Ein Teilnehmer hält ein Plakat mit der Aufschrift "Ampel: D = Kein SB-Markt" vor Traktoren nach einer Sternfahrt im Rahmen der Aktionswoche des Bauernverbands in der Hamburger Innenstadt hoch.
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Ein Protestteilnehmer hält ein Plakat vor Traktoren nach einer Sternfahrt im Rahmen der Aktionswoche des Bauernverbands in Hamburg hoch.

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Bauernproteste: Die Ursachen des Unmuts

Die Kürzungspläne der Ampel waren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat – das sagen Landwirte bei den Bauernprotesten immer wieder. Was lief falsch in der Agrarpolitik der vergangenen Jahre?

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Auslöser der Bauernproteste waren die Einsparungspläne der Bundesregierung bei Kfz-Steuer und Agrardiesel, die die Ampel teils zurückgenommen hat. Die Kürzungen wären laut Einschätzung des Agrarwissenschaftlers Christian Henning für die meisten Betriebe nicht existenzbedrohend gewesen. Rein ökonomisch seien "diese hochemotionalen Proteste nur durch diesen Wegfall nicht zu erklären", schlussfolgert Professor Henning von der Universität in Kiel bei tagesschau24. Er sieht einen grundsätzlichen "Unmut mit den falschen Signalen seit Jahren aus der Agrarpolitik".

Bauern kritisieren nicht nur Kürzung des Agrardiesels

Vor zehn bis 15 Jahren habe es einen Paradigmenwechsel gegeben – in Richtung nachhaltige Landnutzung, sagt der Agrarexperte. Konkret heißt das: Im letzten Jahrzehnt seien Themen wie Umweltschutz und Tierschutz gesellschaftlich mehr in den Fokus gerückt. Es ließen sich zahlreiche intensiv diskutierte Themen aufzählen: das Verbot, Ferkel betäubungslos zu kastrieren, strengere Düngeregeln, Flächenstilllegungen, das Verbot, Küken zu töten, der Plan der EU, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln deutlich reduzieren zu wollen.

Außerdem klagen Landwirtinnen und Landwirte über immer mehr Bürokratie. Die Einhaltung neuer Auflagen, unter anderem mehrmals geänderte Regeln bei der Vergabe der großen EU-Agrargelder, müssen dokumentiert werden.

In den letzten Jahren sind für Bäuerinnen und Bauern viele neue Regeln dazu gekommen. Was aber aus Sicht des Agrarpolitologen Peter Feindt nicht heißt, dass die Bauernschaft keinen Einfluss gehabt habe. Ursprünglich seien die Regeln viel strenger angedacht gewesen, ergeben Fallstudien des Professors für Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität in Berlin.

Bauernverband hat großen Einfluss auf Politik

Deshalb sieht Professor Feindt die Lobbyarbeit des Bauernverbands als großen Erfolg, denn "der Veränderungsdruck war noch sehr viel größer". Gemessen an den ursprünglichen Vorschlägen seien die Vorschriften am Ende sehr abgeschwächt worden, anspruchsloser und mit vielen Ausnahmeregelungen.

Was aber fehlte, war ein Gesamtkonzept, ein größerer Plan, wie sich der Agrarbereich für die Zukunft aufstellen soll. Dadurch haben die Landwirte keine Planungssicherheit. Wer heute einen neuen Stall baut, kann nicht sicher sein, dass dieser in fünf oder zehn Jahren noch den Anforderungen des Tierschutzes genügt. Ein Problem für die Bauern, die die Finanzierung für die Ställe teils 20 Jahre abbezahlen müssen.

Die Politik hat den Bauern bisher keine Planungssicherheit gegeben. Aber auch der Bauernverband hat aus Sicht von Professor Feindt bis auf wenige, kleine Projekte "keine Zukunftsperspektive artikuliert", sondern "immer versucht, gesetzliche Anforderungen möglichst zu verzögern und möglichst mit geringem Anspruch zu halten". Anstatt eigene Konzepte zu entwickeln, wie eine Landwirtschaft aussehen würde, "die stärker Biodiversitätsaspekte berücksichtigt oder die im Tierwohl vorne ansteht", sagt der Agrarexperte.

Bauernproteste 2019: Streit um Düngeregeln und Nitrat

An einem Streitthema entzündeten sich die letzten großen Bauernproteste: 2019 demonstrierten Landwirte im ganzen Land gegen strengere Auflagen beim Düngen. Diese sollen die Nitratbelastung im Grundwasser reduzieren. Zuvor war jahrelang um strengere Regeln gerungen worden. Am Ende drohten Deutschland Strafzahlungen in Millionenhöhe an die EU, woraufhin die damalige Bundesregierung strengeren Regeln beschloss.

Als Reaktion auf die Proteste rief die damalige Regierung aus CDU/CSU und SPD die "Zukunftskommission Landwirtschaft" ins Leben, in der Bauern, Tier- und Umweltschützer, Wissenschaftler gemeinsam Vorschläge erarbeiteten. Für viele Kenner der Branche war das ein Momentum. Statt des bisherigen Gegeneinanders, gab es jetzt ein Miteinander an einem Tisch – es wurde ein Konzept für die Zukunft der Landwirtschaft entwickelt.

Vorschläge der Zukunftskommission nicht umgesetzt

Bisher aber wurden die Vorschläge von der Politik kaum angegangen, ebenso wenig die Ideen für ein Finanzierungskonzept für mehr Tierwohl – das Ergebnis einer bereits zuvor eingesetzten Kommission. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) verweist darauf, dass die Vorgängerregierung, als die Steuereinnahmen noch sprudelten, die Tierwohlfinanzierung nicht umgesetzt hat. Jetzt sei es viel schwieriger.

Doch auch die Ampel kommt seit einem Jahr nicht beim Konzept einer Tierwohlabgabe voran. Mit einer Abgabe auf Fleischprodukte könnten der Umbau der Ställe hin zu mehr Tierschutz finanziert werden, sie würde aber gleichzeitig auch Fleisch teuer machen. Einige in der Regierung schrecken angesichts bereits stark gestiegener Lebensmittelpreise davor zurück.

Mit der Zukunftskommission Landwirtschaft hätten die Bauern gezeigt, dass "sie bereit sind, die Transformation auch mitzugehen", sagt Agrarwissenschaftler Christian Henning. Er kritisiert, dass die Politik bisher keine vernünftigen agrarpolitischen Rahmenbedingungen geschaffen habe, damit die Landwirte diesen Wandel auch beschreiten können.

Scholz trifft Vertreter des Landesbauernverbandes.
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Scholz trifft Vertreter des Landesbauernverbandes.

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