Wäsche hängt zum Trocknen auf einem Zaun auf dem Gelände der Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (Archivbild).
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Wäsche hängt zum Trocknen auf einem Zaun auf dem Gelände der Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (Archivbild).

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Ampel uneins: Debatten zu Asylverfahren und Bewerberleistungen

Vor dem Bund-Länder-Gipfel zu Migration kocht eine Debatte über Asylverfahren außerhalb Europas hoch. Auch zu Asylbewerberleistungen hat die Ampel noch keine einheitliche Linie gefunden. Pläne zu neuen Arbeitsmöglichkeiten kommen nun ins Kabinett.

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Angesichts steigender Migrationszahlen schlagen viele Kommunen Alarm. Bund und Länder suchen nach Lösungen. Ein Vorschlag kommt nun von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU): Asylprüfungen sollten außerhalb der EU-Grenzen vorgenommen werden. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich.

SPD und Grüne gegen Asylverfahren außerhalb Europas

Die Idee ist nicht neu, sagte der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Nur sei sie aus guten Gründen bislang nicht weiterverfolgt worden. Rechtsstaatliche Verfahren und die Einhaltung der Menschenrechte müssten in den Drittstaaten zwingend gewährleistet sein, sagte er der "Rheinischen Post". "Schon die Unions-Innenminister der großen Koalition (Horst) Seehofer und (Thomas) de Maizière sind daran gescheitert."

Erfolgversprechender seien die laufenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament über Asylverfahren in Zentren an den europäischen Außengrenzen. "Darüber hinaus verhandelt aktuell Bundeskanzler Scholz mit Nigeria über Migrationszentren für Rückkehrer, um sie bei ihrer Heimkehr zu unterstützen", sagte Wiese. Beides greife ineinander und sei menschlicher als Asylverfahren außerhalb der EU.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, warf Wüst vor, Lösungen zu fordern, die nicht dem EU-Recht entsprechen würden. Nötig seien stattdessen realistische, rechtskonforme Lösungen.

"Höflicher Rat" von Bundeskanzler Scholz

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich skeptisch. Es gebe viele Vorschläge, bei denen man sich fragen müsse, was Drittstaaten dazu meinten, sagte er im westafrikanischen Ghana. "Das wäre jedenfalls ein höflicher Rat", fügte er hinzu. Man müsse "einen kühlen Kopf" bewahren und sich immer fragen, ob andere Staaten bei dem Thema Migration überhaupt kooperieren wollten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte bei ihrem Besuch in Marokko, die von der Ampel-Regierung geplanten Migrationsabkommen mit einzelnen Herkunftsstaaten von Asylbewerbern seien "zielführender". Dabei geht es darum, die Rückführung von Migranten ohne Bleiberecht in Deutschland zu erleichtern und gleichzeitig die Einwanderung von Fachkräften zu fördern. Für diese Abkommen warben Scholz und Faeser in den vergangenen Tagen auf ihren gleichzeitig stattfindenden Afrika-Reisen.

Wüst fordert Asylverfahren entlang der Fluchtrouten

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst hatte in der "Süddeutschen Zeitung" angeregt, man solle Flüchtlinge nach einem Aufgreifen in Europa in Partnerländer entlang der Fluchtrouten bringen, "damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden". Im Gegenzug müssten diese Partnerländer finanziell unterstützt werden. Ein ähnliches Modell hatte die britische Regierung mit Ruanda geplant, die Umsetzung stockt aber. Neben rechtlichen Zweifeln gibt es eine Reihe ungeklärt Fragen, wie etwa im Falle afghanischer oder syrischer Flüchtlinge zu verfahren wäre.

Wüst setzte noch einmal nach: "Wir brauchen direkt dort vor Ort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln, nicht erst hier in unserem Land", sagte er der "Rheinischen Post". "Dabei müssen wir diese Partnerländer auch finanziell unterstützen. Das Sterben im Meer muss aufhören, das ist das Ziel."

Dürr: "Eine Frage der Menschlichkeit"

Unterstützung bekommt er von der Regierungspartei FDP. Fraktionschef Dürr sagte der "SZ", auch seine Partei befürworte eine Durchführung von Asylverfahren in Drittländern außerhalb der EU. "Eine solche Regelung würde Klarheit über den Schutzstatus schaffen und verhindern, dass sich Menschen ohne Perspektive auf die gefährliche Route übers Mittelmeer begeben. Das ist auch eine Frage der Menschlichkeit."

SPD-Abgeordneter: Bisherige Maßnahmen "untaugliches Flickwerk"

Auch einige SPD-Bundestagsabgeordnete befürworten Asylverfahren außerhalb Europas. Frank Schwabe, Lars Castellucci und Fabian Funke haben laut "SZ" dazu einen gemeinsamen Vorschlag erarbeitet, den sie der Fraktion vorlegen wolle. Viele der aktuell diskutierten Maßnahmen seien nur "untaugliches Flickwerk ohne große Wirkung auf die Zahlen", sagte Schwabe der Zeitung. Daher brauche es rasch eine Verständigung mit den Herkunftsstaaten.

"Zum Konzept gehört auch, dass Ertrinkende staatlich gerettet und an Grenzen nicht mehr verprügelt werden. Aber das Asylverfahren wird eben nicht mehr in Europa durchgeführt", sagte Schwabe. "Wer an den Außengrenzen ankommt, dessen Asylverfahren wird außerhalb Europas durchgeführt."

Kritik an FDP-Plänen für niedrigere Asylbewerberleistungen

Darüber hinaus gibt es ein weiteres Streitthema in der Ampel: Die Grünen kritisieren den FDP-Vorschlag zur Kürzung der Sozialleistungen für Asylbewerber als "Wettbewerbsspirale um die niedrigsten menschenrechtlichen Standards". Der Vorstoß gehe "voll gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das klare Leitlinien zu Menschenwürde und Existenzminimum von Asylbewerberinnen und -bewerbern aufgestellt hat", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion Mihalic den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". "Darüber hinaus ist der Vorschlag auch mit EU-Recht nicht vereinbar."

Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann (beide FDP) hatten in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" verlangt, die Asylbewerberleistungen zu kürzen. Ziel müsse sein, die Anreize für eine Flucht nach Deutschland zu verringern. Ein Bündnis von mehr als 150 Organisationen, darunter kirchliche, soziale und politische Flüchtlingsorganisationen, hatte im Blick auf die Pläne von zunehmend "menschenfeindlichen und sachfremden Forderungen" gesprochen. "Im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz hagelt es gerade Vorschläge von ganz unterschiedlicher Treffsicherheit", sagte SPD-Fraktionsvize Wiese dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" diesbezüglich. Schon jetzt seien die Leistungen für Asylbewerber auf einem niedrigen Niveau. Bei Geduldeten sei unter bestimmten Umständen eine weitere Reduzierung von Leistungen bereits möglich, sagte Wiese.

Migrationsgipfel mit Ländern

Am 6. November wollen die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Scholz über die Eindämmung der irregulären Migration und über die Finanzierung der Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland beraten.

Am Freitag soll es bereits ein Vorgespräch von Scholz mit CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt geben. Der Kanzler strebt eine Verständigung mit der Union an.

Kabinett: Bessere Arbeitsmöglichkeiten für Geflüchtete

Heute will das Bundeskabinett Regelungen beschließen, die Asylbewerbern einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Innenministerin Faeser plant, die Fristen für eine Aufnahme von Beschäftigung zu verkürzen. So sollen Asylbewerber in Erstaufnahmeeinrichtungen künftig bereits nach sechs statt neun Monaten arbeiten dürfen. Auch härtere Strafen für Schleuser stehen auf der Tagesordnung.

Mit Informationen von dpa, Reuters und epd

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