Dieser Artikel informiert Sie über den Tathergang, Angaben zu den Opfern und die bisher bekannten Hintergründe. Er wird fortlaufend aktualisiert.
In der Münchner Innenstadt ist am Donnerstagvormittag ein Auto in eine Menschenmenge gerast, mindestens 39 Menschen wurden teils schwer verletzt. Zwei von ihnen - ein zweijähriges Mädchen und seine 37 Jahre alte Mutter - erlagen ihren schweren Verletzungen, wie das bayerische Landeskriminalamt am Samstag mitteilte. Die Behörden gehen inzwischen von einem islamistischen Anschlag aus. Für die weiteren Ermittlungen hat das bayerische Landeskriminalamt (LKA) die "Sonderkommission Seidlstraße" gebildet, der betroffene Bereich wurde am Abend wieder für den Verkehr freigegeben.
Was ist in München passiert?
In der Seidlstraße unweit des Münchner Hauptbahnhofs ist ein Autofahrer mit einem weißen Mini Cooper in eine Kundgebung der Gewerkschaft Verdi gerast, die derzeit bundesweit für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst streikt.
Der Vizepräsident des Münchner Polizeipräsidiums, Christian Huber, schilderte den Vorfall kurz nach der Tat: Gegen 10.30 Uhr fährt ein 24 Jahre alter Asylbewerber aus Afghanistan mit seinem Auto hinter der Demo her, überholt einen Polizeiwagen zur Absicherung der Gruppe, beschleunigt – und fährt in das Ende des Demonstrationszuges. Die Polizei schießt in Richtung des Verdächtigen und nimmt ihn fest. Laut der leitenden Staatsanwältin Gabriele Tilmann soll der Tatverdächtige bei der Festnahme "Allahu Akbar" gegenüber einem Polizisten gerufen und kurz darauf gebetet haben.
Zeugenaussagen zufolge sollen mehrere verletzte Menschen unter dem Wagen gelegen haben, der Fahrer soll dann vergeblich versucht haben, nochmal Gas zu geben. Bei seiner Festnahme wurde der Mann laut Polizei leicht verletzt, aber nicht durch Schusswaffengebrauch. Nach der Tat war die Seidlstraße übersät von Trümmern und Kleidungsstücken.
Was ist über den Täter bekannt?
Bei dem Fahrer handelt es sich um einen 24 Jahre alten Afghanen. Im Internet finden sich Fotos des Täters, Farhad N., vor einem weißen Mini Cooper, der nach BR-Recherchen das Tatfahrzeug ist und auch dem Täter gehörte. Die Fotos sind im vergangenen Jahr aufgenommen worden und liegen BR24 vor. Der Täter ist Bodybuilder und hat auch an bayerischen Meisterschaften teilgenommen. Die Social-Media-Profile wurden mittlerweile abgeschaltet, die Ermittler beschäftigen sich noch mit den Inhalten.
Vorbestraft war der 24-Jährige nach Auskunft der Behörden bislang nicht. Es habe nur einmal in Bayern ein Verfahren wegen Arbeitsamtsbetrugs gegeben, sagte die Leitende Oberstaatsanwältin der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft München, Gabriele Tilmann, bei einer Pressekonferenz am Freitag. Er habe sich arbeitslos gemeldet, dann eine Tätigkeit begonnen und sich nicht rechtzeitig wieder abgemeldet. Das Verfahren sei gegen eine Geldauflage eingestellt worden, weil es nur ein sehr kurzer Zeitraum gewesen sei. Dies sei das einzige Ermittlungsverfahren in Bayern gewesen, das es gab.
Im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit als Ladendetektiv war er als Zeuge eines Diebstahls in Erscheinung getreten. Am Donnerstagmittag hatte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach der Tat noch zunächst berichtet, der 24-Jährige sei im Zusammenhang mit Ladendiebstählen und Drogendelikten auffällig geworden. Diese Fehlinformationen seien wohl der Kürze der Zeit geschuldet gewesen, so ein Polizeisprecher auf Anfrage. Nach bisherigem Ermittlungsstand habe es "bis gestern keinen Grund gegeben, daran zu zweifeln, dass er sich einigermaßen ordentlich in unser Leben integriert hat", sagte Herrmann am Abend in BR24 TV.
Im Internet finden sich Fotos von Farhad N., vor einem weißen Mini Cooper, der nach BR-Recherchen das Tatfahrzeug ist.
Des Weiteren ist der Tatverdächtige nicht ausreisepflichtig; Das erfuhr der Bayerische Rundfunk am frühen Donnerstagabend aus Sicherheitskreisen. Der 24-Jährige hatte demnach eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis von der Stadt München. Früheren Medienberichten zufolge soll der Mann bereits seit Herbst 2020 ausreisepflichtig gewesen sein.
Sein schon vor Jahren abgelehnter Asylantrag führte aber nicht zu einer Ausreisepflicht. Die Hintergründe für die dann erfolgte Aufenthaltsgenehmigung durch die Stadt München könne er im Moment noch nicht beurteilen, so Herrmann. Man habe dem damals noch Jugendlichen zumindest den Schulbesuch ermöglichen wollen, dem er auch nachgekommen sei. Später habe er dann Arbeit gefunden.
Zuletzt hatte der Mann in einem Mehrfamilienhaus im Münchner Stadtteil Solln zur Miete gewohnt; seine Wohnung wurde inzwischen durchsucht. Nach Angaben der Polizei wird der Mann am Freitag einem Ermittlungsrichter vorgeführt.
Wie viele Menschen wurden verletzt?
Laut Polizeipräsidium München wurden mindestens 39 Menschen verletzt. Christian Huber, Vizepräsident des Münchner Polizeipräsidiums, sprach nach der Tat von zwei Schwerstverletzten, darunter ein Kind, acht Schwerverletzten und zehn mittelschwer Verletzten. Die Übrigen seien leicht verletzt.
Am Samstag teilte das bayerische Landeskriminalamt mit, dass das zweijährige Kind und seine Mutter - eine 37 Jahre alte Frau aus München - ihren Verletzungen erlegen seien. "Leider haben sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet", erklärte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Seine Gedanken seien bei der Familie der Ermordeten und ihren Verwandten und Freunden. Die Frau habe für die Stadt gearbeitet. "Sie und ihre Tochter wurden ermordet, als sie für ihre gewerkschaftlichen Rechte auf die Straße gegangen ist. Der Schmerz ist nicht in Worte zu fassen“, so Reiter weiter.
Die Verletzten werden in mehreren Krankenhäusern versorgt. Am LMU Klinikum werden an den beiden Standtorten Großhadern und Innenstadt 14 Verletzte behandelt. An beiden Standorten des Universitätsklinikums seien Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte umgehend nach der Alarmierung verfügbar gewesen. "In der Innenstadt haben wir bis zu drei Schockräume parallel betrieben", berichtete Wolfgang Böcker, Direktor der Unfallchirurgie. Vier weitere Opfer werden am Rotkreuzklinikum behandelt. Auch das Haunersche Kinderspital der LMU und Notfallzentren der München Klinik wurden eingebunden.
Im Video: Terrorismus-Experte Holger Schmidt im Interview
Holger Schmidt
Handelt es sich um einen Terroranschlag?
Die Ermittler gehen von einem islamistischen Motiv des Autofahrers aus, so Tilmann. Seine Aussagen, u.a. während einer zweistündigen Vernehmung, ließen auf eine religiöse, islamistische Tatmotivation schließen. Dies sei aber eine vorläufige Bewertung. Auf seinem Handy seien darüber hinaus Whatsapp-Nachrichten mit "religiösen Äußerungen" gefunden worden. Die Ermittlungen zu Hintergründen und Motiven liefen aber noch, ergänzte Tilmann. Die Behörden stünden erst "am Anfang".
Anhaltspunkte, dass der Afghane einer islamistischen Organisation angehöre, gebe es bislang nicht, sagte Tilmann weiter, auch nicht für Mittäter, Mitwisser oder eine Einbindung in ein Netzwerk wie die Terrororganisation "Islamischer Staat". Der Afghane bezeichne sich selbst als religiös, er bete und besuche eine Moschee.
Auf Social-Media sei er als Fitnessmodel unterwegs gewesen, habe aber auch Beiträge mit religiösen Bezügen gepostet. Es gebe aber noch keine endgültigen, abschließenden Antworten zu den Hintergründen der Tat. Laut Ermittlern soll er sich gestern in einem Chat mit Angehörigen mit den Worten "Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da" verabschiedet haben. Es gebe rund 100 Zeugen. Ein ehemaliger Arbeitskollege habe sich bei der Polizei gemeldet und gesagt, dass der Tatverdächtige "etwas durch den Wind" gewesen sei.
Von einer psychischen Erkrankung gehen die Ermittler derzeit nicht aus. Es gebe bei dem 24-Jährigen bislang keine Anhaltspunkte auf psychische Probleme, die Auswirkungen auf die Tat gehabt haben könnten, so Tilmann. Deshalb werde auch nicht beantragt, den Mann vorläufig in der psychiatrischen Unterbringung aufzunehmen.
Laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist auch unklar, ob der Mann die Kundgebung eher zufällig ausgewählt hat. "Ist er gezielt auf diese Verdi-Demonstration los oder wollte er nur in irgendeine Menschenmenge, möglichst viele Menschen zu verletzen oder zu töten. All das muss geklärt werden", sagte Hermann. Dass die Tat am Tag vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz begangen wurde, war anscheinend rein zufällig und spielte keine Rolle, so Staatsanwältin Tilmann.
Wie laufen die weiteren Ermittlungen?
Wegen der besonderen Bedeutung des Falls hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu dem Anschlag auf Demonstranten in München mit fast 40 Verletzten übernommen.
Bisher war die "Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus" bei der Generalstaatsanwaltschaft München zuständig. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen werden vom Bayerischen Landeskriminalamt fortgeführt. Außerdem wurde eine "Sonderkommission Seidlstraße" mit derzeit 140 Beamtinnen und Beamten gebildet.
Inzwischen sitzt der Fahrer des Wagens in Untersuchungshaft. Das habe ein Ermittlungsrichter unter anderem wegen dringenden Verdachts auf versuchten Mord angeordnet, teilte die Generalstaatsanwaltschaft München mit.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums bestehen bislang keine Anhaltspunkte für eine ausländische Einflussnahme auf die jüngsten Anschläge in Deutschland. Es gebe diesbezüglich aber eine hohe Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden, sagte ein Sprecher des Ministeriums am Freitag in der Bundespressekonferenz. "Wir sehen keinen Bezug zur Bundestagswahl, was die Taten jetzt in München, vorher in Aschaffenburg, vorher in Magdeburg angeht."
Die Zeugensammelstelle der Polizei München im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz ist inzwischen geschlossen. Personen, die Angaben zu den Ereignissen machen wollen, können relevante Informationen, Videos oder Bilder von den Ereignissen unter folgendem Link der Polizei zur Verfügung stellen.
- https://medienupload-portal01.polizei.bayern.de/
Hilfe für Betroffene
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) wies derweil auf Angebote für Menschen hin, die wegen des Anschlags dringend psychische Unterstützung benötigen. Der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern biete Krisenhilfe in mehr als 120 Sprachen und sei rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummer des Dienstes lautet 0800 655 3000.
Auch die Telefonseelsorge der Erzdiözese München und Freising stellt ein Krisentelefon zur Verfügung. Melden können sich Betroffene, Angehörige und Augenzeugen von 8 bis 22 Uhr unter der Telefonnummer 089/1271 8590. Zudem hat die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) eine Nummer geschaltet: Die 0921/88099-55040 ist täglich von 8 bis 22 Uhr geschaltet; vorerst befristet bis 28. Februar. Außerhalb dieser Zeit steht die Telefonseelsorge unter der Nummer 0800 111 0 222 zur Verfügung.
Mit Material von dpa, epd und KNA.
Zum Video: Ermittler sehen islamistisches Motiv
Verdi-Mitglieder gedenken an dem Tatort.
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