Heute jährt sich der Genozid an den Jesiden durch den IS zum zehnten Mal. Trotz der Anerkennung dieses Völkermords durch die Bundesregierung werden Jesiden weiterhin aus Deutschland, insbesondere Bayern, abgeschoben. Das sorgt für heftige Kritik.
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Ein Mitglied der Jesidischen Gemeinschaft hält ein Fähnchen hoch. Der blaue Pfau ist das Symbol der Jesiden.

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Zehn Jahre nach dem Jesiden-Genozid: Abschiebungen aus Bayern

Am 3. August jährte sich der Genozid an den Jesiden durch den IS zum zehnten Mal. Trotz der Anerkennung dieses Völkermords durch die Bundesregierung werden Jesiden weiterhin aus Deutschland, insbesondere aus Bayern, abgeschoben. Das sorgt für Kritik.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Am 3. August 2014 überfiel der sogenannte Islamische Staat (IS) die jesidischen Gebiete im Nordirak. Tausende wurden getötet, Frauen und Mädchen versklavt, und eine ganze Gemeinschaft brutal verfolgt. Heute jährt sich dieser Genozid zum zehnten Mal. Dennoch müssen Jesidinnen und Jesiden in Deutschland, vor allem in Bayern, weiterhin die Abschiebung in ihre Heimat befürchten - trotz der offiziellen Anerkennung des Völkermords durch die Bundesregierung.

Kritik an die Abschiebepraxis der Bundesregierung

Die Menschenrechtsaktivistin und Gründerin von Hawar Help, Düzen Tekkal, selbst Jesidin, äußert heftige Kritik an der Abschiebepraxis. "Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie ihre Versprechen einhält, nämlich durch die Anerkennung des Völkermords dem Schutzauftrag für die Jesiden nachzukommen. Wie kann es sein, dass wir den Völkermord anerkennen und Monate später Jesiden abschieben in Genozid-Gebiet?"

Tekkal betont gegenüber BR24, dass in Deutschland die größte Diaspora der Jesiden mit über 250.000 Mitgliedern lebt. Diese Menschen seien Teil der Gesellschaft, arbeiteten beispielsweise als Pflegekräfte und trügen zur demografischen Entwicklung bei. "Es geht darum, dass wir eine Verantwortung haben für diese Menschen und sie nicht abschieben dürfen, diese Menschen sind Opfer vom Islamismus. Die aktuelle Abschiebepolitik trifft die Falschen."

Besorgniserregende Einzelfälle

Der Bayerische Flüchtlingsrat und die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl schildern erschütternde Einzelfälle, die die besondere Schutzbedürftigkeit der Jesidinnen und Jesiden verdeutlichen. Im Oktober 2023 wurde eine jesidische Familie mit vier minderjährigen Kindern in den Irak abgeschoben. Eines der Kinder ist Asthmatiker und kann seit der Abschiebung nicht zur Schule gehen. Der Familienvater wurde während des Transports zum Flughafen gefesselt, die Mutter brach am Flughafen zusammen. "Diese Abschiebungen zeugen von einer fehlenden humanitären Perspektive und der Ignoranz gegenüber der besonderen Schutzbedürftigkeit dieser Menschen", heißt es in der Pressemitteilung des Münchener Flüchtlingsrats zum zehnten Jahrestags des Genozids.

Ein weiterer alarmierender Fall betrifft einen jungen jesidischen Mann, der trotz schwerwiegender psychischer Erkrankung kein Bleiberecht erhalten hat. Seit seinem negativen Asylbescheid 2020 erhielt er Duldungen, da keine Abschiebungen in den Irak durchgeführt wurden. Seit Januar 2024 hat er eine Grenzübertrittsbescheinigung und lebt in ständiger Angst vor der Abschiebung. Sein Bruder, der mit Aufenthalt in Bayern lebt, könnte ihm die dringend benötigte Unterstützung bieten.

Bayerischer Flüchtlingsrat fordert ein sofortiges Ende der Abschiebungen

"Bayern muss seiner Verantwortung gerecht werden und kann sich nicht allein auf die Entscheidungspraxis des Bundesamtes berufen", erklärt Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Sie appelliert an die bayerischen Behörden und das Innenministerium, Minderheiten und besonders schutzbedürftige Personengruppen zu schützen. Der Verein fordert ein sofortiges Ende der Abschiebungen von Jesidinnen und Jesiden, insbesondere von Familien mit Kindern sowie von besonders schutzbedürftigen Personen.

Innenministerium weist Kritik zurück

Die Sprecherin des bayerischen Innenministeriums verweist auf die Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). "Es besteht ein bewährter Konsens, Abschiebestopps nur gemeinsam von Bund und Ländern zu erklären. Nach den aktuellen Zahlen hat das BAMF im Zeitraum 01. Januar bis 30. April 2024 nur rund 36 Prozent der Asylanträge von Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak einen Schutzstatus zuerkannt." Ein Abschiebungsstopp käme nur in extremen Ausnahmesituationen in Betracht, was im Irak nicht der Fall sei.

Dieser Artikel ist erstmals am 03.08.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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