Geflüchtete im Oktober in Niedersachsen
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"Zu spät", "vage": Landräte enttäuscht von Migrationsgipfel

"Zu spät", "vage": Landräte enttäuscht von Migrationsgipfel

Nach langem Streit haben Bund und Länder grundlegende Beschlüsse in der Migrationspolitik gefasst. So soll es künftig weniger Geld für Asylbewerber und raschere Verfahren geben. Landräte in Oberbayern bewerten die Ergebnisse kritisch.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Bei ihrem Migrationsgipfel haben sich Bund und Länder auf die künftige Aufteilung der Kosten für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen verständigt. So will der Bund den Ländern künftig nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme zahlen, sondern pro Kopf und Jahr 7.500 Euro. Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einigten sich mit dem Kanzler außerdem darauf, die Leistungen für Asylbewerber einzuschränken. So sollen Asylbewerber im laufenden Verfahren erst nach drei Jahren Bezüge in Höhe des Bürgergelds erhalten. Zudem sollen Asylverfahren schneller abgeschlossen werden. Oberbayerns Landräte sind mit den Ergebnissen aber nur bedingt zufrieden.

  • Zum Artikel: Migrationsgipfel im Kanzleramt: Die Beschlüsse im Überblick

Gürtner: "Weitere Schritte müssen folgen"

Die beschlossenen Maßnahmen seien erste Schritte – sagt der Pfaffenhofener Landrat Albert Gürtner von den Freien Wählern. Er sei froh, dass erste Maßnahmen für eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen beschlossen wurden, so Gürtner gegenüber dem BR. Es müssten aber dringend weitere Schritte folgen, um die Überlastung der Kommunen zu reduzieren.

Jochner-Weiß "Es fehlen Unterkünfte, Geld und Personal“

Weilheim-Schongaus Landrätin Andrea Jochner-Weiß (CSU) sieht ebenfalls erste kleine Schritte in die richtige Richtung. Trotzdem seien die Ergebnisse aus kommunaler Sicht enttäuschend, da vieles noch sehr vage und unkonkret ist. Eine zeitnahe und spürbare Entlastung für die Kommunen sei deshalb leider nicht zu erwarten, so Jochner-Weiß in ihrer Stellungnahme gegenüber dem BR.

Für die momentan dringend anstehenden Aufgaben, nämlich die Unterbringung von Flüchtlingen und deren Integration fehlen wegen der hohen Anzahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern nach wie vor die notwendigen Unterkünfte, ausreichend Finanzmittel und das nötige Personal.

Anetsberger: "Zu spät - davon hat die AfD profitiert"

Der Eichstätter Landrat Alexander Anetsberger (CSU) sagte, durch den Asylkompromiss von Bund und Ländern komme endlich Bewegung in die Migrationspolitik – allerdings zu spät. Er kritisierte zudem, dass die Kommunen am Migrationsgipfel nicht beteiligt gewesen seien und sieht eine dauerhafte Lösung nur auf EU-Ebene. Durch die "lange uneinsichtige Haltung" der Bundesregierung habe man fast ein Jahr Zeit verloren. Davon habe nur die AfD profitiert. Bei vielen Beschlüssen handele es sich zudem um Absichtserklärungen, die in die richtige Richtung gingen, aber noch in die Tat umgesetzt werden müssten.

Von Löwis fühlt sich "im Stich gelassen"

Deutliche Worte kommen auch aus dem Landkreis Miesbach. Landrat Olaf von Löwis (CSU) sagt, er habe schon befürchtet, dass nur so wenig bei der Ministerpräsidentenkonferenz herauskomme. "Wir fühlen uns an der Basis im Stich gelassen, denn die nächsten Geflüchteten kommen. Wir können sie weder unterbringen noch integrieren“, so von Löwis auf BR-Anfrage. Auf Bundesebene fehlen seiner Meinung nach ernsthafte Entscheidungen, die rasche Lösungen bringen.

Eichinger: "Dahinterliegende Probleme nicht gelöst"

Auch der Landrat von Landsberg, Thomas Eichinger von der CSU, sieht durch die gefassten Beschlüsse keine schnelle Entlastung. Die Ministerpräsidentenkonferenz habe sich auf "Absichtserklärungen“ geeinigt, um etwas schneller abzuschieben und die Verfahrensdauern zu kürzen. Die "dahinterliegenden Probleme“ seien aber noch nicht gelöst. Damit meine er etwa die überlasteten Verwaltungsgerichte, die über die Asylanträge entscheiden, und sich im Moment einer "Riesen-Flut an Verfahren“ gegenüber sähen. Man müsse die Gerichte daher schnell mit mehr Personal ausstatten, um die Verfahren tatsächlich schneller abschließen zu können – "bei gleicher Rechtslage“.

Auswirkungen frühestens in einem Jahr

"Nicht im laufenden Jahr und wahrscheinlich erst sehr spät im kommenden Jahr“ würden die formulierten Maßnahmen sich demnach auswirken, sagte Eichinger im Gespräch mit dem BR. Der Landsberger Landrat begrüßte die Einigung in der Ministerpräsidentenkonferenz, "Pull-Faktoren zu reduzieren“, die eine Flucht nach Deutschland attraktiv machten, indem man etwa Geld- durch Sachleistungen ersetzen wolle. Dies werde mittelfristig helfen, den Zustrom von Flüchtlingen zu reduzieren.

Von der Grün: "Beschlüsse sind vage und enttäuschend"

Peter von der Grün (FW), der Landrat von Neuburg-Schrobenhausen, zeigte sich auf BR-Nachfrage enttäuscht über die Beschlüsse des gestrigen Migrationsgipfels: "Aus meiner Sicht sind die Ergebnisse des Migrationsgipfels vage, unkonkret und deshalb enttäuschend, sie werden keine zeitnahe und spürbare Entlastung für die Kommunen bringen" Der deutsche Sozialstaat übe nach wie vor eine zu hohe Anziehungskraft aus, so der Neuburger Landrat. "Für die Unterbringung und Integration der hohen Anzahl an Flüchtlingen und Asylbewerber fehlt es nach wie vor an Unterkünften, Geld und Personal“, so von der Grün.

Heimerl: "Richtige Richtung – aber zu langsam“

Die Beschlüsse reichen laut dem Mühldorfer Landrat Max Heimerl (CSU) nicht aus, um die Lage schnell zu verbessern. Der wichtigste Schritt, nämlich die Beendigung der illegalen Migration, werde wieder nur halbherzig angegangen. "Wir brauchen jetzt aber schnell einen Rückgang der Flüchtlingszahlen", so Heimerl auf BR-Nachfrage. Man sei schon jetzt überlastet und "die Kommunen können nicht mehr und die Menschen wollen nicht mehr", sagt Max Heimerl außerdem. Bund und Länder seien mit den Beschlüssen vom Montag zum Teil in die richtige Richtung unterwegs, aber zum Teil auch wieder zu langsam.

Es drohe "völlige Überforderung“

Im Landkreis Mühldorf am Inn spitzt sich laut Angaben des Landratsamtes seit vielen Monaten die Situation zu. Aktuell bekomme der Landkreis alle zwei Wochen einen Bus mit 50 Asylbewerbern zugewiesen. Es drohe eine völlige Überforderung bei der Unterbringung, der Versorgung und erst Recht bei der Integration von Schutzsuchenden, so das Landratsamt. Angemessene Unterkünfte würden ausgehen und die Kapazitäten in Kitas und Schulen seien erschöpft.

Schneider: "Weiterhin ungebremster Zustrom“

Auch im Nachbarlandkreis Altötting ist die Flüchtlingssituation sehr angespannt und die Belastungsgrenze sei, wie bei vielen anderen Kommunen, auch dort erreicht, sagt der Altöttinger Landrat Erwin Schneider (CSU). "Die Ergebnisse der gestrigen MPK sind, was beispielsweise die finanzielle Beteiligung des Bundes betrifft, die ersten Schritte hin zu einer finanziellen Entlastung der Kommunen, die aber noch nicht ausreichen", so Schneider auf Nachfrage des Bayerischen Rundfunks. Der ungebremste Zustrom an Migranten gehe allerdings unverändert weiter und das sei das Hauptproblem, so Schneider.

Walch: "Massive Abschiebungen und Reduktion der Sozialleistungen"

Das sieht sein CSU-Kollege Siegfried Walch aus dem Landkreis Traunstein genauso. Man brauche unbedingt einen robusten Grenzschutz, massive Abschiebungen und eine massive Reduktion der Sozialleistungen für Asylbewerber, so Walch im BR Interview. Flüchtlinge, die bei der Identitätsfeststellung nicht kooperieren, könnten Verfahren jahrelang hinauszögern.

Speer: "Unterbringung nicht thematisiert"

Der Garmischer Landrat Anton Speer (FW) schreibt auf Anfrage, die gestrigen Beschlüsse seien erst einmal positiv zu bewerten, da sich nach langer Zeit endlich etwas bewege und nun konkrete Maßnahmen ergriffen würden. Aber es müssten natürlich weitere Schritte folgen, denn bis die beschlossenen Maßnahmen erst richtig greifen, werde einiges an Zeit ins Land gehen. So sei beispielsweise die derzeit große Problematik bei der Unterbringung der Flüchtlinge nicht thematisiert worden, so Speer. Schneller entlastet würden die Kommunen vor allem dadurch, wenn Flüchtlinge so lange in von Bund und Land geschaffenen zentralen Einrichtungen verbleiben müssten, bis ihre Bleibeperspektive geklärt ist, so Speer. Denn Geld allein reiche nicht, wenn die räumlichen Möglichkeiten der Unterbringung erschöpft sind.

Bund wacht aus Dornröschenschlaf auf

Auch im Landkreis Bad-Tölz/Wolfratshausen sieht man die Ergebnisse kritisch. Die Maßnahmen seien nicht weitreichend genug und würden nicht dazu führen, dass die Kommunen bald eine Entlastung spüren, so der stellvertretende Landrat Thomas Holz (CSU). Verhalten positiv stimme ihn allerdings, dass der Bund nun doch langsam aus dem Dornröschenschlaf aufzuwachen scheine. So sei das "atmende System“ grundsätzlich positiv zu bewerten, so Holz. Auch die Einführung eines Bezahlkartensystems für Sachleistungen unter gleichzeitiger Abschaffung von Geldleistungen sowie die Senkung der Sozialleistungen gehe in die richtige Richtung.

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