Symbolbild: Nagelstudio
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Zwangsarbeit in Nagelstudios: Vietnamesen illegal eingeschleust

Sie hatten keine Arbeitserlaubnis, arbeiteten teils ohne Lohn und hausten in einer verschimmelten Wohnung: Der Zoll hat sechs mutmaßliche Fälle von Zwangsarbeit in zwei Nagelstudios in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land aufgedeckt.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Sechs vietnamesische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zweier Nagelstudios hat die Polizei vorläufig festgenommen. Sie hatten keine Arbeitserlaubnis - und sie bekamen für ihre Arbeit teilweise gar kein Geld, teilweise viel zu wenig bezahlt.

Gegen ihren Chef, einen 35-jährigen Vietnamesen, der die beiden Studios im östlichen Landkreis Traunstein und dem nördlichen Berchtesgadener Land offenbar leitete, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Traunstein. Der Vorwurf: Unter anderem gewerbsmäßige Schleusung und Zwangsarbeit. Immer häufiger kommt es wegen solcher Straftatbestände in Deutschland zu Ermittlungen und Strafanzeigen.

Unmenschliche Zustände in der Wohnung der Beschäftigten

Die Ermittler des Zolls haben neben den Nagelstudios auch die Wohnung durchsucht, in der die sechs Beschäftigten untergebracht waren. Die Wohnung war verschimmelt, Mücken schwirrten durch die Luft, im Bad fanden die Ermittler Schnecken. Die sechs illegal Beschäftigten hausten zu sechs in einer Dreizimmerwohnung unweit eines der Nagelstudios. Im Schlafzimmer lagen die Matratzen eng beieinander, "Kante an Kante", berichtet der Zoll.

Bei anderen Fällen von Zwangsarbeit schlafen die Ausgebeuteten sogar an ihrem Arbeitsplatz. Vor mehreren Jahren gelang es Ermittlern aus Rosenheim schon einmal, einen Fall von Zwangsarbeit im Berchtesgadener Land aufzudecken. Zwei junge Männer aus Vietnam mussten zwölf Stunden täglich in einem Nagelstudio schuften. Als Bett dienten ihnen in der Nacht die Kosmetikstühle. Lohn erhielten sie keinen für ihre Arbeit, es hieß, sie müssten erst ihre Schulden für die Schleusung aus Vietnam abarbeiten. Ihre Pässe hatte man ihnen während der Schleusung abgenommen.

Immer mehr Ermittlungsverfahren wegen Zwangsarbeit

Die Ermittlungsverfahren wegen so genannter Arbeitsausbeutung nehmen in ganz Deutschland zu. Dazu zählen Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft. Das bedeutet, dass jemand die persönliche Zwangslage oder die Hilflosigkeit einer anderen Person ausnutzt, um sie ganz ohne Lohn oder für nur sehr wenig Geld für sich arbeiten zu lassen.

Das Bundeskriminalamt [externer Link] hat im vergangenen Jahr 36 abgeschlossene Ermittlungsverfahren wegen Arbeitsausbeutung gezählt - ein Höchststand. Und die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Denn dass die Ermittler so weit kommen wie bei den jüngsten Verhaftungen im Chiemgau, ist selten.

Bei den Ermittlungen ist Fingerspitzengefühl gefragt

Zu den Nagelstudios habe ein anonymer Hinweis geführt, erzählt Marion Dirscherl, Sprecherin des zuständigen Hauptzollamts Rosenheim. Für die erfolgreichen Verhaftungen sei viel Vorarbeit notwendig gewesen. Und Fingerspitzengefühl: Die sechs Vietnamesinnen und Vietnamesen in den Nagelstudios hätten mit den Ermittlern des Zolls über ihre Arbeitsbedingungen gesprochen. Dafür sei es wichtig, Vertrauen aufzubauen, so die Zollsprecherin.

Die Drahtzieher bleiben oft verborgen

Das gelingt den Ermittlern nicht oft. Denn die illegal Beschäftigten würden von ihren Chefs häufig eingeschüchtert, jeglicher Kontakt mit Behörden wird ihnen verboten. Doch nur wenn die Betroffenen vor Gericht über ihre Arbeitsbedingungen aussagen, kann die Ausbeutung oder Zwangsarbeit nachgewiesen werden. Und nur so haben die Behörden eine Chance, etwas über die Organisationen hinter der Zwangsarbeit zu erfahren. Denn häufig, so berichtet es der Zoll, sind die direkten Chefs der Ausgebeuteten nur Strohmänner. Die Drahtzieher bleiben dahinter zunächst unsichtbar.

Druckmittel der Täter: Furcht vor Abschiebung

Viele Betroffene sagen zudem nicht aus, weil sie Angst haben, abgeschoben zu werden. Stellen die Ermittlungsbehörden Zwangsarbeit oder Arbeitsausbeutung fest, haben die Opfer das Recht auf eine Bedenk- und Stabilisierungszeit von drei Monaten. In dieser Zeit dürfen sie nicht aus Deutschland ausgewiesen werden. Entscheiden sie sich anschließend dafür, eine Aussage vor Gericht zu machen, können sie weiter für eine bestimmte Zeit in Deutschland bleiben.

Wie es für die sechs illegal Beschäftigten in den Nagelstudios im Landkreis Traunstein und Berchtesgadener Land weitergeht, ist momentan unklar. Die Staatsanwaltschaft Traunstein stellt sich auf schwierige und umfangreiche Ermittlungsarbeiten ein.

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