Selbst der Bundeskanzler konnte am Ende nichts mehr retten. Zwar hatte Olaf Scholz über seine Regierungssprecherin verlauten lassen, er schätze Anne Spiegel und arbeite eng und vertrauensvoll mit ihr zusammen. Das aber reichte nicht. Die Bundesfamilienministerin trat zurück, weil sie nicht mehr anders konnte:
"Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht. Mein großer Dank gilt allen, die mich solidarisch unterstützt haben und besonders meinem Team in der Hausspitze. Den Mitarbeitenden des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wünsche ich von Herzen alles Gute und vor allem viel Erfolg für die Umsetzung der so wichtigen Themen." Erklärung von Anne Spiegel
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Entschuldigung für vier Wochen Ferien nach Flutkatastrophe
Bereits am Sonntagabend hatte Spiegel in einem sehr persönlichen und in Teilen verstörenden Statement erklärt, dass die damalige Situation zu viel gewesen war und sie als Familie an eine Grenze gebracht habe. Ein Auftritt, der auch den Bundeskanzler bewegt und betroffen gemacht hatte, eben weil er so persönlich war. Spiegel hatte geschildert, dass ihre Familie den Urlaub gebraucht habe, weil ihr Mann 2019 einen Schlaganfall erlitten hatte und nicht mehr konnte. Dazu kam die Corona-Situation mit den vier Kindern, Spiegel stockte, sie rang um Fassung und entschuldigte sich dafür, dass sie so lange Ferien gemacht habe mitten in den Nachwehen der Flutkatastrophe mit insgesamt 135 Toten.
Wie vereinbar sind Familie und Politik?
Wie familienfreundlich ist die Politik? Wie familienfreundlich kann sie sein? Und wo liegen Prioritäten. All diese Fragen hatten vor allem die Grünen im Bundestagswahlkampf thematisiert, auch weil ihrer Kandidatin Annalena Baerbock als junger Mutter von einigen die Fähigkeit, als Kanzlerin Familie und Politik auf sich zu vereinen, abgesprochen worden war.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium und Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), kommentierte auf Twitter, dass am Beispiel Spiegels auch verhandelt werde, wie menschlich Politik sein dürfe. "Menschen können Fehler machen oder in harten Abwägungen Entscheidungen treffen, die sie später bereuen." Wer in der Politik keine Maschinen wolle, bekomme Menschen, so Lehmann.
Umso bitterer nun für die Grünen, dass ausgerechnet die Bundesfamilienministerin Anne Spiegel, eine Musterministerin nach Maßstäben der Partei, darüber stolpert, dass sie in ihrer Eigenschaft als Ministerin in Rheinland-Pfalz Familie und Beruf nicht zusammen bekam, auch weil sich berufliche und familiäre Katastrophen buchstäblich ballten und Spiegel keine Lösung fand.
Lob und Respekt von der Grünen-Spitze
Die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour lobten den Mut und die Klarheit Spiegels und zollten ihr Respekt. Sie habe in einer sehr schwierigen Situation alles getan, um Schaden von dem Amt abzuwenden, Fehler eingestanden mit Transparenz und Offenheit.
Allerdings hakte es mit der Offenheit zuletzt schon sehr. Spiegel musste eingestehen, dass sie entgegen ihren ursprünglichen Angaben während ihrer Ferien nicht an allen Kabinettssitzungen zur Flutkatastrophe teilgenommen hatte. Dabei hatte sie zuvor über einen Sprecher erklären lassen, sie habe sich digital zugeschaltet.
Nachfolge soll zeitnah geklärt werden
Die Nachfolge stellt die Grünen vor einige Probleme: Anne Spiegel gehört dem linken Flügel an, und auch wenn die Grenzen zwischen Realos und Fundis bei der Partei nicht mehr in Stein gemeißelt sind, kann die Parteispitze das nicht vollkommen ignorieren. Aufgrund der Parität, die Bundeskanzler Scholz für sein Kabinett ausgerufen hat, müsste die Nachfolgerin von Anne Spiegel zudem eine Frau sein. Bei der Vorstands-Klausur der Grünen in Husum war zunächst nur die Rede, "zeitnah" über die Spiegel-Nachfolge zu entscheiden. Sie werde dafür eintreten, dass Familien Zeit füreinander hätten und zwar qualitativ hochwertige Zeit, sagte Anne Spiegel, als sie das Amt der Bundesfamilienministerin übernahm. Nun ist sie ausgerechnet daran gescheitert.
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