Der nationalsozialistische Antisemitismus verbreitete sich Anfang des 20. Jahrhunderts gerade in der Bergsteigerszene besonders früh: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in vielen Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DuOeAV) sogenannte "Arierparagrafen" eingeführt. Jüdische Mitglieder wurden nicht mehr aufgenommen. Daher kam es 1921 zur Neugründung der Sektion Donauland in Wien, die zu einem Sammelbecken für jüdische und liberale Bergbegeisterte wurde. Am 14. Dezember 1924 kam dann der erneute Rückschlag: Die Sektion Donauland wurde aus dem DuOeAV ausgeschlossen. Jüdische Bergsteiger wurden so endgültig vom Vereinsleben des Alpenvereins ausgegrenzt – und zwar lange, bevor Adolf Hitler und die Nazis an die Macht kamen.
Aufarbeitung erst seit den 1980er Jahren
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es lange, bis sich der Deutsche Alpenverein seiner Verantwortung stellte. Eine Aufarbeitung begann erst ab den 1980er Jahren. Seitdem setzt sich der DAV vermehrt mit dem Thema Antisemitismus auseinander. Weil sich der Ausschluss der Sektion Donauland jetzt zum hundertsten Mal jährt, gedenken die Alpenvereine Deutschlands und Österreichs, DAV und OeAV, der Ausgeschlossenen. Sie positionieren sich gegen Intoleranz und Hass und treten für Akzeptanz, Offenheit und Vielfalt ein.
In der Broschüre "Ausgeschlossen – Jüdische BergsteigerInnen und der Alpenverein“ (externer Link), die auf den Seiten des DAV kostenlos abgerufen werden kann, wird die Entwicklung des Vereins in den 1920er Jahren dargestellt und aufgezeigt, was der DAV heute gegen Antisemitismus tut.
Berghütte als Gedenkstätte gegen Intoleranz und Hass
In den vergangenen Jahrzehnten haben auch viele Sektionen, etwa der DAV Allgäu-Kempten oder der DAV Donauwörth ihre Geschichte analysiert. Eine besondere Rolle nimmt dabei die Alpenvereinssektion Berlin ein. Berlin war die am meisten von Juden und jüdischer Kultur geprägte Großstadt Deutschlands, sagt Bernd Schröder vom DAV Berlin, der in den 1920er Jahren rund dreißig Prozent jüdische Mitglieder hatte. Im Zuge der Aufarbeitung hat die DAV-Sektion Berlin das Friesenberghaus, die ehemalige Vereinshütte der Sektion Donauland, übernommen und sich seither bewusst mit der Geschichte auseinandergesetzt. Die Hütte in den Zillertaler Alpen ist heute nicht nur Berghütte, sondern auch eine Gedenkstätte gegen Hass und Intoleranz (externer Link) – als Konsequenz aus der dunklen Vereinsgeschichte und der bedauerlichen Vorreiterrolle, die der Alpenverein im aufkeimenden Antisemitismus gespielt hat.
"Freie Bergsteiger in freien Bergen"
In der neuen Dauerausstellung des Alpinen Museums (externer Link) auf der Münchner Praterinsel wird das Thema Antisemitismus in der Vereinsgeschichte ebenfalls thematisiert. Zu sehen ist beispielsweise ein Hüttenbuch, in dem der Name eines Bergsteigers durchgestrichen und mit dem Wort "Jude" überschrieben wurde. Es gibt ein eigenes Ausstellungskapitel zu dem Thema. Auch in der Bibliothek und im Archiv des DAV finden sich viele Dokumente, die Interessierte einsehen und so die Entwicklung des Vereins vor und während der NS-Diktatur nachvollziehen können. "Freie Bergsteiger in freien Bergen sein" – so lautete das Motto der Sektion Donauland. Im Garten des Alpinen Museums ist zur Erinnerung an die Sektion, die vor genau 100 Jahren aus rassistischen Gründen aus dem Alpenverein ausgeschlossen wurde, eine Gedenkplakette angebracht.
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