintenraus spart der Staat Geld." Denn wenn immer mehr Menschen immer mehr Pflege brauchen, müssen mehr Pflegeheimplätze geschaffen werden – und dann stellt sich wieder die Frage: mit welchem Personal?

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