"Es fühlt sich ein bisschen frustrierend an, weil ich das wirklich vermisse!", sagt die 26-jährige Tatjana Ushnevych, während sie sich das Ultraschallbild auf dem Monitor ansieht. Ushnevych hat ihre Facharzt-Prüfung in Gynäkologie in Kiew in der Ukraine gemacht. Doch ohne Anerkennung darf sie in ihrem Beruf in Deutschland nicht arbeiten. Im Sommer 2023 ist die Gynäkologin dann vor dem andauernden Krieg nach Deutschland geflüchtet.
In der Herrieder Frauenärztin Jennifer-Lisa Schnell hat sie eine Unterstützerin gefunden. In ihrer Praxis hospitiert sie einmal pro Woche – ohne Vergütung. Übernehmen darf sie aber nur "Praktikantenaufgaben", denn sie wartet noch immer auf ihre Zulassung. Die Wartezeit ärgert auch ihre Chefin, denn der Facharztmangel im Bereich Gynäkologie ist groß: "Wir könnten Tatjana jetzt sofort anstellen und hätten wahrscheinlich binnen zwei Wochen ihren gesamten Sprechstundenkalender voll."
Ausbildung nach Asylantrag
Abwarten, um arbeiten zu dürfen: Das hat auch der 26-jährige Muhannad Haider erlebt. Er ist 2016 mit 17 Jahren aus Damaskus in Syrien nach Deutschland geflohen. "Deutschland ist ein Land, wenn du wirklich was tust, dann bekommst du auch was zurück." Als sein Asylantrag nach eineinhalb Jahren anerkannt wurde, startete er voller Freude in der Erlanger Bäckerei Gulden eine Ausbildung als Bäckereifachverkäufer. "Hier habe ich ja angefangen, hier habe ich die Sprache gelernt, hier habe ich neue Freunde kennengelernt." Inge Gulden-Bornitzky, seine ehemalige Chefin, sagt: "Wir brauchen die alle!" Sie hat Beschäftigte aus Afghanistan und Pakistan, alle hätten ihre Stärken. "Ohne die würde es nicht gehen."
Geflüchtete oft in "prekären Berufen"
Der Arbeitseinstieg von Haider steht dabei durchaus stellvertretend für den von vielen Geflüchteten: Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg arbeiten Migranten häufig in "prekären Berufen oder Berufen, die deutsche Staatsangehörige gerne vermeiden." Frauen aus Syrien und der Ukraine arbeiten laut IAB häufig im Bereich Bildung oder Erziehung, in Medizin- oder Pflegeberufen oder auch im Gastgewerbe – etwa im Restaurant oder Hotel. Männer beider Länder arbeiten oft im Bereich Logistik – sie sind Lagerarbeiter, Postzusteller oder Kraftfahrer. Auch sie arbeiten häufig im Gastgewerbe oder in der Lebensmittel- oder IT-Branche.
"Ausbildungspapperl" für Muhannad?
So sehr Muhannad Haider das Umfeld in der Bäckerei auch mochte, sein Traumjob war es nicht. 2022 startete er bei der Nürnberger Firma Intego als technischer Arbeiter. Geschäftsführer Thomas Wagner stellte ihn trotz fehlender Erfahrung ein: "Wir haben es eben probiert und heute kann er schon so viel, dass wir uns jetzt überlegen, wie kriegen wir das Ausbildungspapperl auf ihn drauf?" Haiders Ziel: Er will "qualifizierter Mechatroniker" werden. Nach fünf Jahren Arbeitserfahrung kann er dafür auch ohne zweite Ausbildung die Prüfung machen.
Ukrainische Gynäkologin muss noch abwarten
Gynäkologin Tatjana Ushnevych aus Kiew hat zwar rasch nach ihrer Ankunft alle benötigten Unterlagen für die Berufserlaubnis bei den zuständigen Behörden eingereicht, doch noch darf sie nicht arbeiten. Aktuell wartet sie auf einen Termin für die Fachsprachenprüfung, die sie für die Berufserlaubnis dringend braucht. "Ich habe eine Antwort bekommen, dass meine Wunschmonate schon alle belegt sind. Erst ab Mai kriege ich wahrscheinlich den Termin", so Ushnevych.
Langer Weg bis zur ärztlichen Zulassung
Die Bayerische Landesärztekammer teilt auf BR-Anfrage mit: "Aufgrund der stark gestiegenen Anmeldezahlen kann es aktuell zu längeren Wartezeiten bei der Terminvergabe kommen." Demnach habe es 2024 einen Zuwachs von 39,4 Prozent bei den Anmeldezahlen für die Fachsprachenprüfung gegeben. Doch selbst, wenn Ushnevych diese abhaken könnte, stehen weitere Hürden vor ihr: Denn bis sie als vollständig zugelassene Ärztin in Deutschland praktizieren darf, kann es unter Umständen noch Jahre dauern. Ein Gutachter muss ihren Abschluss mit den deutschen Standards vergleichen. Eine Alternative ist die Kenntnisprüfung. Die 26-Jährige hält trotzdem an ihrem Traum fest und will weiter in der Praxis in Herrieden hospitieren. "Das ist ein wunderbares Gefühl. Als ob ich wieder bei der Arbeit wäre und wieder als Ärztin beschäftigt wäre", lächelt sie.
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